Berlin: Wahlwiederholung nach „komplettem Systemversagen“ möglich

Das Chaos war groß. Seltsame Geschehnisse könnten sich bei den Berliner Wahlen im Herbst vergangenen Jahres ereignet haben. Nun fordert das Landesverfassungsgericht alle Niederschriften aus den 2.257 Berliner Wahllokalen zur Prüfung an und auch der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags beschäftigt sich mit den Vorgängen in der Bundeshauptstadt.
«Es ist für Berlin allerhöchste Zeit.»
Ein Wahlraum in Berlin.Foto: Julian Stratenschulte/dpa
Von 25. Mai 2022

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Am 26. September 2021 war Bundestagswahl. Auch in Berlin kamen die Wähler in den Wahllokalen zusammen, um ihre Stimmen abzugeben. In Berlin wurde aber nicht nur die Bundestagswahl abgehalten, sondern auch die Landeswahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus sowie die Wahlen zu den Bezirksverordnetenversammlungen

Zusätzlich wurde noch der Volksentscheid  „Deutsche Wohnen & Co. enteignen“ zur Stimmabgabe gebracht. Und zu guter Letzt fand zeitgleich der Berlin-Marathon statt, was zu Straßensperrungen, Verkehrsproblemen und Zuschaueraufläufen führte.

Das Resultat: Tausende ungültige Stimmen, zu wenig Wahlkabinen, fehlende Wahlzettel, falsche Wahlzettel, minderjährige Wähler … Zudem sorgten Corona-Maßnahmen für lange Schlangen vor den Wahllokalen, sodass einige Wähler nicht vor der Schließung der Wahllokale ihre Stimme abgeben konnten.

Seitz: „Komplettes Systemversagen“

Zu den Vorfällen in der Bundeshauptstadt tagte am 24. Mai der Wahlprüfungsausschuss des Bundestags. Dieser entscheidet nach § 1 des Wahlprüfungsgesetzes „über die Gültigkeit der Wahlen zum Deutschen Bundestag und die Verletzung von Rechten bei der Vorbereitung oder Durchführung der Wahl“.

Der AfD-Bundestagsabgeordnete und Ausschussmitglied, Thomas Seitz, erklärte in einem Statement: „Wir sind entsetzt über die chaotischen Zustände, die hier zutage kommen. Das sind auch keine Einzelfälle, über die wir hier reden, sondern wir blicken auf ein komplettes Systemversagen, das in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland einmalig ist“, erklärte der rechtspolitische Sprecher der AfD. Seitz erwartet, dass es eine Wiederholung der Wahl für ganz Berlin geben müsse. Es sei nur eine Spitze des Eisberges aufgedeckt worden von einem flächendeckenden strukturellen Versagen, so der Volljurist.

Der Parlamentarische Geschäftsführer der AfD-Bundestagsfraktion, Götz Frömming, zog nach Bekanntwerden weiterer Details im Wahlprüfungsausschuss einen Vergleich zu Vorgängen in einer „Bananenrepublik“. Nach Angaben der stellvertretenden Bundesvorsitzenden der Oppositionspartei, Beatrix von Storch, habe Bundeswahlleiter Georg Thiel bei den Vorgängen „Systemversagen“ und vermeidbare, schwere Wahlmängel bestätigt. Auf diese habe Thiel nach Angaben von Storchs im Vorfeld der Wahlen bereits mehrfach hingewiesen. Dem sei aber nicht nachgegangen worden. In die Zukunft blickend habe Thiel geäußert, dass es zu weiteren Wahlverstößen kommen werde, weil sich in Berlin gar nichts bessere.

Landesverfassungsgericht prüft Einsprüche

Wie die „Berliner Zeitung“ berichtet, fordert das Landesverfassungsgericht Berlin mittlerweile die Niederschriften aus allen 2.257 Wahllokalen an, um die Einsprüche gegen die Wahl zu prüfen. Zuvor war dem Berliner Abgeordneten Marcel Luthe (Freie Wähler, zuvor FDP) die Herausgabe der eigentlich öffentlichen Niederschriften verwehrt worden. Luthe hatte, wie auch andere, beim Landesverfassungsgericht Einspruch gegen die Wahlen eingelegt.

Nun wurden Vorwürfe laut, dass es sich nicht nur um Pannen handelte, sondern Wähler absichtlich um ihre Stimme gebracht wurden. Der seit November 2021 ehemalige Berliner Abgeordnete Marcel Luthe stellte am vergangenen Wochenende Strafanzeige wegen Wählertäuschung.

Meines Erachtens hat man hier 80 Menschen vorsätzlich um ihr Wahlrecht gebracht – und auch das dürfte nur die Spitze des Eisberges sein.“

Laut Luthe seien zahlreiche Berliner Wähler an ihrer Stimmabgabe gehindert worden, weil zu wenig Wahlkabinen aufgestellt worden waren. Lange Schlangen hätten sich vor diesen gebildet, was „einer Verhinderung der Stimmabgabe“ gleichkam.

Er vermutet Wahlfehler in einer Dimension, bei der sich diese auf mindestens 100.000 potenzielle Wählerstimmen hätten auswirken können. Den Zeitungsangaben nach könnte sich das so weit auswirken, dass die Linkspartei sogar aus dem Bundestag herausfalle.

Seltsame Vorgänge

Laut „Berliner Zeitung“ kam es zu seltsamen Vorgängen im Wahllokal 512, das in einer Musikschule in Berlin-Friedrichshain untergebracht war. Die stellvertretende Schriftführerin dokumentierte:

„Zu Beginn der Stimmabgabe standen für die Zweitstimmen der Abgeordnetenhauswahl nur ungültige, da für den Bereich Charlottenburg-Wilmersdorf bestimmte Wahlzettel zur Verfügung. Der Fehler wurde gegen 8:15 vom Wahlvorstand dem Bezirkswahlamt gemeldet. Von dort kam zunächst die Weisung, mit der Wahl mit den falschen Wahlzetteln fortzufahren.

Etwa 2 Stunden später bekamen wir die Information, dass die ‚Charlottenburg-Wilmersdorf‘-Wahlzettel als ungültig zu behandeln sind. Bis dahin hatten 82 Personen diese Wahlzettel genutzt. (…) Nur 3 Personen kehrten anschließend wieder, um die Zweitstimmenabgabe für die Abgeordnetenhauswahl zu wiederholen. Gegen 10:30 erhielten wir die richtigen Stimmzettel.“



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