Bundespräsident Steinmeier: „Im Kern ist Antisemitismus unser deutsches Problem“
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat sich besorgt über den derzeitigen Zustand der Bundesregierung geäußert und mahnende Worte gefunden. „Mit Blick auf die gegenwärtige öffentliche Auseinandersetzung der Beteiligten dieser Koalition gibt es derzeit nichts schönzureden“, sagte Steinmeier der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“.
Durch den Streit „über eigentlich lösbare Probleme der Migrationspolitik“ werde viel von dem verdeckt, was in den ersten hundert Tagen der Regierung zum Beispiel in der Renten- und Familienpolitik oder auf dem Feld der Pflege auf den Weg gebracht worden sei.
Der Bundespräsident sagte, natürlich müsse über die Zukunft der Zuwanderungspolitik gestritten werden.
Mich besorgen aber Art und Schärfe der gegenwärtigen Auseinandersetzung zutiefst. Die Wunden, die man sich gegenseitig durch öffentliche Worte zugefügt hat, werden schwer heilen.“
Noch gravierender sei, dass die politischen Kosten dieser wochenlangen Auseinandersetzung jetzt schon hoch seien.
In Zeiten, in denen wir für die Glaubwürdigkeit der Demokratie und ihrer Institutionen werben müssten, erreichen die Bürger alles andere als werbende Botschaften. Ich hoffe, dass die Beteiligten zu einer Sprache zurückfinden, die Kompromisse ermöglicht, die in jeder Regierungskonstellation nötig sind.“
Der Streit hat nach Aussage Steinmeiers auch außenpolitische Folgen und Einfluss auf das Gefüge innerhalb der EU. Bei europäischen Politikern sei die Sorge groß, dass in der gegenwärtigen Krise Europas auch noch der Stabilitätsfaktor Deutschland wegfalle.
Ich erinnere mich sehr gut an das Aufatmen unserer europäischen und internationalen Partner, als fünfeinhalb Monate nach der Bundestagswahl endlich wieder eine Regierung im Amt war. Mit derselben Sorge wird jetzt die aktuelle öffentliche Auseinandersetzung in Deutschland beobachtet.“
Und weiter: „Das ist etwas, was in unserem eigenen Land teilweise auf besorgniserregende Weise unterschätzt wird.“
Steinmeier kritisiert die AfD
Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier hat Aussagen von AfD-Politikern über die deutsche Erinnerungskultur scharf zurückgewiesen. „Ich persönlich schäme mich für derartige Äußerungen. Ich schäme mich ebenso für verharmlosende Begriffe, die jüngst für die Zeit des Nationalsozialismus von deutschen Politikern verwendet wurden.“
Die Verhöhnung, die darin zum Ausdruck komme, sei unerträglich.
Ich habe den Eindruck, dass alle, die so reden, gar nicht wissen, wie viel Anerkennung und Reputation, die Deutschland in Jahrzehnten bei seinen Nachbarn aufgebaut hat, dadurch zerstört wird.“
Steinmeier sagte aber auch, er sei sich sicher, dass „die ganz große Mehrheit der Deutschen diesen Versuch, die Zeit des Nationalsozialismus aus unserer Geschichte auszulöschen oder zu relativieren, nicht unterstützt“.
Steinmeier äußerte sich besorgt über die Zunahme von antisemitischen Vorfällen in Deutschland, auch auf den Schulhöfen. „Und es bleibt unsere historische Verantwortung, für Verhältnisse zu sorgen, in denen in Deutschland niemand Angst haben muss, eine Kippa zu tragen oder seinen jüdischen Glauben auszuüben. Im Gegenteil: Wir wollen, dass Juden ohne Angst bei uns leben und sie sich als selbstverständlicher Teil einer deutschen Gesellschaft sehen und anerkannt fühlen.“
Wer nach Deutschland komme, der komme in ein Land, in dem Lehren aus der eigenen Geschichte gezogen worden seien.
„Und wer hier leben will, muss diese Geschichte kennen- und verstehen lernen und die Lehren daraus akzeptieren. Dazu gehört auch, dass wir antisemitische Äußerungen und Verhaltensweisen in unserem Land nicht mehr sehen wollen und auch nicht zulassen“, so Steinmeier weiter.
„Es gibt zwar Antisemitismus bei denen, die zugewandert sind. Aber im Kern ist Antisemitismus unser deutsches Problem.“ (dts)
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