Bürgergeld: Streit geht weiter – SPD wirft Union „Fake-News“ vor
Am Montag (7.11.) wird das Thema „Bürgergeld“ bei der Union auf der Tagesordnung stehen. CDU-Parteichef Friedrich Merz will am Montag dem Parteivorstand und der Bundestagsfraktion seine Vorstellungen darlegen. Er wolle „ein bisschen die Schärfe aus dieser Diskussion“ herausnehmen. Wie Merz in den „Tagesthemen“ formulierte, soll die Union einer Erhöhung der Hartz-IV-Regelsätze zustimmen. Diese solle spätestens zum 1. Januar in Kraft treten. An ihrem Nein zum Gesamtkonzept wollten CDU und CSU dennoch festhalten.
Dobrindt befürchtet Anreize zur „Einwanderung in das Sozialsystem“
Merz will der Fraktion vorschlagen, noch in dieser Woche einen verbindlichen Beschluss des Bundestages bezüglich der Regelsätze mitzutragen. In weiterer Folge soll der grundsätzliche Systemwechsel von Hartz IV zu Bürgergeld erörtert werden.
Die Union stößt sich dabei insbesondere an der Neuregelung zu Schonvermögen und Karenzzeiten. Diese würden nach Auffassung von Gegnern der Regelung Anreize zur zeitnahen Arbeitsaufnahme beseitigen. CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sieht den „Grundsatz des Forderns und Förderns“ aufgegeben, erklärte er in der „Augsburger Allgemeinen“. Außerdem schaffe die Koalition „neue Anreize zur Einwanderung in unser Sozialsystem“.
Die geplante Neuregelung hätte zur Folge, dass „der Leistungsbezug zementiert wird und Demotivation statt Arbeitsaufnahme gefördert wird“. Branchenverbände der Wirtschaft und Kommunalverbände teilen diese Einschätzung. Die Union stellt die Mehrheit der Ministerpräsidenten und könnte im Bundesrat das Bürgergeld blockieren.
Regierungsparteien sprechen hingegen von einer Neuerung, die lediglich an die Lebensrealität angepasst wäre. Der Vorstandschefin der Bundesagentur für Arbeit, Andrea Nahles, zufolge, hat die Regierung 17 Jahre Erfahrungen mit Hartz IV in ihr Konzept einfließen lassen. Sozialverbände halten die vorgesehenen Regelsätze von 502 Euro für Alleinstehende und 420 Euro für Jugendliche nicht für ausreichend. Heute beträgt der Regelsatz für Alleinstehende 449 Euro.
Ampel deutet Kompromissbereitschaft in Teilbereichen an
Nach dem Konzept der Regierung sollen Arbeitssuchende, deren ALG-I-Anspruch ausläuft, eine Kooperationsvereinbarung mit dem Jobcenter abschließen. Im Gegenzug gibt es eine Vertrauensphase von sechs Monaten, in welcher der Betroffene keine Sanktionen zu befürchten hat.
Anschließend sollen der Betroffene und das Jobcenter mehr Freiräume bei ihren Bemühungen zur Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt bekommen. Ein unbedingter Vermittlungsvorrang fällt weg – Arbeitssuchende sollen sich stärker auf Arbeitssuche oder Weiterbildung konzentrieren können.
Dazu soll es in mehreren Bereichen weniger Druck geben. Vermögen bis 60.000 Euro und bis 30.000 Euro für jede weitere Person im Haushalt soll für 24 Monate nicht mehr angerechnet werden. Auch soll für diesen Zeitraum keine Prüfung der Angemessenheit des Wohnraums stattfinden.
Am Donnerstag soll der Bundestag über das Bürgergeld abstimmen. Eine Mehrheit mit den Stimmen der Regierungsfraktionen gilt als sicher – allerdings könnte der Bundesrat das entsprechende Gesetz blockieren. Die Ampel hatte zuletzt Bereitschaft signalisiert, bei der Übernahme von Heiz- und Umzugskosten auf die Union zuzugehen.
Lauterbach: Empfänger von Bürgergeld leben nicht im Reichtum
Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD) appellierte unterdessen an die Union, dem Bürgergeld im Bundesrat zuzustimmen. „Meine Hand gegenüber den unionsregierten Bundesländern bleibt ausgestreckt, damit wir zum 1. Januar ein Bürgergeld bekommen“, sagte Heil dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND).
Sein Kabinettskollege Karl Lauterbach hat Friedrich Merz hingegen eine „erbarmungslose“ Haltung vorgeworfen. Mit dieser schade er vor allem alleinerziehenden Müttern. Auf Twitter äußerte der Bundesgesundheitsminister:
Empfänger des Bürgergeldes würden 50 Euro reicher im Monat. Das ist Friedrich Merz zu viel. Trotz Inflation, Energiekosten.“
Auch Parteichef Lars Klingbeil wirft der Union vor, mit Falschdarstellungen zu operieren. Bei einem Debattenkonvent der SPD erklärte Klingbeil laut „Tagesschau“:
Wir erleben gerade eine CDU/CSU, […] die unter Markus Söder und Friedrich Merz lügt mit dem Ziel, die Gesellschaft zu spalten.“
Die Union schlage den Weg der „Verbreitung von Fake-News“ ein. Damit wolle sie „diejenigen, die wenig verdienen, gegen diejenigen, die auf den Staat gerade angewiesen sind“, ausspielen.
Sind im IfW-Gutachten potenzielle Leistungsansprüche von Geringverdienern berücksichtigt?
Die Union hatte sich unter anderem auf ein jüngst vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) vorgelegtes Thesenpapier bezogen. Über dieses hatte das „Handelsblatt“ berichtet. Anhand mehrerer Beispielrechnungen deutete die Forschungseinrichtung an, das Konzept der Ampel-Koalition könnte in Randbereichen das Lohnabstandsgebot verletzen. Dieses soll Arbeit attraktiver machen als den Bezug von Grundsicherung.
Eine fünfköpfige Familie hätte mit Bürgergeld demnach – je nach Alter der Kinder – zwischen 578 und 884 Euro mehr zur Verfügung als mit einem Alleinverdiener zum Mindestlohn. Selbst ein Zweipersonenhaushalt mit einem Beschäftigten zum Mindestlohn im Monat hätte in Hamburg knapp 230 Euro weniger zur Verfügung als mit Bürgergeld.
Single-Haushalte würden nur bei zwei jüngeren Kindern mit Arbeit zum Mindestlohn besser dastehen. Sind die Kinder älter, würde der Bezug von Bürgergeld knapp 168 Euro mehr für den Haushalt einbringen.
„Focus“: Bürgergeld nur in engen Ausnahmefällen lohnender als Arbeit
Eine eigene Berechnung des „Focus“ hingegen kommt zu dem Schluss, dass es nur wenige Konstellationen gäbe, in denen Bürgergeld einträglicher wäre als Arbeit. Lediglich im extremen Szenario einer vierköpfigen Familie, die nur von einem Mindestlohn leben müsste, wäre es demnach möglicherweise lohnender, das Bürgergeld zu kassieren.
Am ehesten würde sich der Bezug von Bürgergeld lohnen, wenn ein Betroffener mit sehr niedrigem Einkommen hohe Ausgaben für Miete und Heizung bestreiten müsste. Dies könnte bei sehr teuren Gasverträgen oder sehr hohen Mieten – wie etwa in München – zum Tragen kommen. Wie Klingbeil erklärt, sei auch der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) in einer Untersuchung zu einer ähnlichen Einschätzung gelangt. Die Darstellung der Union sei somit „widerlegt“.
Heil: „Es gibt einen Lohnabstand“
Hubertus Heil sieht die Dinge ähnlich. Arbeitende hätten auch nach einer Einführung des Bürgergeldes deutlich mehr zur Verfügung als dessen Bezieher. Gegenüber dem RND äußerte der Minister:
Wir haben dafür den Mindestlohn erhöht, wir haben das Kindergeld und das Wohngeld, das erhöht wird. Wir haben also einen Lohnabstand.“
Vor allem die CSU bringe dadurch, dass sie „im Netz mit falschen Zahlen argumentiert“ habe, „Gift“ in die Debatte. Die Union „redet sich da selbst etwas ein“, so Heil. Sie sollte „umkehren“.
Die nächste Bundesratssitzung, bei der das Thema aller Voraussicht nach auf der Tagesordnung steht, ist für den 25. November angesetzt. Sollte es dort zu einer Blockade kommen, müsste der Vermittlungsausschuss über die Zukunft des Vorhabens entscheiden.
Lindner warnt Union vor „Schäbigkeitswettbewerb“
Auch Bundesfinanzminister Christian Lindner hatte zuvor die Kritik der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am neuen Bürgergeld zurückgewiesen. „Ich bedauere den populistischen Impuls der Union, die nicht erkennt, dass es hier um Lebensleistung geht“, sagte Lindner der „Welt am Sonntag“. Er rate der Union vor allem davon ab, bei der geplanten Höhe des Schonvermögens „in einen Schäbigkeitswettbewerb einzutreten“.
„Wenn Menschen aufgrund eines Schicksalsschlags in den Bezug rutschten, sollten sie nicht das verzehren müssen, was sie sich vielleicht über Jahrzehnte aufgebaut hätten“, sagte Lindner weiter. Das Bürgergeld belohne Hinzuverdienst und Qualifikation, Verweigerung von Mitwirkung werde sanktioniert. „Das Bürgergeld ersetzt Hartz IV nicht durch Lässigkeit, sondern durch mehr Leistungsprinzip“, so der FDP-Politiker.
(Mit Material von dpa und AFP)
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