Minderjährige nicht nur im Wahllokal, auch als Briefwähler beteiligt
In Berlin wurde am 26. September nicht nur zur Bundestagswahl aufgerufen, sondern auch zur Wahl des Berliner Abgeordnetenhauses. Derartiges gibt es auch in anderen Bundesländern.
Doch damit nicht genug. Es fand in Berlin gleichzeitig die Wahl der Vertreter der Bezirksverordnetenversammlung statt, es wurde über einen Volksentscheid abgestimmt und der Berlin-Marathon mit 30.000 Sportlern wurde veranstaltet. Letzterer sorgte für zahlreiche Verkehrsbehinderungen, wodurch nicht nur die Anfahrt der Berliner Wähler zu den Wahlurnen erschwert wurde, sondern es kam zu zahlreichen Pannen bei den Ersatzlieferungen von Wahlzetteln.
Um das Chaos perfekt zu machen, sorgten die Corona-Maßnahmen für lange Schlangen vor den Wahllokalen, sodass einige Wähler nicht vor der Schließung der Wahllokale ihre Stimme abgeben konnten, wie es in zwei Pankower Wahllokalen geschah.
Die Briefwahl-Lücke vom 26. September
Die „Welt“ berichtet nun von einem neuen Skandal mit Briefwahlzetteln, die an Minderjährige versandt wurden.
„Ich hatte Briefwahl beantragt und war leicht verwirrt, als ich nicht nur die Stimmzettel für die Bezirkswahl, sondern auch alle übrigen erhielt“, sagte eine 16-Jährige aus Zehlendorf, die ausschließlich zur Bezirkswahl berechtigt war.
Sie entschied sich dafür, alle drei Wahlzettel sowie die Volksabstimmung „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ auszufüllen, in den Umschlag zu stecken, „wie es in dem ‚Beipackzettel‘ stand“, und abzusenden.
Auf Nachfrage des Blattes bei dem Wahlvorsteher Cyrill Engelmann vom Briefwahllokal in Charlottenburg-Wilmersdorf hieß es: „Bei uns im Briefwahllokal wären solche Stimmzettel nicht aufgefallen. Das Mädchen hätte also erfolgreich an allen Wahlen teilgenommen.“
Die Vorgehensweise dort: Nach Ankunft des roten Wahlbriefs wurde dieser geöffnet und nur der blaue Stimmzettelumschlag komplett mit allem Inhalt in die Wahlurne geworfen. So wurden Stimmen und Wählerinfo getrennt, was eine Überprüfung unmöglich mache. Dieser Vorgang sei üblich, „weil die Wahl geheim ist“, so der Wahlleiter.
Auch eine Weitergabe zugeschickter Wahlzettel von einer voll wahlberechtigten Person (deutscher Staatsbürger, volljährig) an teilweise Nichtberechtigte wäre auf diese Weise möglich gewesen, etwa an minderjährige EU-Ausländer, die lediglich an der Bezirksparlamentswahl teilnehmen konnten.
Dem Bericht nach hatte der Bundeswahlleiter die Berliner Verantwortlichen zuvor bereits vor einer solchen Sicherheitslücke gewarnt, aber offenbar umsonst. Schließlich seien noch Bemühungen unternommen worden, die Lücke zu schließen, was aber nicht mehr durchgängig angewandt werden konnte.
Innensenator Geisel behauptete zu den Vorgängen, dass außer „Zeitungsartikeln“ keine Hinweise vorlägen, dass Minderjährige bei der Bundestagswahl und der Abgeordnetenhauswahl mitgewählt hätten.
Laut „Welt“ sei die Einschätzung des Senators schwer nachvollziehbar, zumal der Redaktion mehrere Jugendliche bekannt seien, die unberechtigterweise Wahlzettel erhalten hätten. Auch hätten Lehrer von betroffenen Schülern berichtet.
Ein Wahlhelfer habe sogar angegeben, dass in seinem Wahllokal „mehrfach alle Wahlscheine an unter 18-Jährige oder EU-Ausländer ausgegeben“ wurden. Er berichtete auch von oberflächlichen Personalausweiskontrollen aufgrund der Hektik.
Berlin: Chaos ohne Verantwortung?
Während die Berliner Landeswahlleiterin nach rund zehn Jahren im Amt zurücktrat, scheint es außer ihr in Berlin kaum führende Politiker zu geben, die die Verantwortung für das Wahlchaos am 26. September übernehmen wollen.
Nach langem Zögern meldeten sich Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) und der für die Rechtsaufsicht der Wahlen zuständige Innensenator Andreas Geisel (SPD) zu Wort – allerdings nur, um etwas über den Stand der Untersuchungen zu erzählen.
Müller sagte am Freitagvormittag bei einer Pressekonferenz im Rathaus: „Wir gehen zum derzeitigen Sachstand davon aus, dass die Unregelmäßigkeiten nicht Mandats-relevant [sic!] sind oder Wahl-verfälschend [sic!]“, zitiert die „B.Z.“ den Rathauschef und schließt daraus: „Mit anderen Worten: Die komplette Wiederholung der Wahl ist nicht nötig.“
Schließlich gab Müller noch „Fehleinschätzungen“ und „Fehlplanungen“ zu. Ihm zufolge würden die Wahlen nicht von der politischen Führung Berlins umgesetzt, sondern von der Landeswahlleiterin, wo eben auch die Verantwortung für die Umsetzung liege.
Allerdings dürfte nicht in der Befugnis der Landeswahlleiterin gelegen haben, drei Wahlen, einen Volksentscheid und einen großen Marathon an einem Tag durchzuführen. Der Senat habe sich laut Müller sofort mit den Pannen der Wahlen beschäftigt, erklärte der sozialdemokratische Spitzenpolitiker zwölf Tage nach den Vorfällen.
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