Bilanz der Merkel-Ära: „Unser Staat hat Leute wie uns längst aufgegeben“
Der deutsche Bundeshaushalt hat das Jahr 2016 mit einem Überschuss von 6,2 Milliarden Euro abgeschlossen. So schallte es im Januar aus dem Bundesfinanzministerium. Und das Statistische Bundesamt echote, dass der Staatssektor insgesamt, dazu gehörten Bund, Länder, Gemeinden und Sozialversicherungen, 2016 einen Finanzierungsüberschuss in Höhe von 19,2 Milliarden Euro zu verzeichnen hat.
Und das ist noch nicht alles. Auch die deutsche Wirtschaft boomt unaufhaltsam, so hört man es zumindest aus den politischen Kreisen. Erst gestern sagte Bundeskanzlerin Merkel bei ihrer Rede im Bundestag: „Wir sind heute Wachstumsmotor. Wir sind heute ein Land mit der höchsten Beschäftigungsquote, die wir jemals hatten, und in Europa erfahren wir dafür sehr viel Anerkennung.“
Deutschland steht so gut da, dass Bundesaußenminister Sigmar Gabriel (SPD) sogar gefordert hat, Deutschland solle bei den nächsten Verhandlungen über den EU-Haushalt anbieten, mehr Geld als bisher in die Gemeinschaftskasse einzuzahlen. „Jeder Euro, den wir für den EU-Haushalt zur Verfügung stellen, kommt – direkt oder indirekt – mehrfach zu uns zurück“, so Gabriel.
Mit der höchsten Beschäftigungsquote mag Merkel recht haben, was erwähnt werden muss, ist aber, dass nur 69 Prozent der deutschen Arbeitnehmer ein „normales“ Arbeitsverhältnis haben, rund 20 Prozent befinden sich in Zeitarbeit oder Mini-Jobs, die restlichen knapp 10 Prozent sind Selbstständige.
13 Millionen Deutsche als arm eingestuft
Die „The Irish Times“ hat in einem aktuellen Bericht die deutsche Ökonomie etwas genauer unter die Lupe genommen. Sie schreiben: „Obwohl Deutschland eins der wohlhabendsten Länder ist, werden 16 Prozent seiner Bevölkerung als relativ arm eingestuft. Das sind immerhin 13 Millionen Menschen, die weniger als 60 Prozent eines durchschnittlichen Einkommens haben. Als Angela Merkel ihr Amt 2005 antrat, waren es nur 14,7 Prozent, und das zur Zeit einer bestehenden Wirtschaftskrise.“
Nach drei Amtszeiten hoffe Angela Merkel am 24. September nun auf eine vierte, heißt es weiter. Dabei nehme sie für sich eine Wirtschaftssteigerung von 1,6 Prozent in Anspruch und die Halbierung der Arbeitslosenquote bis hin zu nur vier Prozent. „Doch wenn sich Deutschland so im Aufschwung befindet, warum boomen dann ihre Sozialküchen?, fragt das irische Blatt zurecht.
Die Frage kommt nicht von ungefähr. Die irische Zeitung hat sich im Süden von Berlin einmal umgeschaut und traf auf eine der 3000 gemeinnützigen sogenannten „Tafeln“, die über ganz Deutschland verstreut sind. Hier treffen sie auf Menschen, die so arm sind, dass sie auf die Zusatz-Versorgung durch einen sozialen Verein angewiesen sind.
Tafeln werden von Supermärkten mit ausrangierten Lebensmitteln versorgt und verteilen diese dann weiter an bedürftige Menschen. Doch oft geht ihr soziales Engagement noch weiter – auch Kleidung und Wohnungsstücke sind oft preiswert zu erhalten, mittlerweile gehören auch ein Bringdienst für warmen Mittagstisch dazu, Kinderbetreuung und vieles mehr. Gemacht wird das alles von ehrenamtlichen Mitarbeitern.
Die erste sogenannte „Tafel“ eröffnete 1993. Heute versorgen die 60.000 ehrenamtlichen Helfer bis zu 1,5 Millionen Hilfsbedürftige im Land der starken Ökonomie. Unter den Hilfsbedürftigen sind vor allem ältere Menschen und Asylbewerber.
„Die wirtschaftliche Entwicklung hat längst nicht mehr den positiven Effekt, die Armut zu beseitigen“
Ulrich Schneider vom Paritätischen Gesamtverband sagte gegenüber Irish Times: „Die wirtschaftliche Entwicklung hat längst nicht mehr den positiven Effekt, die Armut zu beseitigen.“ Schätzungsweise profitieren 40 Prozent der Deutschen nicht vom Wirtschaftsboom, schreibt das Blatt.
Einer von ihnen ist Wolfgang, ein ehemaliger Bau-Ingenieur, der durch einen Unfall einst seine Arbeit verlor. Jetzt bessert er seine Rente durch einen Security-Job auf – an einer staatlichen Musikschule, wie die Irish Times schreibt, bei dem er nicht einmal Mindestlohn bekommt.
„Einrichtungen wie diese sollten ursprünglich nur ein kleines Loch füllen“, sagt der 74-jährige über die Tafel-Supermärkte, doch jetzt würde selbst das Sozialamt die Leute hier her schicken. „Das zeigt“, fährt er fort, „wie die Lücken im deutschen Sozialsystem nun durch private Initiativen und Ehrenamtliche gefüllt werden“.
„Unser Staat hat Leute wie uns längst aufgegeben“
Vor der Tür trifft der Journalist auf Peter, der vor 12 Jahren noch beim Berliner Parkservice gearbeitet hat. Nach großen Grundstücksspekulationen von Stadtpolitikern sei sein Job überflüssig geworden, meint er. Seitdem ist er arbeitslos und lebt von Hartz IV, hat also 409 Euro im Monat zum leben.
Über die Lohnentwicklung allgemein sagt er: „Die Löhne werden niedrig gehalten durch Unternehmen die den Politikern sagen: Wenn ihr nicht nach unserer Pfeife tanzt, dann produzieren wir eben woanders! Unser Staat hat Leute wie uns längst aufgegeben.“
Gleich daneben steht Kai und packt seine Fahrradtaschen voll. Im Hintergrund ein großes Werbeplakat mit Angela Merkel und dem Slogan: “Damit unser Land auf Erfolgskurs bleibt”.
„Wenn es in Deutschland immer mehr Arme gibt, warum wird dann immer noch Angela Merkel gewählt?“, will der Journalist von ihm wissen.
„Die Deutschen sind ein Volk, dass nur schwer dazulernt“, lacht Kai und radelt davon.
Die Tafeln in Deutschland
- 931 Tafeln mit mehr als 2.100 Tafel-Läden und Ausgabestellen (Gründung der ersten Tafel 1993 in Berlin).
- Etwa 60 Prozent der Tafeln sind Projekte in Trägerschaft verschiedener gemeinnütziger Organisationen (z.B. Diakonie, Caritas, DRK, AWO); rund 40 Prozent der Tafeln sind eingetragene Vereine (e.V.).
- Deutschlandweit engagieren sich ca. 60.000 ehrenamtliche Helferinnen und Helfer für die Tafeln.
- Über 2.000 Fahrzeuge sind im Einsatz; davon haben rund 59 Prozent eine Kühl-und rund 8 Prozent eine Tiefkühlfunktion.
- Der Dachverband der Tafeln ist der Tafel Deutschland e.V., gegründet 1995.
Die deutschen Tafeln unterstützen regelmäßig bis zu 1,5 Millionen bedürftige Personen, davon
- 23 Prozent Kinder und Jugendliche,
- 53 Prozent Erwachsene im erwerbsfähigen Alter (vor allem ALG-II- bzw. Sozialgeld-Empfänger, Spätaussiedler und Migranten),
- 23 Prozent Rentner und
- 19 Prozent Alleinerziehende
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