Brandbrief an Scholz: Kassen und Sozialverbände fordern Milliarden für die Pflege
Die gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen sowie die großen Sozialverbände haben in einem gemeinsamen Brief an Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) und Finanzminister Christian Lindner (FDP) Steuer-Milliarden für die Pflege gefordert. Im Jahr 2021 betrugen die Ausgaben in der sozialen Pflegeversicherung über 50 Milliarden Euro.
Die hohen Defizite in der Pflegeversicherung müssten rasch durch Steuermittel ausgeglichen werden, heißt es in dem Schreiben, das dem „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND, Freitagsausgaben) vorlag. Der Finanzierungsbedarf allein für die kurzfristige Stabilisierung in diesem Jahr betrage mindestens 4,5 Milliarden Euro.
„Wir bitten Sie daher eindringlich, die Finanzierung der sozialen Pflegeversicherung durch Bundesmittel schnell zu stabilisieren, damit die notwendige Sicherung der Liquidität nicht ausschließlich zulasten der Beitragszahlenden erfolgt“, fordern die Kassen und Verbände. Sie verweisen in ihrem Brief auf das im vergangenen Jahr entstandene Defizit der gesetzlichen Pflegeversicherung in Höhe von 2,25 Milliarden Euro. Für das laufende Jahr werde ein weiterer Fehlbetrag von drei Milliarden Euro erwartet.
Mehrkosten durch die Corona-Krise
Wesentliche Kostentreiber sind dem Brief zufolge die wachsende Zahl an Pflegebedürftigen sowie die steigenden Ausgaben unter anderem durch die gesetzlich vorgeschriebene Bezahlung der Pflegekräfte nach Tariflohn. Zudem habe der Bund bisher die Mehrkosten durch die Corona-Krise in Höhe von insgesamt 5,5 Milliarden Euro nicht erstattet.
Daneben spielt die demografische Entwicklung beim Anstieg eine Rolle und die anhaltende hohe Migration.
Der Brief wurde dem RND zufolge von allen Verbänden der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen auf Bundesebene sowie von mehreren Sozialverbänden und der Bundesarbeitsgemeinschaft der Freien Wohlfahrtspflege unterschrieben.
Lauterbach will Beitragssatz erhöhen
Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) kündigte – offenbar als Antwort auf den Brandbrief – an, den Beitragssatz zum 1. Juli nach einem Pressebericht um 0,35 Prozentpunkte zu erhöhen. Das gehe aus einem Referentenentwurf des Bundesgesundheitsministeriums für ein Gesetz zur Unterstützung und Entlastung in der Pflege hervor, berichtete das „Redaktionsnetzwerk Deutschland“ (RND) am Freitag, 24. Februar. Ab 2024 soll demnach die finanzielle Unterstützung für pflegende Angehörige steigen.
„Zur Sicherung der finanziellen Stabilität der sozialen Pflegeversicherung“ werde „der Beitragssatz zum 1. Juli 2023 moderat um 0,35 Prozentpunkte angehoben“, heißt es laut RND in dem Referentenentwurf. Die Erhöhung sei „unumgänglich“. Gründe seien die demografische Entwicklung, höhere Ausgaben für die Eigenanteilsreduzierung in der vollstationären Pflege, die hohen Kosten für die Erstattung von Pandemie-Mehraufwendungen und Mindereinnahmen der Pflegeeinrichtungen.
Das Gesundheitsministerium wolle sicherstellen, dass die Pflegeversicherung der Aufgabe auch weiterhin nachkommen könne, unter anderem „Pflegebedürftige und Pflegepersonen, insbesondere pflegende Angehörige, wirksam zu unterstützen“, berichtete das RND weiter. Lauterbach wolle deswegen die häusliche Pflege stärken. Dafür werde das Pflegegeld zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent erhöht.
Pflegesachleistungen sollen angehoben werden
Auch die Pflegesachleistungen sollen demnach angehoben werden. Im Entwurf heißt es laut RND: „Angesichts lohnbedingt steigender Pflegevergütungen ambulanter Pflegeeinrichtungen werden die ambulanten Sachleistungsbeträge zum 1. Januar 2024 um fünf Prozent angehoben.“
Weiter solle dem „Trend zu steigenden Eigenanteilen noch stärker entgegengewirkt“ werden, schreibt das Ministerium dem Bericht zufolge. Laut Entwurf sollen demnach die Leistungszuschläge zur Reduzierung der von den Pflegebedürftigen zu tragenden Eigenanteile in der vollstationären pflegerischen Versorgung ab dem 1. Januar 2024 nochmals um fünf bis zehn Prozentpunkte erhöht werden.
Dem Entwurf zufolge soll der Kinderlosenzuschlag um 0,25 Beitragssatzpunkte auf 0,6 Beitragssatzpunkte angehoben werden. „Mitglieder mit mehreren Kindern werden ab dem zweiten Kind bis zum fünften Kind in Höhe von 0,15 Beitragssatzpunkten je Kind entlastet (ab dem fünften Kind gleichbleibende Entlastung in Höhe eines Abschlags von 0,6 Beitragssatzpunkten)“, heiße es weiter.
Rund 5 Millionen Menschen pflegebedürftig
Im Dezember 2021 waren in Deutschland 4,96 Millionen Menschen pflegebedürftig im Sinne des Pflegeversicherungsgesetzes (SGB XI). Wie das Statistische Bundesamt (Destatis) weiter mitteilt, hatte die Zahl der Pflegebedürftigen im Dezember 2019 bei 4,13 Millionen gelegen. Bei der starken Zunahme um 0,83 Millionen Pflegebedürftige (+20 %) zeigen sich weiterhin Effekte durch die Einführung des weiter gefassten Pflegebedürftigkeitsbegriffs zum 1. Januar 2017. Zudem waren geschätzt 160.000 Personen mit Anspruch auf Leistungen nach dem Pflegegrad 1 bisher nicht erfasst, auch darauf ist ein Teil des Anstiegs zurückzuführen.
Migranten durchschnittlich früher pflegebedürftig
Menschen mit Migrationshintergrund, so eine Studie aus dem Jahr 2017, werden durchschnittlich um etwa zehn Jahre früher pflegebedürftig (62,1 Jahre) als Menschen aus der autochthonen Bevölkerung (72,7 Jahre) (BMG 2011). Das ist teilweise durch die oft geringere berufliche Qualifikation und damit einhergehend durch Arbeitsbiografien mit körperlich schweren Belastungen begründet.
Auch liege der Anteil von Pflegebedürftigen unter 60 Jahren in der Bevölkerung mit Migrationshintergrund mit 29 Prozent höher als mit 13,5 Prozent in der autochthonen Bevölkerung (BMG 2011, 60; Statistisches Bundesamt 2013). Pflegebedürftige mit Migrationshintergrund haben häufiger eine höhere Pflegestufe (15 Prozent gegenüber neun Prozent in der autochthonen Bevölkerung) (Kohls 2012; BMG 2011). Gleichzeitig findet man allerdings in dieser Bevölkerungsgruppe häufiger eine ausschließlich häusliche Pflege, die durch Angehörige geleistet wird. Dabei gibt es kulturell bedingt große Unterschiede, wie stark Pflegerichtungen genutzt werden.
Migranten nehmen gesetzliche Pflegeleistungen unterdurchschnittlich in Anspruch
Bislang nehmen Migranten im Vergleich zur Bevölkerung ohne Migrationshintergrund gesetzliche Pflegeleistungen unterdurchschnittlich in Anspruch. Allerdings geht man davon aus, dass sich dies in Zukunft ändert und mehr stationäre beziehungsweise professionelle Pflegeleistungen in Anspruch genommen werden.
Dies sieht man einerseits in Verbindung mit wandelnden demografischen Strukturen, andererseits, weil die von älteren Migranten bislang gegebenen familiären Solidar- und Unterstützungspotenziale nachlassen werden. Es deutet sich an, dass der Wunsch älterer Migranten nach familiärer Unterstützung im Fall von Hilfs- und Pflegebedürftigkeit in den nachfolgenden Generationen bedingt durch veränderte soziale Normen, Lebensstile und Lebensentwürfe an Grenzen stößt. Hier sieht man Parallelen zu Entwicklungen in der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund.
Arbeitgeber und Arbeitnehmer zahlen ein
Die Pflegekasse wird durch die soziale Pflegeversicherung finanziert. Sie wird grundsätzlich paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern einkommensabhängig bis zur Beitragsbemessungsgrenze gezahlt.
Der Beitragssatz liegt bei 3,05 Prozent des Bruttoeinkommens, bei Kinderlosen seit dem 1. Januar 2022 bei 3,4 Prozent des Bruttoeinkommens (Beitragssatz plus Beitragszuschlag für Kinderlose).
Arbeitnehmer und Arbeitgeber tragen den Beitrag – ohne den Kinderlosenzuschlag – grundsätzlich zur Hälfte, also jeweils 1,525 Prozent.
Eine abweichende Regelung gilt im Bundesland Sachsen, das bei der Einführung der Pflegeversicherung keinen Feiertag gestrichen hatte. Dort entfallen von den 3,05 Prozent Pflegeversicherungsbeitrag 2,025 Prozent auf die Beschäftigten und 1,025 Prozent auf die Arbeitgeber.
Rentner, die vor dem 1. Januar 1940 geboren sind, kinderlose Altersrentner und Bezieher von Versorgungsbezügen müssen keinen Beitragszuschlag zahlen. Für Sozialleistungsempfänger fällt der Pflegeversicherungsbeitrag komplett weg. (afp/er)
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