Nach Bundestagswahl droht stärkere soziale Spaltung

Eine Studie der Bertelsmann-Stiftung legt die Annahme nahe, dass die Wahlenthaltung bei der Bundestagswahl noch höher sein werde als 2017. Mögliche Corona-Vorschriften und eine größere Bedeutung der Briefwahl könnten vor allem prekäre Schichten von der Urne fernhalten.
Von 29. Juli 2021

Die Zeiten, in denen Bundestagswahlen in Deutschland von einer hohen Wählermobilisierung begleitet waren, sind seit Ende der 2000er Jahre vorbei.

Eine Wahlenthaltung von bis zu 30 Prozent könnte sich auch in diesem Jahr wieder abzeichnen: Die Bertelsmann-Stiftung geht jedenfalls auf Grundlage der Ergebnisse einer von ihr jüngst durchgeführten Studie im Herbst von einer deutlich niedrigeren Wahlbeteiligung als 2017 aus.

Bertelsmann-Stiftung befürchtet „Parlament der Oberschicht“

Wie der „Tagesspiegel“ berichtet, befürchtet die Einrichtung eine Verschärfung der sozialen Spaltung nach der Bundestagswahl. Diese drohe, weil davon auszugehen sei, dass sozial besser gestellte Personen mit hohem Bildungsabschluss, die ihre persönlichen oder weltanschaulichen Interessen bei bestimmten Parteien abgebildet sehen, so gut wie geschlossen zur Wahl gehen würden.

Bürger aus abgehängten und prekären Verhältnissen, Unzufriedene oder jene, die sich von keiner der kandidierenden Parteien angemessen vertreten fühlen, könnten hingegen in noch stärkerem Maße der Wahl fernbleiben als noch 2017.

Enttäuschung über AfD und Hygieneregeln können Wahlenthaltung bei Bundestagswahl verstärken

Bereits bei der vorangegangenen Bundestagswahl war die Wahlbeteiligung unter Angehörigen der Oberschicht um 40 Prozent höher als jene in den benachteiligten Milieus.

Dass die Beteiligung nach dem Negativrekord von 70,8 Prozent im Jahr 2009 und den 71,5 Prozent im Jahr 2013 vor vier Jahren immerhin auf 76,2 Prozent angestiegen war, lag vor allem daran, dass die AfD es geschafft hatte, mehr als eine Million Bürger aus der Wahlenthaltung zu holen.

Viele vorherige AfD-Wähler blieben jedoch bereits bei den Landtagswahlen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz und Sachsen-Anhalt der Urne wieder fern – und es spricht den Ergebnissen der Untersuchung zufolge wenig dafür, dass der Rechtspartei bis September noch eine Trendumkehr gelingt.

Auch die Linkspartei, die nach Einführung der Hartz-Gesetze Teile des Protests von Betroffenen binden konnte, muss sich sorgen: Bereits jetzt, so die Bertelsmann-Stiftung, seien 15 Prozent der prekär lebenden Wähler weniger geneigt, zur Wahl zu gehen, als 2017.

Es droht eine „sozial selektive Politik“

Die drohende Überrepräsentanz von sozial bessergestellten sowie Traditionswählern, von der vor allem Grüne, FDP, Union und SPD profitieren dürften, könnte zusätzlich auch noch verschärft werden, sollte die Pandemie-Entwicklung rigidere Corona-Regeln im Umfeld der Wahl selbst zur Folge haben.

Während härtere Hygienebestimmungen bei desinteressierten oder desillusionierten Wählern die Bereitschaft, zur Wahl zu gehen, noch weiter dämpfen könnten, sei die Briefwahl vor allem unter den entschlossenen und von einer bestimmten Partei überzeugten Wählern bereits jetzt eine bevorzugte Form der Stimmabgabe.

Eine sozial noch weniger ausgewogene Wahlbeteiligung, so warnen die Forscher, habe jedoch eine sozial noch weniger ausgewogenere Zusammensetzung des Bundestages und in weiterer Folge auch sozial noch weniger ausgewogene Politik zur Folge. Es bestehe die Gefahr einer „sozial selektiven Politik zugunsten der wählerstarken und zulasten der wählerschwachen Gruppen“, was „die Demokratie beschädigen“ könne.



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