Berliner Gericht muss über Vernichtung von Grundgesetz-Holzstele entscheiden

Seit mehreren Jahren setzt sich ein Berliner Verein für eine Rückbesinnung auf den „Geist des Grundgesetzes“ und das „Erwachen des Souveräns“ ein. Jetzt steht der Vereinsvorstand vor dem Berliner Verwaltungsgericht, denn das Land will eines seiner Kunstobjekte, den Artikel 20 in Form einer drei Meter hohen Holzstele, vernichten.
Titelbild
Eine Klage des Grundgesetzaktivisten Ralph Boes gegen die Vernichtung seiner geschnitzten Stele wird vor dem Verwaltungsgericht Berlin am 01. Februar 2024 verhandelt.Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times
Von 6. Februar 2024

Eine belebte Straße umgibt das eher unscheinbare Verwaltungsgericht Berlin. Direkt vor dem Gebäude steht heute am 1. Februar ein kleiner hüfthoher Werkstattwagen mit einer dicken Eichenholzbohle darauf. Sie ist einer von vier Teilen, die später zusammengesetzt eine drei Meter hohe Holzstele mit dem gesamten Artikel 20 des Grundgesetzes bilden sollen.

Mit Stechbeitel und Hammer kann jeder, der möchte, ob Passant oder Gerichtsbesucher, den eingravierten Abschnitt 4 des Artikels bearbeiten.

An dem Wagen angebracht ist ein Banner mit der Aufschrift „Verein zur Erneuerung der Bundesrepublik an ihren eigenen Idealen“. Der Berliner Ralph Boes (66) hat den Verein 2014 gegründet und sitzt im Vorstand. Vor seinem aktiven Ruhestand war er als Ergotherapeut, Sozialarbeiter und Leiter einer Seniorenresidenz tätig. Bekanntheit erlangte er mit seinem Einsatz für ein bedingungsloses Grundeinkommen und den Hartz IV-Sanktionen.

Bundesrepublik soll eine Verfassung erhalten

Eine kleine Gruppe von Menschen umgibt den Wagen. Es sind Männer und Frauen, zumeist mittleren Alters. Sie sind Mitglieder oder Unterstützer des Vereins. Sie sind hier, um ihr Vorstandsmitglied zu unterstützen, dessen Klage gegen die Vernichtung des Vorgängermodells – einer Buchenholzstele mit Artikel 20 – durch das Land Berlin heute vor Gericht verhandelt wird.

Der Artikel 20 besagt:

(1) Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.
(2) Alle Staatsgewalt geht vom Volke aus. Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.

(3) Die Gesetzgebung ist an die verfassungsmäßige Ordnung, die vollziehende Gewalt und die Rechtsprechung sind an Gesetz und Recht gebunden.
(4) Gegen jeden, der es unternimmt, diese Ordnung zu beseitigen, haben alle Deutschen das Recht zum Widerstand, wenn andere Abhilfe nicht möglich ist.“

Grundthese des Vereins ist, dass die Politik die demokratischen Rechte des Volkes und individuellen Menschenrechte immer mehr auszuhebeln versuche. Auch seien Politiker dabei, das „Grundgesetz auszuhöhlen, wenn nicht gar abzuschaffen“. Mit Aktionen und Veranstaltungen beabsichtigt man, zum Erwachen des Souveräns beizutragen und den „Geist des Grundgesetzes“ wieder ins Bewusstsein zu rufen.

Ziel des Vereins ist eine Volksabstimmung, die dem deutschen Volk erlaubt, das Grundgesetz zur Verfassung zu erheben und dass zukünftige Veränderungen nur noch über Volksabstimmungen möglich sind.

Ist das Kunst oder kann das weg? Eine Klage von Ralph Boes (r.) gegen die Vernichtung seiner geschnitzten Stele wurde vor dem Verwaltungsgericht Berlin am 1. Februar 2024 verhandelt. Boes und Stephanie Burg (l.) arbeiten an der Gestaltung von Grundgesetz Artikel 20. Foto: Matthias Kehrein/Epoch Times

„Alles ist Teil des Kunstprojektes“

Richterin Laura Wetekamp eröffnet die Verhandlung. Ralph Boes und Stephanie Burg (56), beide Vorstandsmitglieder des Vereins, sitzen als Kläger auf der einen Seite – eine Beamtin des Landes Berlin nimmt auf der Beklagtenseite Platz.

Mit im Saal, der fast bis auf den letzten Platz gefüllt ist, sind als „Öffentlichkeit“ zahlreiche Bürger und Epoch Times als einziger Vertreter eines größeren Mediums.

Dort gibt es zunächst einen Rückblick: Ein Jahr lang, vom 23. Mai 2018 bis zum 23. Mai 2019, veranstaltete der Verein immer wiederkehrende Aktionen an dem Theater Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Dort waren Bürger eingeladen, den Artikel 20 des Grundgesetzes mit seinen vier Abschnitten öffentlich einzuschnitzen.

Ziel war es, die Buchenstele nach Fertigstellung am 70. Geburtstag des Grundgesetzes (23. Mai 2019) direkt neben dem Stelenkunstwerk des Künstlers Dani Karavan aufzustellen. Dieses befindet sich nahe dem Deutschen Bundestag und umfasst die ersten 19 Grundgesetzartikel.

Nach Ansicht des Vereins fehlt dort jedoch der Artikel 20. Für Boes repräsentieren Artikel 1 bis 19 nur die Menschenrechte, also die Grundrechte. „Das Besondere am Grundgesetz ist jedoch, dass aus den allgemeinen Menschenrechten eine Staatsstruktur gehoben wurde.“ Sie werde in Artikel 20 repräsentiert. Nur die Menschenrechte zusammen mit der Staatsstruktur machten für ihn das Grundgesetz aus.

Die Buchenholzstele mit dem Artikel 20 am Grundgesetzdenkmal nahe dem Bundestag. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Ralph Boes

Aufstellung zum 70. Geburtstag des Grundgesetzes

Fünf Tage vor dem 70. Geburtstag, am 18. Mai 2019, setzte der Verein den Plan um. Ohne Genehmigung stellten Vereinsmitglieder und Unterstützer die 350 Kilogramm schwere Stele, eingefasst in ein Stahlgestell, am Grundgesetzdenkmal auf. Die eintreffende Polizei erklärte, man müsse die Stele aufgrund der fehlenden Genehmigung entfernen und rief dazu die Feuerwehr.

Diese weigerte sich jedoch, die Stele wegzuräumen, denn von ihr ginge keine Gefahr aus, da sie nichts versperrte und standsicher war. Die Aktivisten wollten sie nun noch ein paar Tage stehen lassen und entfernten sich, um am Morgen wiederzukommen.

Doch morgens war die Stele weg. Über Nacht sei sie von der Polizei entfernt worden, erfuhr der Verein von einem Polizisten. Dass es keine Rechnung oder ein Bußgeld für Boes nach der Entfernung gab, sieht er als Zeichen, dass die Polizei die Entfernung selbst für rechtswidrig hielt und man bemüht war, keine unangenehmen Presseberichte zu erzeugen.

Polizisten im Gespräch mit Ralph Boes nach der Aufstellung der Buchenholzstele am Bundestag. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Ralph Boes

Land sieht Gefahr der Grünflächenzerstörung

Drei Tage später erhielt Boes – nach Unterzeichnung einer schriftlichen Erklärung, dass er sie nicht mehr ohne Genehmigung aufstellen würde – die Stele von der Polizei wieder. Am Tag der Deutschen Einheit (3. Oktober 2019) stellte der Verein sie – wie lange vor der ersten Aufstellung bereits geplant – erneut am Grundgesetzdenkmal auf, allerdings inzwischen mit Wissen der Versammlungsbehörde, wo man eine Versammlung samt Aufstellung der Stele anzeigte. Das Grünflächenamt hatte davor bereits einen Antrag auf eine Aufstellgenehmigung abgelehnt. Grünflächen würden zerstört und die Durchfahrt von Krankenwagen behindert, war die Begründung. Für den Verein war dies nur ein Vorwand.

Lediglich zwei Meter an der Außenseite des vier Meter breiten Bürgersteiges nehme man ein und eine zehn Meter breite Durchfahrt sei gegeben, argumentiert der Verein. Eine Grünfläche sei am Aufstellort nicht vorhanden, nur eine gepflasterte Promenade. Die Stele sei zudem als Kunstwerk durch Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes geschützt, der besagt: „Kunst und Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“

Schmunzelnd berichtet Boes gegenüber Epoch Times dann von dem Versuch der Polizei, die Stele nachts wieder abzutransportieren. Versteckt wartete man. Als die Polizei dann anrückte, stellte er sich mit einem Hirtenstab vor die Stele und schaute in die Ferne, berichtet der Berliner. Unterstützer erhellten mit Scheinwerfern die ganze Szenerie. Andere filmten mit Kameras, was nach Boes‘ Schilderung dazu führte, dass sich die verblüfften Polizisten wieder zurückzogen.

Daraufhin verbrachte Boes durchgängig zwölf Tage und Nächte an der Stele. So wollte er eine erneute Entfernung des Objektes vor Projektende verhindern. Als er dann Tage später die Stele vier Stunden allein ließ und wiederkam, war sie weg. Er vermutet, dass seine Abwesenheit durch eine ständige Kameraüberwachung auffiel.

Ralph Boes schläft an der Holzstele, um einen Abtransport zu verhindern. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Ralph Boes

Die Vernichtung wird angekündigt

Ein Jahr nach der „Konfiszierung“ erfuhr er durch ein Schreiben, dass eine Vernichtung angeordnet wurde. Das Land begründete es damit, dass weitere „die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdende“ Unternehmungen mit der Stele nicht auszuschließen seien.

Die Anfertigung der Stele, deren nächtlicher Abtransport, der abgelehnte Antrag zu ihrer Aufstellung, die angekündigte Vernichtung und diese Gerichtsverhandlung, mit welchem Urteil auch immer sie enden würde, sei Teil des Kunstprojektes um den Artikel 20, erklärt Boes vor Gericht. Dies alles spiegele die aktuelle Verfassung des Staates und den Umgang mit dem Grundgesetz wider.

Die Vertreterin des Landes Berlin wendet ein, dass es Gesetze gebe, um die Nutzung der begrenzten öffentlichen Flächen einzuschränken, denn es bestehe ein Teilhaberecht für alle. Durch die Gesetze sollen sie vor einer übermäßigen Nutzung geschützt werden. Wenn dies doch gewollt sei, müsse ein Antrag auf Sondernutzung der Grünanlage gestellt und dieser stattgegeben werden.

Gericht entscheidet nicht über Kunst

Mehrfach stoßen während der Gerichtsverhandlung deutlich zwei vollkommen unterschiedliche Sichtweisen aufeinander. Die Richterin und die Landesbeamtin mit ihrer verwaltungsrechtlichen Sicht und Boes, der Künstler. Die Richterin versuchte dem Aktivisten das deutsche Verwaltungsrecht verständlich zu machen.

Die Richterin, dem Kläger freundlich zugewandt, stellte unmissverständlich klar, worum es heute geht. Sie würde sich heute nicht zu einem Kunstobjekt und seiner Berechtigung oder Notwendigkeit zu existieren verhalten.

Klagegenstand sei, ob die angeordnete Vernichtung der Holzstele rechtens ist oder nicht. Sie fragt die Klägerseite, warum der Verein nie die Herausgabe der Stele verlangt habe.

Die Konfiszierung sahen sie als Teil des Kunstprojektes. Sie wollten zeigen, wie es um Deutschland stünde. Man habe bereits schriftlich versichert, dass man die Stele nicht noch einmal ohne Genehmigung im öffentlichen Raum außerhalb einer Versammlung mit einer möglichen kurzzeitigen Aufstellung aufbauen wolle.

Die Buchenholzstele mit dem Bundestag im Hintergrund. Links daneben stehen die Glasstelen von Dani Karavan mit den Grundgesetzartikeln 1 bis 19. Foto: Mit freundlicher Genehmigung von Ralph Boes

Der Richterin gelingt es schließlich geschickt zwischen beiden Seiten zu vermitteln, sodass sich beide Parteien unter ihrer Führung auf einen Vergleich zubewegen. Mehrmals gibt es Unterbrechungen, denn es gibt Bedingungen aufseiten der Kläger, aber auch die Landesbeamtin zeigt Kompromissgrenzen. Alle Hindernisse werden Schritt für Schritt ausgeräumt.

Es stellt sich während der Verhandlung heraus, dass die Buchenstele mit Artikel 20 offenbar seit vier Jahren auf dem Polizeiabschnitt 28 nahe dem Bundeskanzleramt unter einem Dach liegt.

Die Landesbeamtin lässt sich eigens Fotos der Stele zuschicken, um dem Kläger den Zustand der Stele zeigen zu können. Das war eine Bedingung der Klägerseite, bevor man einem Vergleich zustimmen wollte. Weiter geht es Stück für Stück auf die letzten strittigen Punkte zu, der Abschluss des Vergleichs scheint nah.

Eine unerwartete Wendung

Dann die Wende: Boes lehnt plötzlich jeglichen Vergleich ab. Ihm ginge es eigentlich darum, gerichtlich feststellen zu lassen, ob die Entfernung der Stele rechtens war. Er merke, man komme hier immer mehr in die Situation, Kompromisse zu machen. Für ihn ist die Kunst frei und keinerlei Gesetzen unterworfen.

Die Richterin zeigt sich enttäuscht. Auch die Öffentlichkeit scheint gespalten zu sein, während ein Teil offen den Richtungswechsel unterstützt, hätten andere wohl eher gern einen Vergleich gesehen.

Mit den an die Richterin gewandten Worten: „Ich lege die Entscheidung zur Vernichtung der Stele in ihre Hände“, bekräftigt er seinen Entschluss. Die Richterin benötigt – sichtlich betroffen von der plötzlichen Kehrtwende – etwas Zeit, um sich neu zu fassen. Die Verhandlung dauert zu diesem Zeitpunkt bereits drei Stunden an.

Auch die Vertreterin des beklagten Landes Berlins scheint enttäuscht. Ein letzter Versuch der Richterin mit einem Hinweis darauf, auf welche Rechtsgrundlage sie entscheiden müsse und aus welchem Kenntnisstand heraus, stimmt den Grundgesetzaktivisten nicht um.

Dann geht alles sehr schnell. „Das Urteil wird der Klägerseite schriftlich mitgeteilt“, heißt es durch die Richterin schließlich. Die Verhandlung ist vorbei.

Anschließend lässt Boes wissen, dass er die Wahrscheinlichkeit für groß hält, dass die Buchenholzstele vernichtet wird. Sie wurde aus Buche gefertigt, denn sie stehe für Weisheit, so der 66-Jährige. „Und die neue Stele wird aus Eichenholz gemacht, da die Eiche für Widerstand steht“, klärt er auf.

Er plant, sie bis zum bevorstehenden Hambacher Fest im Mai fertigzustellen, wo sie auch zum Einsatz kommen soll. „Vielleicht wird sie zum Schloss hochgetragen von vielen Menschen“, so Boes.

Das Gericht als auch die Beklagtenseite, das Land Berlin, standen nach der Verhandlung nicht für eine Stellungnahme zur Verfügung.

Epoch Times berichtet über die richterliche Entscheidung, sobald sie gefallen ist.

Anm. d. Red.: Dieser Artikel wurde am 29. Februar aktualisiert.



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