Bürgermeisterwahl in Thüringen: Fünf von sechs Kandidaten parteilos

In Thüringen soll kommunal gewählt werden. Doch immer noch fehlen 22 Bewerber für die Bürgermeisterposten. Warum ist das so und warum sind so wenige Politiker unter den Kandidaten?
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Symbolbild.Foto: Michael Kappeler/dpa/dpa
Von 10. Juni 2022

Was ist los in Thüringen? Am 12. Juni 2022 finden die Bürgermeisterwahlen in 335 Gemeinden des Ost-Bundeslandes statt. Insgesamt werden nach aktuellem Stand 406 Bewerber für die sieben hauptamtlichen und 318 ehrenamtlichen Posten antreten.

Doch die Truppe der Damen und Herren, die sich anschicken, das lokalpolitische Schicksal von rund 2,1 Millionen Menschen im Freistaat zu lenken, ist nicht komplett. Denn noch immer fehlen 22 ehrenamtliche Kandidaten. Es gibt sie einfach nicht. Außerdem sind nur relativ wenige Parteimitglieder unter den Bewerbern.

Darüber informierte Ende Mai das Büro des Thüringer Landeswahlleiters und Präsidenten des Thüringer Landesamtes für Statistik, Holger Poppenhäger.

Den Wählern in den Gemeinden riet Poppenhäger, eigene Wahlvorschläge auf die Stimmzettel zu schreiben. Auf diese Weise soll es bereits 2016 bei der Kommunalwahl gelungen sein, alle Bürgermeisterposten zu besetzen – trotz teilweise fehlender Kandidaten, berichtet der MDR zur Wahl-Situation in Thüringen.

„Übernehmt Verantwortung“

Entsprechend der Thüringer Kommunalordnung werden in kreisangehörigen Gemeinden mit weniger als 3.000 Einwohnern ehrenamtliche Bürgermeister gewählt. Bei mehr Einwohnern ist der Bürgermeister in der Regel hauptamtlich.

Auf dem offiziellen Landesportal von Thüringen betonte Innenstaatssekretärin Katharina Schenk (SPD): „Die Städte und Gemeinden unseres Freistaates sind das Herzstück unseres Zusammenlebens.“ Für ein starkes und demokratisches Thüringen sei es daher wichtig, dass sich „möglichst viele Menschen finden, die Verantwortung für unsere Gemeinschaft übernehmen“. Zudem würden Kommunalwahlen den Wählern die Möglichkeit eröffnen, „selbst an der Gestaltung ihres Lebensumfeldes aktiv mitzuwirken“, so die Staatssekretärin.

Landrat: Ehrenamt immer riskanter

Die Epoch Times fragte in einem der Thüringer Landkreise nach, in dem sieben Bürgermeisterposten ohne Bewerber waren. Von Dr. Werner Henning, Landrat des Landkreises Eichsfeld im Nordwesten des Freistaates Thüringen, erfuhren wir, dass das Ehrenamt durch „bürokratische Anforderungen und damit verbundene Rechtsrisiken“ immer mehr erschwert werde. Die Folge: „Sich dem zu stellen, sind immer weniger Personen bereit“, so Landrat Henning.

Zudem gebe es „Erwartungshaltungen aus der Bevölkerung, welche der einzelne Akteur nicht erfüllen kann“. Zunehmend erwarte man von einem Bürgermeister, dass er sehr viele private Einzelinteressen bedient, wobei das Verständnis für seine realen Möglichkeiten immer geringer werde – und die „verfasste Politik ermuntert zunehmend, vor Ort individuelle Forderungen erfüllt zu bekommen“.

Dabei sei das Engagement für die Gemeinde eigentlich „ungebrochen“, wie man an der regen Vereinstätigkeit sehe, meinte der Landrat noch.

Auf die Frage nach den Vor- und Nachteile einer Parteizugehörigkeit von Bürgermeistern antwortete der CDU-Politiker: „Die Parteilosigkeit scheint auf den ersten Blick den Amtsinhaber freier zu machen, auf den zweiten aber auch einsamer.“ Dieser Gesichtspunkt gewinnt umso mehr an Bedeutung, da 84 Prozent der Bewerber für die Bürgermeisterposten keiner Partei angehören.

Kaum Bewerber mit Parteihintergrund

Poppenhäger, der in Thüringen auch schon als SPD-Justizminister (2009–2014) im Kabinett Lieberknecht (CDU) und SPD-Innenminister (2014–2017) im Kabinett Ramelow (Linke) fungierte, hatte aber noch weitere interessante Zahlen für die 210.000 Wahlberechtigten in Thüringen und sonstige Interessierte zu verkünden. „Der überwiegende Anteil (340 Bewerberinnen und Bewerber) sind sonstige Wählergruppen und Einzelbewerberinnen bzw. -bewerber“, heißt es aus dem Büro des Landeswahlleiters.

Anders gesagt, von den 406 Bewerbern für die 335 Bürgermeisterposten sind lediglich 66 Bewerber Parteipolitiker. Möglicherweise gibt es in Thüringen also auf kommunaler Ebene eine Politik- und Parteienverdrossenheit.

Nur rund 16 Prozent der angetretenen Bürgermeisterkandidaten haben einen Parteihintergrund, wie er im Bundestag vertreten ist. Es sind 53 CDUler, sechs Sozialdemokraten, drei Linke und jeweils zwei mit Parteibüchern von FDP und AfD. Einen grünen Bürgermeisterkandidaten findet man in Thüringen nicht.

Schenk: freiheitliche demokratische Grundordnung ist Bedingung

Allerdings macht Staatssekretärin Katharina Schenk dabei auch Einschränkungen. Im Örtchen Kloster Veßra (280 Einwohner) fordert ein den Angaben nach bekannter „Neonazi“ den parteilosen amtierenden Bürgermeister Wolfgang Möller heraus. Der Herausforderer, Tommy Frenck, ist Mitglied im Gemeinderat des Ortes und sitzt auch im übergeordneten Kreistag.

Doch selbst wenn der 36-Jährige die Wahl gewinnen sollte, müsse laut der SPD-Politikerin die Rechtsaufsicht die Übernahme des ehrenamtlichen Postens verhindern. Im Kommunalwahlgesetz steht nach Angaben des berichtenden Medienportals „InSüdThüringen“: „Zum Bürgermeister kann nicht gewählt werden, wer nicht die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt.“

Kommunalfrust auch im Gemeinderat

Für Thüringen stellen sich zwei wichtige Fragen: Warum gibt es eine gewisse Zurückhaltung, für einen Bürgermeisterposten zu kandidieren? Warum gibt es so wenig Lokalpolitiker, die sich dafür interessieren?

Auf der Website „Kommunal.de“, eigenen Angaben nach ein Magazin für Bürgermeister, Kommunalpolitiker und die Verwaltung, wird auf eine Umfrage hingewiesen. Demnach hatte die Hochschule für Öffentliche Verwaltung in Kehl rund 2.000 Gemeinderäte in Baden-Württemberg befragt und erfahren, dass nur 60 Prozent von ihnen davon ausgingen, durch ihr Wirken einen „gewissen Einfluss“ auf die Gemeinde zu haben.

Hauptgründe für den Frust der Kommunalpolitiker waren selbst im vergleichsweise „reichen“ Baden-Württemberg der fehlende finanzielle Spielraum und bedingt dadurch der fehlende Handlungsspielraum bei gleichzeitig steigender Aufgabenlast und Arbeitsbelastung.



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