Berlin: „Marsch für das Leben“ stößt auf Gegenprotest

Die Epoch Times begleitete den diesjährigen „Marsch für das Leben“ in der „Stadt der Individualisten“, wie ein Berliner Weihbischof die Hauptstadt nannte. Deren Teilnehmer setzen sich für den Schutz des Lebens ungeborener, aber auch kranker und alter Menschen ein. Die Aussagen der Befürworter und der Gegner zeigen spiegelbildlich den Zustand unserer Gesellschaft.
Titelbild
Der „Marsch für das Leben“ 2024 in Berlin.Foto: Erik Rusch/Epoch Times
Von 23. September 2024

Schweigend zieht ein Marsch nach Rede- und Musikbeiträgen von seinem Kundgebungsort an diesem sonnigen Herbsttag vom Brandenburger Tor aus durch Berlin.

Junge und alte Menschen, bunt gemischt. Darunter auch Kirchenvertreter, Gemeindepfarrer, Politiker und viele Familien mit Kleinkindern.

Bunte Luftballons wehen im Wind, Schilder werden hochgehalten. Auf ihnen steht „Leben begleiten, nicht beenden“, „Töten ist keine ärztliche Kunst“ oder „Willkommenskultur auch für Ungeborene“. Trotz des ernsten Themas ist viel Lebensfreude und Dankbarkeit in den Gesichtern der Teilnehmer zu sehen.

Es ist der alljährliche „Marsch für das Leben,“ der am Samstag, 21. September, bei sommerlichen Temperaturen in massiver Polizeibegleitung durch die Stadt zieht. In diesem Jahr allerdings bis auf einige kleine Kruzifixe ganz ohne die charakteristischen großen, weiß lackierten Holzkreuze, die sonst den Prozessionscharakter des Marsches ausmachten. Jedes Kreuz stand symbolisch für ein abgetriebenes ungeborenes Kind.

Der überparteiliche und überkonfessionelle Marsch wurde im Jahr 2002 erstmals vom Bundesverband Lebensrecht organisiert, ein Zusammenschluss von 15 Organisationen der Lebensrechtsbewegung in Deutschland. Ähnliche Märsche gibt es auch in der Schweiz und Österreich.

Einige seiner Forderungen sind die Achtung der Menschenwürde, keine medizinisch nicht notwendigen Abtreibungen, kein assistierter Suizid, keine Leihmutterschaft oder die „Verwertung, Verzweckung und Vernichtung von Embryonen“.

Warum die Polizei mit dabei ist, zeigt sich bereits nach wenigen hundert Metern, die der Aufzug zurückgelegt hat.

Gegendemonstranten brüllen auf Teilnehmer ein

Laut „Alerta, Alerta Antifaschista“ brüllend, stehen am Seitenrand von der Polizei abgeschirmt hauptsächlich junge, schwarz gekleidete Frauen und Männer.

Sie halten Pappschilder hoch und rufen dabei: „Wir treiben euch ab!“, „Fundamentalismus. Raus aus den Köpfen“, „Raise your voice – your body, your choice (Erhebe deine Stimme – dein Körper, deine Entscheidung“) und „Haut ab! Haut ab! Haut ab!“

Etliche tragen einen Mundschutz – wohl eher zur Vermummung als zum Schutz vor Corona.

Gegendemonstranten am Rande vom „Marsch für das Leben“ 2024 in Berlin. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Die Berliner Polizei, eingeübt durch die zahlreichen Versammlungen in der „Stadt der Demos“, schirmt den überschaubaren Gegenprotest routiniert ab.

Ruhig geht es im Gegensatz dazu beim Aufzug zu. In der ersten Reihe wird ein großes Banner mit der Aufschrift „Marsch für das Leben“ gehalten. Dahinter, etwas versetzt, sieht man junge Menschen, die Marien- und Jesusbilder vor sich tragen.

Junge Teilnehmer beim „Marsch für das Leben“, die Marien- und Jesusbilder vor sich tragen. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Unter den Teilnehmern ist auch die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel (63). Die zur WerteUnion übergetretene Nordrhein-Westfalin leitet in ihrem Bundesland den Landesvorstand der neuen konservativen Partei.

„Ich bin jetzt schon mehrfach hier mit dabei, weil ich es für wichtig halte, dass wir für bestimmte Werte einstehen“, so Pantel.

Die ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete Sylvia Pantel. Foto: Norman Gebauer

„Die Würde des Menschen beginnt schon im Bauch der Mutter.“ Der Staat tue leider zu wenig, um Frauen, die schwanger geworden sind und nicht wüssten, wie es weitergehe, zu helfen, kritisiert sie.

Es gebe Hilfe und immer einen „Weg da raus“. Sie selbst habe fünf erwachsene Kinder. „Es war nicht immer einfach, aber ich habe nicht einen Tag bereut, unsere Kinder bekommen zu haben.“

Sie hofft, dass sich noch mehr Menschen für kranke, schwache oder alte Mitbürger einsetzen. „Eine Gesellschaft zeichnet sich dadurch aus, wie sozial sie ist, wie sie mit den Schwächsten und Kranken umgeht.“

Theologe sieht Absurdität

Stefan Felber (57) geht mit im Aufzug. Der evangelische Pfarrer, Theologe und Buchautor erklärt auf die Frage, warum er heute hier sei, er wolle den Staat und die ganze Gesellschaft, „aber besonders die, die im Staat Macht haben“, an ihre Aufgaben erinnern.

„Die originäre Aufgabe des Staates ist es, die Schwächeren vor den Stärkeren zu schützen.“ Das geschehe zu wenig, findet der Franke, der in Niedersachsen lebt. Für ihn sei ein gefordertes Recht auf Abtreibung absurd. „Das wäre ja ein Recht auf Mord.“

Stefan Felber ist evangelischer Pfarrer, Theologe und Buchautor. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Er würde schwangere Frauen, schwankend zwischen Abtreibung und Austragen, deutlich machen, dass es ganz viele Möglichkeiten gibt, wenn sie in eine soziale Notlage geraten würden.

Da gebe es „so viele“ Hilfen. Er hätte auch konkrete Adressen, die er weitergeben könnte – ärztliche, aber auch für Unterkunft, Kinderkleidung, Hebamme und so weiter.

„Frauen sollten damit rechnen, dass sie dann hinterher [nach einer Abtreibung] viel mehr Probleme haben, dass sie in ein schwarzes Loch hineinfallen und dieses unbekannte, namenlose Kind ihr Leben lang ihnen nachgehen wird.“

AfD-Politikerin will Zeichen setzen

Mit dabei ist auch Beatrix von Storch, stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende im Bundestag. Als Christin nehme sie regelmäßig am „Marsch für das Leben“ teil.

Sie sei heute hier, weil sie für das Leben eintrete. „Ich glaube, wir brauchen eine Kultur des Lebens.“

Der aktuelle Bundestag treibe eine „Kultur des Todes“-Agenda immer weiter voran. Es werde versucht, den Paragraf 218 – die Strafbarkeit der Abtreibung – abzuschaffen. „Es ist wichtig, dagegen ein Zeichen zu setzen.“

Eine von der Regierung eingesetzte Expertenkommission empfahl im Juli dieses Jahres, Schwangerschaftsabbrüche in den ersten zwölf Wochen zu legalisieren.

Als Ursache für die Entwicklung sieht sie, dass die Menschen nicht mehr an Gott glauben. „Deswegen machen sie sich selbst zu Gott und denken, dass sie selbst nach ihrer Lesart über Anfang und Ende des Lebens entscheiden können.“

Unter den Teilnehmern ist auch die Bundestagsabgeordnete Beatrix von Storch, stellvertretende AfD-Fraktionsvorsitzende. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Gegendemonstranten wenig gesprächsbereit

Immer wieder tauchten Gegendemonstranten mit Sprechchören und beschrifteten Pappschildern auf. Eine Antifa- und Regenbogenflagge wurde dabei geschwenkt.

Von ihnen zu erfahren, weshalb sie heute hier sind, stellte sich als schwierig heraus. Viele verweigerten das Gespräch gegenüber Pressevertretern.

Ein „Ken“ aus Berlin äußerte sich dann doch. Er sei hier, weil er den „Marsch für das Leben“ „ziemlich heuchlerisch“ fände.

„Denn sobald das Kind da ist, ist denen, wie ein Kind finanziert wird, ob das Kind gesund oder krank ist, ob die Frau das Kind überhaupt wollte oder nicht und wie es entstanden ist, eigentlich relativ egal.“

Den Marschteilnehmern gehe es „nur“ darum, Menschen das Recht abzusprechen, selbst zu entscheiden, ob sie das Kind abtreiben wollen oder nicht, so der Berliner.

Es gehe ihm bei seinem Gegenprotest auch darum, dass Menschen beim „Marsch für das Leben“ mitlaufen würden, die „queerfeindlich, menschenfeindlich und rassistisch“ seien. Das toleriere er nicht. Denn: „Die AfD […], fundamentalistische Christen und die Kirche läuft mit.“

Gegendemonstranten am Rande vom „Marsch für das Leben“ 2024 in Berlin. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Bischof sieht Streben nach Individualismus als Ursache

Roxane Köhler (20), ganz vorn in der ersten Reihe des Marsches, Vorsitzende von „Jugend für das Leben“, hält es für wichtig, junge Menschen darüber aufzuklären, wie die vorgeburtliche Entwicklung aussieht und was eine Abtreibung ist. „Auch über die psychischen und körperlichen Folgen wird viel zu wenig in der Gesellschaft aufgeklärt.“ Sie sieht es daher als eine wichtige Aufgabe an, weiterhin Seminare und Workshops zu diesem Thema durchzuführen.

Matthias Heinrich (70), Weihbischof im Erzbistum Berlin, ist an seinem gut sichtbaren römischen Kragen leicht zu erkennen. Er erklärt, dass er von Anfang an bei den Lebens-Märschen in Berlin mitlaufe. „Leider hat sich die Situation nicht gerade positiv verändert und deswegen müssen wir daran arbeiten, dass es nicht noch schlechter wird.“

Ein Teilnehmer vom „Marsch für das Leben“ 2024 in Berlin. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Als treibenden Keil für die negative Entwicklung sieht er das starke Streben nach Individualismus: „Ich gestalte mein Leben mit allen Konsequenzen selbst. Ich kann ohne große Rücksicht auf andere mein Leben führen“, würden Menschen denken.

Berlin sieht er als „Stadt der Individualisten“, die billigend in Kauf nehmen würden, dass es dabei Opfer gebe. „In diesem Falle jetzt die Kinder, die nicht geboren sind.“

Matthias Heinrich (links) ist Weihbischof im Erzbistum Berlin. Foto: Norman Gebauer

Ärztin: Menschen ein Ohr schenken und die Hand reichen

Dr. Julia Kim (27) aus Fulda ist zweite Vorsitzende bei der Organisation „Ärzte für das Leben“. Sie erklärte, dass es nicht Voraussetzung sei, an Gott zu glauben, um beim Marsch mitzulaufen oder „für das Leben zu sein“.

„Weil wir Argumente haben, die man auch mit einem Lehrbuch aus der Medizin belegen kann.“ Den Gegenprotest erklärt sie sich damit, dass die Lebensschützer eine „starke Botschaft“ haben.

Sie sei heute hier als Ärztin, die für das Leben eines jeden Menschen einstehe, die zuhöre, die den Menschen ein Ohr schenke und eine Hand reiche.

Damit wünschte sie, den Menschen mitzuteilen: „Ich begleite sie von der Geburt an und davor auch schon im Mutterbauch bis zu ihrem letzten Atemzug, bin für sie da und sage: Du sollst nicht durch meine Hand sterben, sondern an meiner Hand darfst du aus diesem Leben hoffentlich in Frieden gehen.“

Roxana Köhler (20, links) und Dr. Julia Kim (27, rechts) aus Fulda. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Roxane Köhler (links) und Dr. Julia Kim (rechts) aus Fulda ganz vorn in der ersten Reihe des Marsches. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Der Marsch, der sich langsam und still durch die Berliner Straßen schlängelte, wurde kurzzeitig durch eine Sitzblockade von rund 50 Gegenprotestlern aufgehalten.

Mithilfe der Polizei kann der Zug an der Blockade vorbeigeführt seinen Weg fortsetzen. Der Marsch, dessen Teilnehmerzahl nach Polizeiangaben im unteren vierstelligen Bereich liegt, gelangt schließlich wieder an den Startpunkt zurück, dem Brandenburger Tor – Symbol für Einheit und Freiheit.

Die Veranstalter sprachen von 4.500 bis 5.000 Teilnehmern.

Mit einer Sitzblockade versuchen Gegendemonstranten den „Marsch für das Leben“ aufzuhalten. Foto: Epoch Times

Gegendemonstranten versuchen, den „Marsch für das Leben“ zu blockieren. Foto: Norman Gebauer

Bis auf die Festnahme eines Demonstranten nach dem Wurf einer Flasche mit Buttersäure, die auf der Straße landete, verlief der „Marsch für das Leben“ in diesem Jahr laut Polizeieinschätzung „weitestgehend ruhig“ ab. Das sei in den vergangenen Jahren nicht immer so gewesen.

Mit einem ökumenischen Gottesdienst endete der als wichtigste öffentliche Aktionsform der Lebensrechtsbewegung in Deutschland geltende Marsch für das Leben.

Aus dem gesamten Bundesgebiet angereist, machten sich die Teilnehmer auf den Heimweg, um mit ihren bunten Luftballons mit dem Kernsatz „Liebe das Leben“ auch im nächsten Jahr wiederzukommen und ein Zeichen zu setzen – „zum Schutz des Lebens“.

Das Kernthema vom „Marsch für das Leben“ aufgedruckt auf einen Luftballon. Foto: Erik Rusch/Epoch Times



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