Berliner Maßregelvollzug am Limit – mehrere Straftäter wegen Platzmangels auf freiem Fuß
Immer mehr Straftäter befinden sich im Maßregelvollzug. Hatte es im Laufe der 1970er-Jahre noch einen Rückgang bei den Einweisungen von 4.401 auf 3.237 gegeben, wurde die Zahl 2021 schon auf etwa 13.000 geschätzt. Schwerpunkt ist dabei Berlin.
Ärztekammer spricht von „nicht mehr tragbaren“ Zuständen im Maßregelvollzug
Eine der Grundlagen für diese Vorgehensweise ist der Paragraf 63 des Strafgesetzbuchs, der die Unterbringung seelisch kranker Straftäter in einem „psychiatrischen Krankenhaus“ vorsieht. Daneben gibt es unter anderem die Option einer Unterbringung in Entziehungsanstalten oder die Sicherungsverwahrung nach Paragraf 66, die allerdings vor allem dem Schutz der Öffentlichkeit dient. Im Maßregelvollzug landen vor allem Straftäter, die ein Gericht als psychisch auffällig oder suchtkrank einstuft.
Bereits Anfang Februar 2024 hatte die Berliner Ärztekammer (ÄKB) von Zuständen im Maßregelvollzug des Landes gesprochen, die „nicht mehr tragbar“ seien. Mit Blick auf das Berliner Krankenhaus des Maßregelvollzuges (KMV) in Lichtenrade war die Rede von einem „Kollaps“ der Einrichtung.
ÄKB-Präsident Peter Bobbert sprach von einer „menschenunwürdigen Situation“ und davon, dass in einer vergleichbaren Lage „jedes andere Krankenhaus […] längst geschlossen“ worden wäre.
Hohe Anzahl an Übergriffen von Patienten auf Mitarbeiter
Bobbert bezweifelte, dass man Menschen unter den gegebenen Umständen noch in einer Weise therapieren könne, die sicherstelle, dass nach ihrer Freilassung keine Gefahr mehr von ihnen ausgehe. Vielmehr seien auch schon ursprünglich eingewiesene Straftäter infolge Platzmangels auf freien Fuß gekommen.
Sowohl an die Klinikleitung als auch an den Regierenden Bürgermeister Kai Wegner ergingen Schreiben von Abteilungsleitern und der Belegschaftsvertretung. Der taz zufolge habe der Brief an Wegner 324 Unterschriften aufgewiesen. In den Schreiben hieß es, dass es zum Teil „unmöglich“ geworden sei, die erforderlichen Sicherheitsstandards aufrechtzuerhalten.
Die Aufnahmekapazitäten seien erschöpft – gleichzeitig sei man hoffnungslos unterbesetzt. Entsprechend steige die Gefahrenlage. Bereits Ende der 2010er-Jahre war die Rede von einer dreistelligen Anzahl an Übergriffen auf Mitarbeiter. Im Jahr 2019 sprachen interne Quellen von etwa 180, im darauffolgenden Jahr sogar von 300. Diese hätten von Körperverletzung bis zum versuchten Totschlag gereicht.
Trotz hoher Zulagen scheuen viele Pflegekräfte den Maßregelvollzug
Offiziell ist vonseiten des Gesundheitssenats von 51 Übergriffen durch Patienten im KMV im vergangenen Jahr die Rede. Dazu habe es drei Ausbrüche und 81 Bedrohungen gegeben. Zuletzt, so heißt es im „Tagesspiegel“, seien fast 850 Personen in der Spezialklinik untergebracht gewesen, davon 618 stationär. Die behördlich gestattete Belegung liegt bei 549 Betten.
Im laufenden Jahr sollen immerhin 45 Betten dazukommen. Für die Beschäftigten keine gute Nachricht, denn ursprünglich war die Rede von 60, später immerhin noch von 50 zusätzlichen Betten.
Ein weiteres Problem ist der Fachkräftemangel. Obwohl man vonseiten der Einrichtung selbst ebenso wie von Senatsseite offensiv werbe, seien derzeit 90 von 610 Planstellen für KMV-Pflegekräfte unbesetzt. Dazu komme ein hoher Krankenstand.
Trotz beträchtlicher Zulagen scheuen viele Pflegekräfte davor zurück, sich für den Maßregelvollzug zu bewerben. Dabei dauere die Basisausbildung bereits etwa ein halbes Jahr. Bis neue Mitarbeiter mit allen Abläufen vertraut seien, können bis zu zwei Jahre vergehen. Und bloße Hilfskräfte sind auch von der Fachkräftezulage ausgenommen.
Rückfallgefahr bleibt in einzelnen Segmenten erheblich
Gesundheitssenatorin Ina Czyborra will nun das Budget für den Maßregelvollzug bis 2025 schrittweise auf 89,2 Millionen Euro steigern. Derzeit sei es um etwa 20 Millionen Euro geringer. Zum Jahreswechsel sind auch 64 zusätzliche Planstellen entstanden. Dazu soll durch den Umbau einer früheren Abschiebehaftanstalt in Lichtenrade mehr Platz entstehen.
Einer Studie aus dem Jahr 2018 zufolge sind bei entlassenen Patienten, die nach Paragraf 63 StGB eingewiesen worden waren, in etwas mehr als einem Drittel der Fälle neuerliche Straftaten zu erwarten. Dabei variiert die Gefährlichkeit je nach Untergruppen. So sinkt beispielsweise die Delinquenz erheblich, wenn Patienten mit schizophrenen Psychosen medikamentös eingestellt werden. Bei Patienten mit Persönlichkeitsstörungen, beispielsweise vielen Sexualstraftätern, sei die Rückfallgefahr höher.
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