Brücken bauen – das Credo der Zukunft?
Carina Dackweiler steht vor den Trümmern ihres Hauses. 10 Jahre hatte sie allein das Haus bewohnt, das vorher ihrer Oma gehört hatte. Dann kam die Flut. Sie war arbeiten und wollte nach Hause fahren, um – wie alle in Dernau – die wichtigsten Habseligkeiten in den ersten Stock zu räumen. Im Ahrtal war man informiert, dass das Wasser steigen wird, also tat man das, was man in so einem Fall immer tat. Man räumte alles ein bisschen nach oben – für den Fall der Fälle.
Doch als Frau Dackweiler sich auf den Weg machen wollte, war es schon zu spät. Das Wasser stieg im Sekundentakt. Auf Empfehlung ihrer Mutter brachte sie sich bei ihrem Freund in Sicherheit. Wie sie später erfährt, stand das Wasser im 1. Stock ihres Hauses ungefähr auf Hüfthöhe. Dass das Haus nicht von den Fluten mitgerissen wurde, verdankte es dem Umstand, dass es inmitten einer Häuserreihe stand. Trotzdem steht eine Woche später kein Stein mehr auf dem anderen. „Als wir mitten in den Aufräumarbeiten waren, kam ein Statiker vorbei und sprach von ‚Gefahr in Verzug‘. Am selben Abend noch wurde es abgerissen.“
Gutachter seien im gesamten Flutgebiet unterwegs und würden sich alle Häuser anschauen. Es gäbe einige mehr, die abgerissen wurden, erzählt sie mit traurigem Blick.
Dernau ist wunderschön gelegen inmitten der Weinberge. Von oben geschaut, offenbart sich das ganze Ausmaß der Verwüstung. Von getrocknetem Schlamm überzogene Straßen, die zusammengestürzte Brücke, braune Flächen der Verwüstung direkt an der Ahr. Nur die Häuser am Rand der Weinberge sind verschont geblieben. Zwei Wochen nach der Flutkatastrophe ziehen immer noch freiwillige Helfer mit Schaufeln und Besen durch die Straßen, Elektriker arbeiten an Verteilungskästen, damit der Strom wieder fließen kann.
Ein Telekom-Mitarbeiter erzählt, man habe im Ahrtal mehrere Tausend Handys mit 3 Monaten Freiguthaben und Powerbanks verteilt, weil die Festnetzanschlüsse wohl noch längere Zeit nicht funktionieren werden. Eine logistische Meisterleistung.
Auch die bei Wein-Touristen beliebte Bahnstrecke bietet ein Bild der Verwüstung. Die Schienen, die entlang des Flusses laufen, sind komplett unterspült und zerstört worden. Wann hier Touristen wieder Einzug halten, bleibt abzuwarten. Die meisten Winzer interessiert das im Moment jedoch kaum.
Während Gisbert Ley (58) vom ältesten Weingut in Dernau versucht zu retten, was noch zu retten ist, freut er sich in erster Linie darüber, dass er noch am Leben ist. 16 Tote im Ort lassen ahnen, dass das nicht selbstverständlich ist.
„Das Wasser kam so schnell“, sagt er. „Wir haben die wichtigsten Dinge einfach hochgestellt, also zum Beispiel den Computer auf den Schrank. Aber dass das Wasser dann in den ersten Stock kommt, damit hatte keiner gerechnet.“ Vom obersten Stockwerk aus hat er beobachtet, wie Autos und Gastanks vorbeigeschwommen kamen. „Alles kam hier vorbei. Und das Wasser ist gestiegen und immer weiter gestiegen, man konnte richtig sehen, wie das Wasser Meter um Meter stieg, dabei waren gerade nur fünf oder zehn Minuten vorbei. Das war fürchterlich.“
Zwei Wochen später werden die im Schankraum gelagerten Weinflaschen von freiwilligen Helferinnen von ihrer Schlammschicht befreit. Ley ist sich nicht sicher, ob er den Betrieb weiterführen wird, die Neu-Anschaffungskosten für die kaputten Geräte seien enorm. Der Wein 2021 ist wohl gesichert, weil sich die Weinbauern untereinander helfen können. Dennoch hat er etwa ein Drittel seiner Weinreben verloren, weil sie sich in der Talsohle befinden.
Die Brücke überlebte alles, nur 2021 nicht
Drei Kilometer weiter im Weindorf Rech hat Dominik Gieler in seiner Doppelfunktion als Polizist und ehrenamtlicher Bürgermeister alle Hände voll zu tun. Auf seiner gelben Jacke hat er den Schriftzug „Polizei“ abgeklebt. Dass seine Mutter noch als vermisst gilt, darüber denkt er jetzt nicht nach. Zu viel gibt es zu tun, um wenigstens die elementarsten Dinge im Ort wieder herzustellen.
Die Nepomukbrücke, das Wahrzeichen des Ortes, hatte das schlimme Hochwasser von 1910 überstanden, diesmal war die Wucht, mit der sich das Wasser Bahn brach, jedoch zu stark gewesen. Das alte Bauwerk ist unpassierbar geworden. Die Bundeswehr hat wenige Meter weiter eine Behelfsbrücke errichtet, damit man auf die andere Seite des Ortes gelangen kann. Der wolkenverhangene Himmel verstärkt an diesem Tag das Gefühl von Abgeschiedenheit.
Dass man von Rech aus nicht mehr weiterkam, musste auch Jungunternehmer Yannik Schlottau feststellen. Er fährt normalerweise durch das Ahrtal und beliefert seine Kunden mit unverpackten Lebensmitteln. Durch die Katastrophe musste er schnell umdenken.
„Ursprünglich wollte ich so weit wie möglich ins Ahrtal hineinfahren“, erzählt er gegenüber Epoch Times. „Und dann bin ich hier in Rech gestrandet“. Schon seit zwei Tagen hatte es in dem Ort keinerlei Zulieferung mehr gegeben. „Hier war noch nichts, kein Essen, keine Getränke – also eine Katastrophe.“
Gemeinsam mit den Weinbauern wurde schnell der Standort des Lieferfahrzeugs beschlossen, Gespräche mit dem Bürgermeister und der Feuerwehr folgten. Inzwischen hat Schlottau die alte Bäckerei, die auch überflutet und dann ausgeräumt wurde, in Betrieb genommen. Der Laden wurde mit Hygieneartikeln und Lebensmitteln eingerichtet. Hier kann sich jeder Anwohner und Helfer kostenfrei etwas von den Sachspenden nehmen. In einem vor kurzem noch geschlossenen Elektrogeschäft ist nun ein Getränkemarkt, in dem es auch Werkzeuge, Schuhe und Gummistiefel gibt.
Überschwemmte Rheinwiesen
Das Ahrtal Richtung Rhein wieder verlassend sieht man Dankesschilder, die an den Häusern angebracht wurden. Ein netter Abschiedsgruß an all die vielen freiwilligen Helfer.
In Sinzig angekommen, sieht man auch hier die Schäden, die das Wasser angerichtet hat. In den nahe gelegenen Rheinwiesen vermutet man noch viele Leichen unter dem angespülten Schutt und Geröll. Hundestaffeln suchen das Gebiet ab. Anwohner warnen, dass dort Lebensgefahr bestehe wegen umgefallener Strommasten. Bestimmte Gebiete sind abgesperrt.
Jetzt, nachdem sich die Menschen von einer Art Schockstarre erholt haben, scheint die Stimmung mancherorts zu kippen. So zumindest empfindet das ein Anwohner. „Bis jetzt haben alle viel zu tun gehabt, nun fangen die Leute aber an nachzudenken und fallen in ein Loch“, sagt er. Nachdem sie alles oder vieles verloren hätten, würden sie jetzt realisieren, dass sie teilweise nicht versichert waren. Jetzt werde der ein oder andere schon mal aggressiv. Nach eigenen Angaben habe er eine Frau davon abgehalten vom Balkon zu springen. In einem Ort an der Ahr hätte jemand Selbstmord begangen.
Ein Soldatenfriedhof in den Ahrwiesen am Ortsrand von Bad Bodendorf, auf dem über 1.000 deutsche Soldaten begraben sind, die von April bis Juli 1945 in den Gefangenenlagern bei Remagen und Sinzig gestorben sind, wurde auch in Mitleidenschaft gezogen. So auch das Gelände für die Landesgartenschau 2023 in Bad Neuenahr, die nun ausfallen soll.
Das Dilemma von Ahrweiler
Ein Tag später in Ahrweiler. Die Aloisius-Grundschule, die seit zwei Wochen als Anlaufstelle für humanitäre Hilfe bei allen Betroffenen im Ort bekannt und beliebt ist, musste bis 19 Uhr geräumt sein. Die Kreisverwaltung hatte ein entsprechendes Schreiben geschickt. Den Helfern, die ursprünglich aus einem „Veteranenpool“ stammten, wird Nähe zu Rechten und Querdenkern vorgeworfen. Obwohl der Schulleiter den Helfern um Klaus Faber den Schlüssel damals bereitwillig ausgehändigt hatte, heißt es nun, sie hätten die Schule angeblich unberechtigt besetzt. Auch wolle man die Schule jetzt sanieren, hieß es in einer weiteren Begründung.
Nachdem Oberst a.D. Maximilian Eder als erfahrener Katastrophenexperte das Kommando in der Schule übernommen hatte, begann der Ärger. Querdenker seien vor Ort, hieß es. Der politische Druck nahm zu. Eine Kinderbetreuungsstelle musste wieder geschlossen werden, angeblich würde man die Kinder mit rechtem Gedankengut infiltrieren. Eder verließ den Ort daraufhin wieder.
Faber und die Reservisten von Bundeswehr und NVA halfen weiter unermüdlich. Täglich wurden warme Essen ausgegeben, qualifizierte Sanitäter kümmerten sich um Verletzte. Auch die Hilfsbereitschaft im Hintergrund war für Faber unbeschreiblich. Plötzlich habe Edeka mit vier LKW voll mit Nahrungsmitteln vor der Tür gestanden, dann schickte auch Rewe noch zwei Laster. Vertreter von Aral brachten 1.500 Tankgutscheine á 50 Euro. Was gebraucht wurde, war kurze Zeit später da.
Emotional sehr berührend sei das alles gewesen, erzählt Faber gegenüber Epoch Times. „Gestandene Männer sind in Tränen ausgebrochen. Zum einen wegen des unvorstellbaren Ausmaßes der Zerstörung zum anderen war es so berührend, wie selbstlos die Freiwilligen Hand in Hand arbeiteten. Da gab es kein Wenn und kein Aber, jeder packte an, wo immer er gerade gebraucht wurde. Alle waren nur aus einem einzigen Grund gekommen – sie wollten helfen.“
Faber wollte eigentlich bleiben, bis er nicht mehr gebraucht wird, stellte aber nach 10 Tagen fest, dass er eine Pause brauchte. „Man kommt hier tatsächlich an seine Grenzen physischer und psychischer Belastbarkeit. Das hätte ich vorher nicht gedacht.“
Und dann war da noch der ständige Ärger, die Diffamierungen in den Medien. „Ich muss es wirklich immer wieder betonen, wir sind Privatpersonen, die sich vor Ort selbst organisieren. Es geht nicht um Politik. Wir sind da, um zu helfen.“
Seit einigen Tagen ist er zu Hause und erfährt aus der Ferne von dem Räumungsbefehl in Ahrweiler. Und nicht nur das. Traurig und zugleich wütend berichtet er, dass noch am selben Abend Diebe die nun unbeaufsichtigte Schule geplündert haben. Augenzeugen sprachen ihm gegenüber von einer Bande Osteuropäer, die in Transportern unterwegs gewesen sei und alles mitgenommen hat, was brauchbar war.
Keiner nimmt Schiffmanns Spenden an
Man kann die Geschichte des Hilfsprojekts in Ahrweiler nicht erzählen, ohne einen wichtigen Mit-Initiator zu nennen. Während viele an vorderster Front im Einsatz waren, half er im Hintergrund. Er sammelte Spenden über einen Moneypool bei Paypal, die er an schwer betroffene Gemeinden abgeben wollte. Bis zum 23. Juli waren etwa 700.000 Euro zusammengekommen.
Laut Aussage einer der Anwälte von Bodo Schiffmann will jedoch keiner das Geld annehmen. Der Arzt aus Sinsheim ist als Querdenker „geframt“. Da habe der Bürgermeister von Schuld – eine Ortschaft, die schwer betroffen war – gesagt: „Das ist zwar eine Menge Geld, aber wir haben im Internet recherchiert. Mit Querdenkern wollen wir nichts zu tun haben. Wir nehmen das Geld nicht an.“ Ähnliche Reaktionen soll es von weiteren Bürgermeistern im schwer geschädigten Ahrtal gegeben haben.
Schiffmann hofft jetzt, dass die Bürger vor Ort eine Bürgerinitiative gründen, wie etwa „Flutopfer für Flutopfer“. Dieser würde er dann das Geld überweisen.
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe KW29
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