Brandner-Tweet „Judaslohn“: Claudia Roth verteidigt Udo Lindenberg

Nach dem vieldiskutierten „Judaslohn“-Tweet des Vorsitzenden des Rechtsausschusses im Bundestag, Stephan Brandner, mit dem dieser auf eine Hasstirade des Sängers Udo Lindenberg gegen die AfD reagiert hatte, sehen Grüne die Kunstfreiheit gefährdet.
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Claudia RothFoto: über dts Nachrichtenagentur
Von 5. November 2019

„Kultur entsteht durch Austausch, nicht durch Abschottung oder Begrenzung“, erklärte Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth nach einem Bericht der „Welt“ am Montag (4.11.) in Berlin. Kunst, so fügte sie hinzu, „ist frei, muss nicht gefallen und darf nicht dienen.“ Ihr Parteifreund, Grünen-Kultursprecher Erhard Grundl, zeigt sich ebenfalls besorgt: „Die gezielten Angriffe auf die Freiheit von Kunst und Kultur nehmen zu, auch in Deutschland.“

Beide Äußerungen standen nicht im Zusammenhang mit Entwicklungen wie jener um den Maler Axel Krause, der im Sommer aufgrund seiner politischen Überzeugung von der „Leipziger Jahresausstellung“ ausgeladen wurde, oder mit der Entlassung des Filmproduzenten Hans Joachim Mendig als Chef der Hessischen Filmförderung nach einem Mittagessen mit AfD-Chef Jörg Meuthen. Vielmehr bezogen sie sich auf Kunst, die zumindest in den vergangenen Jahren dem politischen Establishment in Deutschland durchaus gefallen und gedient hat.

Lindenberg äußerte Wunsch nach DDR-Auftritten

Der in Westfalen geborene Musiker und Wahlberliner Udo Lindenberg hatte sich in den 1980er Jahren einen Nimbus als vermeintlicher Regimekritiker der DDR geschaffen, als er in seinem Song „Sonderzug nach Pankow“ seinen erstmals 1979 geäußerten Wunsch erneuerte, in der damaligen Ostzone aufzutreten. Am 25. Oktober 1983 durfte Lindenberg auch tatsächlich für 15 Minuten unter Stasi-Überwachung im Palast der Republik singen. Eine beabsichtigte DDR-Tournee 1984 wurde von der Führung in Ostberlin jedoch abgesagt.

Nach der Wiedervereinigung gab es zu keiner Zeit mehr Unstimmigkeiten zwischen Künstler Udo Lindenberg, der Anfang der 1990er Jahre auch zu malen begann, und der Regierung. Im Gegenteil: Bilder Lindenbergs hängen mittlerweile im deutschen Bundeskanzleramt, im Jahr 2010 beauftragte das Bundesministerium der Finanzen ihn mit der Gestaltung zweier Sondermarken.

Der bekennende Sozialdemokrat, der sogar schon einmal auf einer Geburtstagsfeier für Ex-Bundeskanzler Gerhard Schröder gespielt hatte, erhielt jüngst sogar das Bundesverdienstkreuz aus den Händen seines Parteifreundes, des Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier.

Enge Verzahnung mit der politischen Elite

Obwohl sich Lindenberg augenscheinlich nicht in besonders erbitterter Gegnerschaft zur deutschen Regierung befindet und auch sonst nichts darauf hindeutet, dass seine künstlerische Freiheit durch irgendeine Form hoheitlichen Handelns gefährdet sein könnte, warnen Roth und Grundl vor einer vermeintlichen Bedrohung der Kunstfreiheit in Deutschland.

Diese sehen sie in einem kritischen und mittlerweile wieder gelöschten Tweet verwirklicht, den der Vorsitzende des Rechtsausschusses im Deutschen Bundestag, Stephan Brandner (AfD), anlässlich der Auszeichnung Lindenbergs mit dem Bundesverdienstkreuz abgesetzt hatte. Er stellte die Verleihung in einen Zusammenhang mit vorhergehenden Äußerungen Lindenbergs, der ebenfalls auf Twitter auf das Landtagswahlergebnis mit Pöbeleien und Nazivergleichen gegen die AfD reagiert hatte.

„Klar, warum der gegen uns sabbert/sabbern muss“, antwortete Brandner darauf. Seiner Äußerung fügte er einen Hashtag „#Judaslohn“ an. Daraufhin warfen ihm Politiker anderer Parteien „Antisemitismus“ vor und forderten seinen Rücktritt vom Vorsitz des Rechtsausschusses. Brandner wies diese Forderungen zurück und verwies darauf, dass auch Politiker anderer Parteien von Rainer Brüderle (FDP) bis hin zu Johannes Kahrs und Karl Lauterbach (jeweils SPD) diesen in Plenardebatten verwendet hatten.

Diskussion um Rechtsgrundlage für Abwahl

Der Geschäftsordnungsausschuss des Parlaments wurde nun um eine rechtliche Bewertung gebeten, inwieweit eine Abwahl des Ausschussvorsitzenden durch die Ausschussmitglieder möglich sei, sagte der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion, Michael Grosse-Brömer (CDU), am Dienstag. Brandner sei „seinem Amt offenbar nicht gewachsen“.

Eine ausdrückliche Regelung gibt es in der Geschäftsordnung nicht. Der Leipziger Staatsrechtler Christoph Degenhart sieht jedoch keine juristischen Hürden für eine Abwahl. „Die Wahl des Ausschussvorsitzenden liegt im Rahmen der Geschäftsautonomie des Ausschusses, die auch für die Abwahl beziehungsweise die Wahl eines neuen Vorsitzenden gelten dürfte“, sagte er dem „Handelsblatt“.

Vertreter sämtlicher anderer Fraktionen erneuerten am Dienstag ihre Kritik an Brandner. Linksfraktionschef Dietmar Bartsch sagte in Berlin, Brandner sei als Rechtsausschussvorsitzender „untragbar“. Allerdings wollte Bartsch keine Einschätzung abgeben, wie die Abwahl „rechtlich und verfassungsrechtlich zu bewerkstelligen ist“. Sollte es tatsächlich zu einer Abwahl kommen, dürfte ein Fraktionskollege Brandners den Ausschussvorsitz übernehmen.

(Mit Material von dts und afp)

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