Bürgergeld ist fix ab 2023: Systemwechsel oder Verschiebung innerhalb des Systems?

Bundestag und Bundesrat haben bestätigt: Bürgergeld ersetzt Hartz IV ab 1. Januar.
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Von 25. November 2022

Heute haben erst der Bundestag und finalisierend am Mittag der Bundesrat grünes Licht für das Bürgergeld gegeben. Ab 1. Januar ersetzt das Bürgergeld dann Hartz IV.

Am heutigen Freitagvormittag hatten die Bundestagsabgeordneten in namentlicher Abstimmung einem Kompromiss zugestimmt, der auf Bestreben der Union zustande gekommen war: 557 Abgeordnete stimmten dafür, 98 dagegen, bei zwei Enthaltungen. Erwartungsgemäß wurde das Bürgergeld auch in der Schlussabstimmung im Bundesrat beschlossen.

Mit der Zustimmung des Bundesrats zum neuen Gesetz ist das Tauziehen von Ampel und Union beendet und ein Kompromiss hinsichtlich der Sozialreform der Ampel-Koalition gefunden.

Dem vorausgegangen war, dass, nachdem die Ampel das neue Bürgergeld im Bundestag durchgewunken hatte, die Union ihre Mehrheit im Bundesrat nutzte, das Vorhaben erstmal auf Eis zu legen und Konditionen nachzuverhandeln.

Vom heutigen Tag an ist das Bürgergeld gesetzt, Parlament und Länderkammer haben im zweiten Anlauf die überarbeitete Version des Bürgergelds verabschiedet. Geblieben sind höhere Leistungssätze, die ab dem 1. Januar 2023 gelten.

Mehr Geld, weniger Sanktionen

Der neue Regelsatz wird 502 Euro sein, das sind 53 Euro mehr, als Hartz-IV-Empfänger mit 449 Euro momentan bekommen. Neben einer Erhöhung der Bezüge wird es in Zukunft weniger strenge Auflagen und Sanktionen geben.

Die Pläne der Ampel-Koalition hatten noch eine „Vertrauenszeit“ von sechs Monaten vorgesehen, in denen es für Arbeitslose etwa bei Pflichtverletzungen keine Leistungsminderungen gegeben hätte. Nach den gefundenen Kompromissen werden Sanktionen nun schon ab dem ersten Tag möglich.

Auch die Karenzzeit mit milderen Regelungen, ursprünglich für 24 Monate geplant, wird jetzt, auf Bestreben der Union, auf einen Zeitraum von zwölf Monaten reduziert.

Angespartes Geld darf auf dem Konto der Bürgergeld-Empfänger bleiben, wie ursprünglich geplant, als Kompromiss wurde jedoch ein geringerer Betrag verabredet: Bürgergeld-Empfänger dürfen ein Vermögen bis 40.000 Euro behalten, im Ursprungsentwurf der Ampel waren 60.000 Euro vorgesehen.

Der Kern der Reform aber ist eine geänderte Vorgehensweise der Jobcenter gegenüber den Arbeitslosen. Im Vordergrund soll jetzt stehen, die Betroffenen in dauerhafte Arbeitsverhältnisse zu bringen statt nur in kurzfristige Hilfsjobs.

„Fördern statt Fordern“ statt „Fördern und Fordern“

„Fördern statt Fordern“, das neue Bürgergeld-Motto: Weiterbildung und Arbeitssuche sollen für die im Vordergrund stehen, die auf Bürgergeld angewiesen sind. Als Anreiz dafür, dass sie hier den Fokus setzen, sind 150 Euro Weiterbildungsgeld pro Monat beim Nachholen eines Berufsabschlusses oder 75 Euro zusätzlich für die Teilnahme sonstigen Weiterbildungsmaßnahmen eingeplant.

Fördern statt Fordern? Richtig: Der Slogan ist die Umdeutung von „Fördern und Fordern“, dem Werbeslogan, mit dem Gerhard Schröder und seine rot-grüne Koalition das unter dem Kürzel „Hartz IV“ bekannte Gesetzespaket der Öffentlichkeit verkauft hatten.

Die SPD unter Kanzler Scholz nutzt jetzt die Gelegenheit, sich symbolisch auch auf diesem Wege noch weiter von ihrem Putin-treuen SPD-Kanzler Gerhard Schröder zu distanzieren. Längst vergessen ist, dass Schröders Agenda 2010 überhaupt erst jene Kassen gefüllt hatte, welche den Merkel-Regierungen ein komfortables Arbeiten ermöglicht hatten.

Das Bürgergeld soll entbürokratisiert werden, der Antrag digital und unkompliziert ablaufen, auf viele beim Hartz IV üblichen Bescheide und Formulare wird zukünftig verzichtet.

Die Ansprechhaltung den Betroffenen gegenüber soll ebenfalls deutlich geändert werden: „Klar und freundlich“ statt der bisherigen komplexen Rechtstexte oder Rechtsfolgebelehrungen.

Systemwechsel oder Verschiebung innerhalb des Systems?

Handelt es sich beim neuen Bürgergeld, das jetzt nach fast 20 Jahren Hartz IV eingeführt wird, um einen Systemwechsel?

Das kommt wahrscheinlich auf den Blickwinkel an. Immerhin etwas Wesentliches hat sich geändert: Der Fokus wird auf Weiterqualifizierung gelegt, erkennbar am Weiterbildungsgeld. Aber reicht das, um die Menschen anders als noch unter Hartz-IV neu zu motivieren?

Denn am Grundprinzip hat sich ja nichts geändert: Alles in allem bleibt das Bürgergeld eine Art Grundsicherung, die durch Steuern finanziert wird, genauso wie Hartz IV. Schon von daher kann maximal von einer Verschiebung innerhalb des bestehenden Systems gesprochen werden. Denn die Grundbedingungen für den Erhalt des Bürgergeldes sind nach wie vor ein vom Empfänger nachzuweisender Bedarf, Arbeitslosigkeit und auch die Pflicht zur Mitwirkung haben sich nicht geändert.

Auch die Höhe des Bürgergeldes bleibt letztlich knapp bemessen, genauso wie schon Hartz IV. Die 50-Euro-Erhöhung wird im praktischen Alltag der Betroffenen keinen großen Unterschied ausmachen.

Über fünf Millionen Bürgergeldler

Die Neuregelung ab Januar 2023 betrifft mehr als fünf Millionen Menschen. Wer bisher schon Anspruch auf Arbeitslosengeld II oder der Grundsicherung für Arbeitssuchende hat, bekommt ab Januar 2023 Bürgergeld.

Und noch etwas ist erwähnenswert: Laut einer Übersicht der Bundesarbeitsagentur vom September 2022 hat sich der Anteil ausländischer Hartz-IV-Bezieher seit 2016 von 23 auf nun 45 Prozent erhöht. Seit Juni sind circa 600.000 Flüchtlinge aus der Ukraine zusätzlich ins System der deutschen Grundsicherung hinzugekommen. Noch ist nicht sicher, ob sie wieder gehen oder gekommen sind, um vielfach zu bleiben.

Als die Schröder-Regierung Hartz IV einführte, lag die Empfehlung einer eigens einberufenen Hartz-IV-Kommission schon bei einem monatlichen Satz von 511 Euro. Der Satz wurde aber um 30 Prozent niedriger angesetzt und verabschiedet. Bedürftige im Westen bekamen 345 Euro, im Osten 331 Euro.

Das waren also fast 200 Euro weniger, als laut Expertenberechnung für ein menschenwürdiges Leben gebraucht wurde. Und sogar heute, im Inflationsjahr 2022, liegt der Hartz-IV-Satz noch unter dem vor 17 Jahren schon errechneten Mindestsatz. Ebenso wie der ab 2023 geltende Mindestsatz von 502 Euro beim Bürgergeld.



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