Blamage für Lambrecht: Steinmeier hat verfassungsrechtliche Bedenken gegen „Hassrede“-Gesetz
Bundesjustizministerin Christine Lambrecht bezeichnete das am 18. Juni beschlossene Gesetz zur „Bekämpfung von Rechtsextremismus und Hasskriminalität“ als „für die Verteidigung unserer Demokratie und unseres Rechtsstaats von zentraler Bedeutung“.
Ereignisse wie der Mord am Kasseler Regierungspräsidenten Walter Lübcke, der Terroranschlag in Halle oder der Amoklauf in Hanau würden die Dringlichkeit der Gesetzgebung unterstreichen, hieß es aus dem Ministerium.
Mittlerweile zeichnet sich ein anderes Bild ab: Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier sah sich nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts im Juli veranlasst, die Notbremse zu ziehen und das sogenannte Ausfertigungsverfahren auszusetzen.
„Hassrede“ als Begriff nicht fassbar
Kritiker des Gesetzesvorhabens hatten bereits im Vorfeld geargwöhnt, dass am Ende des Gesetzgebungsverfahrens bestenfalls bestehende Gesetze nachgebessert würden. Im schlimmsten Fall würde ein Gesetz erlassen, das wegen seiner Verfassungswidrigkeit eines Tages vom Bundesverfassungsgericht wieder zu Fall gebracht würde.
Die Skepsis resultierte daher, dass „Hass“ und „Hetze“ keine Begriffe seien, die sich juristisch darstellen ließen. Dies sei aber für einen strafgesetzlichen Tatbestand erforderlich. Hinzu komme, dass Tathandlungen wie Drohungen, Beleidigungen, Volksverhetzung, Aufrufe zu Straftaten oder ähnliches, ob sie nun durch Hass oder andere Emotionen motiviert seien, schon – vor dem Inkrafttreten eines solchen Gesetzes – strafbare Handlungen darstellten – online wie offline.
Diese Umstände scheinen auch an den Ministerialbeamten nicht spurlos vorübergegangen zu sein, die den Entwurf für das Gesetz verfasst hatten. Der Entwurf baute im Grunde auf bereits bestehende Bestimmungen des StGB auf und sah lediglich in Teilbereichen Erweiterungen der Strafbarkeit vor.
So wurde der Anwendungsbereich des Tatbestandes der Bedrohung nach § 241 StGB ausgeweitet, sodass nicht mehr mit einem Verbrechen gedroht werden muss, um eine Strafbarkeit zu begründen. Dem Entwurf nach wären Androhungen von Taten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit, die persönliche Freiheit oder gegen bedeutende Wertsachen, die sich gegen die Betroffenen oder ihnen nahestehende Personen richten, ebenfalls strafbar. In bestimmten Konstellationen wurde der Strafrahmen erhöht.
Ähnliches galt für Beleidigungstatbestände. Zudem wurde der besondere Schutz von Personen des politischen Lebens gegen üble Nachrede und Verleumdung auf Kommunalpolitiker ausgedehnt.
Neuerung bringt vor allem die Meldepflicht
Verschärfungen gab es im Bereich der Belohnung und Billigung von Straftaten, wenn diese den Zweck verfolgen, ein „Klima der Angst“ zu schaffen. Antisemitismus als Motiv für eine Straftat sollte ebenfalls ausdrücklich als strafschärfender Beweggrund in § 46 Abs. 2 StGB aufgenommen werden.
Somit handelt es sich nicht um ein grundlegend neues Gesetz, sondern um eine Verschärfung eines bestehenden. Die eigentliche Neuerung, die das Gesetz gegen „Hassrede“ bringen sollte, betraf die Meldepflicht für Betreiber sozialer Medien.
Die Netzwerke sollten demnach gesetzeswidrige Beiträge nicht mehr nur löschen müssen, sondern dem BKA auch die Strafverfolgung durch Mitteilung von IP-Adresse und Port-Nummer des Nutzerprofils ermöglichen.
Verfassung verlangt Anfangsverdacht
Diesem Vorhaben hat das Bundesverfassungsgericht allerdings einen Strich durch die Rechnung gemacht: Im Juli urteilte das Höchstgericht in einem anderen Zusammenhang, dass es unzulässig sei, ein Reservoir an Bestandsdaten anzulegen und manuell abzufragen, ohne dass es ausreichende Gründe für ein solches Vorgehen gebe.
Die Grundsätze des Urteils würden sich jedoch Experten zufolge auch auf die entsprechenden Passagen des Gesetzes zur „Hasskriminalität“ anwenden lassen. Das Blog „Netzpolitik“ verweist auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes.
Dieses geht davon aus, dass die Übermittlung von Bestandsdaten sozialer Netzwerke an das BKA ohne einen erkennbaren Anfangsverdacht verfassungswidrig wäre. Damit wäre aber auch das Gesetz gescheitert. Teile des Hasskriminalität-Gesetzes seien unverhältnismäßig, weil es an begrenzenden Eingriffsschwellen fehle.
Wollte Steinmeier Lambrecht vor Blamage bewahren?
Steinmeier will ein solches Scheitern offenbar nicht riskieren. Wie die „Süddeutsche“ berichtete, soll der Präsident nun darauf drängen, erforderliche Anpassungen „möglichst unverzüglich zu erarbeiten und einzubringen“.
Ulf Buermeyer von der Bürgerrechtsorganisation Gesellschaft für Freiheitsrechte (GFF) sagte gegenüber „Netzpolitik“: „Die völlig richtige Entscheidung des Bundespräsidenten ist eine einzige Blamage für Justizministerin Lambrecht, die mit dem komplexen Thema offensichtlich überfordert ist und sich daher grundrechtsfeindliche Überwachungsfantasien aus dem Innenministerium in den Block diktieren lässt.“
Buermeyer sagte weiter: Statt der punktuellen Nachbesserungen wäre der „saubere Weg“, dass Steinmeier das Gesetz nicht ausfertigt und danach das Parlament ein verfassungsmäßiges Gesetz neu beschließt.
Grünen-Politikerin Renate Künast sagte gegenüber der Süddeutschen, die Bedenken seien abzusehen gewesen – auch bereits vor dem Urteil des BVerfG. Das Bundesverfassungsgericht hätte bereits 2012 ähnliche Befugnisse zum Datenabruf beanstandet. Die Grünen hätten daher ein zweistufiges Verfahren vorgeschlagen. Die Netzwerke sollten erst lediglich den mutmaßlich rechtswidrigen Post an das BKA übermitteln. Sollte dieses den Anfangsverdacht bejahen, könne der Datenabruf erfolgen.
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