Betten und Kinderbilder – neues Leben auf Flughafen Tegel
„Hygieneartikel“ oder „Tierfutter“ steht auf den weißen Zetteln, die am Check-in-Schalter kleben. Auf anderen sind auf Englisch die Zeiten für Frühstück, Mittag- und Abendessen notiert.
Auf Metallwagen stehen große Isolierkannen mit Wasser oder auch Kaffee und Tee. Kinderbilder kleben an den Glasscheiben zur improvisierten Spielecke und einem Corona-Testbereich. Eine Frau läuft mit ihrem Hund an der Leine den Gang entlang im Terminal A. Seit einer Woche ist der frühere Flughafen Tegel zu neuem Leben erweckt. Wo einst Flugpassagiere am Gate warteten, finden sich nun abgetrennte Räume mit je fünf Doppelstockbetten.
„In drei Tagen haben wir Tegel aus dem Dornröschenschlaf geweckt“, schildert Detlef Cwojdzinski, Projektsteuerer des neuen ukrainischen Ankunftszentrums TXL. Kaum war die Infrastruktur am alten Hauptterminal des Flughafens – wie etwa die Versorgung mit Frischwasser – wieder hochgefahren, übernachteten hier die ersten 425 Flüchtlinge, darunter 105 Kinder. Seitdem wächst die Zahl der Betten kontinuierlich und liegt inzwischen bei rund 700. Zwei Schenkel des sechseckigen Terminals A sind bereits belegt, weitere folgen.
Zelte auf dem Rollfeld
Denn der Berliner Senat rechnet weiterhin mit Tausenden Menschen, die täglich nach Berlin kommen werden. Deren Unterbringung und Betreuung soll am Flughafen Tegel möglichst professionell erfolgen – unter anderem mit Hilfe eines neuen Verteilzentrums. Die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey (SPD) hatte am Dienstag angekündigt, dass dieses zum Ende der Woche in Betrieb gehen soll. Ein genauer Termin steht laut Sozialverwaltung aber noch nicht fest. „Wir eröffnen so schnell es geht“, so Sprecher Stefan Strauß am Freitag.
Drei Zelte sind dafür in den vergangenen Tagen auf dem Rollfeld errichtet worden. Geplant ist, in dem Zentrum täglich bis zu 10.000 ankommende Geflüchtete zu registrieren und gleich verbindlich zu entscheiden, in welche Bundesländer sie weiterreisen. Dafür werden mehrere Hundert Beschäftigte gebraucht, unter anderem sollen 80 Bundeswehr-Soldaten helfen. Am Freitag wurden nach Angaben der Projektleitung die Abläufe geprobt mit den Flüchtlingen, die ankamen.
Das Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten (LAF) setzt auf das neue Verteilzentrum: „Dann werden wir sehr viel mehr Menschen registrieren und verteilen können, die im Moment noch in den temporären und regulären Unterkünften des LAF untergebracht sind, weil sie sonst kein Dach über dem Kopf hätten“, so Sprecherin Monika Hebbinghaus. Bislang seien seit dem 7. März nach groben Schätzungen etwa 6500 Menschen registriert worden, die sich aktiv gemeldet hätten.
Mit den neuen Strukturen in Tegel sollen Flüchtlinge, die weiterreisen, gar nicht erst das Flughafengebäude betreten. Auf dem Rollfeld sind drei weitere Zelte errichtet worden. „Die Menschen werden dort betreut, können auch – falls nötig – schlafen, bevor es weitergeht“, erklärt die Sprecherin des Ankunftszentrums, Regina Kneiding.
Menschen, die in der Hauptstadt bleiben, werden zunächst im Terminal A untergebracht. Zwei bis drei Tage sollen die Menschen maximal in Tegel bleiben. Es erfolgt zunächst ein Corona-Schnelltest, dann erfolgt ein kurzes medizinisches Screening. Wer gesund ist und keine weitere Betreuung braucht, bekommt ein Bett zugeteilt. Auch Hunde oder Katzen dürfen bleiben. Dort wo früher Shops waren im Terminal, findet sich nun auch eine Tierstation, die von Tierheim und Tierschutzverein betreut wird.
DRK regelt das Projekt
Wie schon bei den Berliner Impfzentren ist das Deutsche Rote Kreuz (DRK) für die Projektsteuerung am stillgelegten Flughafen zuständig. Für die Umsetzung holte die Organisation den 67 Jahre alten Cwojdzinski erneut aus dem Ruhestand. Der ehemalige Krisenmanager der Berliner Gesundheitsverwaltung war schon am Aufbau der Impfzentren 2020 beteiligt. Zu seinen Aufgaben gehört es, Personal zu rekrutieren und die beteiligten Hilfsorganisationen Arbeiter-Samariter-Bund, DLRG, Johanniter und Malteser zu koordinieren. Jede hat, zusätzlich zur Unterbringung, eine weitere Aufgabe.
„Ich wollte so ein großes Projekt nicht mehr machen“, sagt der 67-Jährige. Doch angesichts seiner Erfahrungen und Kontakte sei ihm klar gewesen, dass er nicht Nein sagen könne. Damit geht es ihm wie dem langjährigen Präsidenten des Technischen Hilfswerks, Albrecht Broemme. Der 68-Jährige hat für den Senat die Koordinierung der ukrainischer Kriegsflüchtlinge in Berlin übernommen – nachdem er in der Corona-Pandemie den Aufbau des Notkrankenhauses auf dem Messegelände geleitet und danach den Aufbau der Impfzentren der Hauptstadt koordiniert hatte.
„Wir haben ja jetzt einen Erfahrungsschatz. Strukturen, Prozesse – und die Menschen dafür. Das ist das A und O“, erklärt der Projektsteuerer. „Ich schöpfe hier ganz viel aus dem Impfkonzept“, erläutert er und blickt auf das stillgelegte Flughafengelände. Nur wenige Meter entfernt ist im Terminal C weiterhin das Impfzentrum in Betrieb, das im Februar 2021 eröffnet worden ist und derzeit insbesondere für Kinderimpfungen genutzt wird. Bis zu 100 Menschen kommen dort noch täglich hin, berichtet Sprecherin Kneiding.
Nach mehr als einem Jahr befindet sich das Zentrum im „Regelbetrieb“ – während im benachbarten Ankunftszentrum noch mehrer Hundert Menschen im Aufbaustab aktiv sind. „Es muss uns eine solide Betriebsführung gelingen. Vom Notmodus in den Regelbetrieb“, betont Cwojdzinski. Wie schnell das gelingt, vermag er im Moment noch nicht zu sagen. Aber auch im eigenen Interesse will es der Pensionär schnell erreichen.
Offen ist derzeit auch, welche Auswirkungen das Zentrum auf die Weiterentwicklung des stillgelegten Flughafens hat. In Regie der Projektgesellschaft Tegel GmbH soll auf dem 500 Hektar großen Areal eines der größten Stadtentwicklungsprojekte Europas verwirklicht werden. In das frühere Hauptterminal soll die Beuth-Hochschule für Technik einziehen. Deren Planungen seien zunächst für zwei Monate zurückgestellt worden, sagt die Sprecherin der Projektgesellschaft, Constanze Döll. Da die eigentliche Umsetzung des Projekts erst 2024 beginne, gehe man zunächst nicht von großen Zeitverschiebungen aus. „Planung und Entwicklung laufen ganz normal wieder“, so Döll. (dpa/red)
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