Berlin: Jubel bei der CDU – Grün liebäugelt mit Fortsetzung der Koalition rot-rot-grün

Bei der Wahl in Berlin ist die CDU erstmals seit mehr als zwei Jahrzehnten wieder stärkste Kraft geworden.
Von 12. Februar 2023

Die CDU kommt in den Hochrechnungen von ARD und ZDF auf rund 28 Prozent und ist damit erstmals seit 1999 die stärkste politische Kraft in Berlin. Als CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner zur Wahlparty seiner Partei im Abgeordnetenhaus kommt, wird er mit minutenlangem Applaus empfangen. „Es ist phänomenal“, sagt er auf der Bühne. „Berlin hat den Wechsel gewählt.“ Der 50-Jährige dankt seinen Wählerinnen und Wählern „für diesen klaren Regierungsauftrag“.

Wahlsieger Kai Wegner hat die Grünen bereits zum Gespräch geladen. Grünen-Spitzenkandidatin Bettinas Jarasch kündigte zwar an, das Angebot annehmen zu wollen – betonte aber auch, dass ihre Präferenz Grün-rot-rot sei. Die Grünen seien mit einer „klaren Veränderungsbotschaft“ angetreten.

Parteien beraten über Ergebnis

Die Parteien im Bund und auf Landesebene in Berlin beraten am Montag über das Ergebnis der Wiederholungswahl zum Abgeordnetenhaus in der Hauptstadt. Die Bundesvorsitzenden von CDU, SPD, Grünen, AfD und FDP treten mit den jeweiligen Spitzenkandidatinnen und -kandidaten ab dem späteren Vormittag (11.00 und 14.00 Uhr) vor die Presse. Auch die Berliner Landesparteien analysieren das Wahlergebnis vom Sonntag.

Die CDU hatte den Urnengang, der wegen massiver Pannen bei der Wahl von 2021 wiederholt werden musste, mit deutlichen Gewinnen klar für sich entschieden. Sie braucht aber einen Koalitionspartner. CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner will deshalb noch am Montag SPD und Grüne zu Sondierungsgesprächen über ein Zweierbündnis einladen.

Nach Auszählung aller Wahlkreise kommt die CDU mit ihrem Spitzenkandidaten Kai Wegner auf 28,2 Prozent – ein Plus von gut zehn Punkten im Vergleich zur Wahl 2021, die wegen der damaligen Pannen nun wiederholt wurde. Die Sozialdemokraten schnitten mit 18,4 Prozent so schlecht ab wie nie seit 1950 (2021: 21,4). Die Grünen, die seit 2016 mit Linken und SPD regieren, erreichten ebenfalls 18,4 Prozent (18,9), lagen aber 105 Stimmen hinter den Sozialdemokraten. Die AfD legte auf 9,1 zu (8,0). Ein bitterer Wahlabend war es für die FDP, die mit 4,6 Prozent aus einem weiteren Landesparlament flog (7,1).

  • Franziska Giffey verliert ihr Direktmandat an den CDU-Kandidaten Olaf Schenk.
  • Im Wahlkreis Spandau 2 von SPD-Fraktionschef Raed Saleh sowie Grünen-Spitzenkandidatin Bettina Jarasch gewann der CDU-Kandidat Ersin Nas.
  • CDU-Spitzenkandidat Kai Wegner hat das Direktmandat in seinem Wahlkreis Spandau 5 mit 46,9 Prozent der Erststimmen gewonnen.
  • Der bisherige Präsident des Abgeordnetenhauses Dennis Buchner verliert sein Direktmandat.
  • CDU gewinnt erneut den Wahlkreis Mitte 2, in dem der für Autos gesperrte Teil der Friedrichstraße liegt.

Berliner SPD-Wahlparty am 12.02.2023. Foto: über dts Nachrichtenagentur

Grün oder Rot müssten mit ihrem Gegner zusammenarbeiten

Wahlforscher Thorsten Faas erwartet eine langwierige Regierungsbildung. Trotz der hohen Zugewinne der CDU sei es schwierig, aus dem Wahlergebnis ein „Regierungssignal“ herauszulesen, sagte Faas der Deutschen Presse-Agentur. „Der Ball liegt bei der Union. Aber ob es ihr gelingt, eine Mehrheit zu bilden, ist mehr als offen.“

Der bisherige Senat werde in der Zwischenzeit im Amt bleiben. „Sollte sich eine der beiden Parteien für einen Wechsel zur CDU entscheiden, dann wird es für Grün oder Rot ein schwieriger Gang, weil das eigentlich gefühlt der politische Gegner ist“, sagte der Politikprofessor an der Freien Universität Berlin.

Nach Einschätzung anderer Experten profitierte die CDU unter Wegner bei der gerichtlich angeordneten Wiederholungswahl von der Unzufriedenheit mit dem rot-grün-roten Senat. Nur selten habe es für Regierungspolitik schlechtere Noten gegeben, hieß es gestern Abend in einer Analyse der Forschungsgruppe Wahlen.

Mitverantwortlich für das gute CDU- und das schwache SPD-Ergebnis sei auch gewesen, dass Giffey wenig Zugkraft entfaltet habe. Hinzu komme die Schwäche der FDP und eine gute Mobilisierung der CDU bei älteren Wählern.

Den Wahlforschern zufolge punktete die CDU besonders beim Thema Innere Sicherheit. SPD und Grünen bescheinigte die Forschungsgruppe Wahlen Kompetenzverluste bei den Top-Themen der Wahl – dem Wohnungsmarkt und dem Verkehr.

Lange Gesichter bei der SPD

Die Sozialdemokraten um die Regierende Bürgermeisterin Franziska Giffey haben deutlich verloren. Das Ergebnis zeige, „die Berlinerinnen und Berliner sind nicht zufrieden mit dem, wie es jetzt ist“, sagt Giffey vor ihren Anhängern in Berlin-Kreuzberg. „Sie wünschen sich, dass die Dinge anders werden.“

Giffey sprach von einem schweren Abend für ihre SPD – „daran gibt es nichts zu deuteln“. Doch sei es kein Automatismus, dass nun die CDU den Regierungschef stelle. „Auch ein Herr Wegner wird politische Mehrheiten organisieren müssen.“

Giffey weiter: „Wenn die SPD in der Lage ist, eine starke Regierung anzuführen, dann ist das für uns ein Punkt, den wir nicht einfach zur Seite schieben können“, sagte sie Giffey im RBB-Inforadio. Selbstverständlich werde die SPD aber auch Gespräche mit dem Wahlsieger Wegner führen.

„Am Ende geht es darum, wer eine stabile Mehrheit im Abgeordnetenhaus organisieren kann und wo gibt es die größten inhaltlichen Schnittmengen für einen Weg, den wir begonnen haben.“ Angesicht des schlechten Abschneidens ihrer Partei seien aber Konsequenzen erforderlich, so Giffey. „Egal, in welcher Konstellation wir agieren: Es braucht Veränderungen in der Stadt und in der Zusammenarbeit in der Regierung – da ist schon einiges aufzuarbeiten.“

Grüne wollen Macht mit SPD und Linken behalten

Bettina Jarasch sprach sich wiederholt dafür aus, die bestehende Regierungskoalition mit SPD und Linker fortzuführen – aber unter ihrer Führung. Denn auch wenn die CDU stärkste Kraft bleibt, hätte rechnerisch eine Neuauflage der aktuellen Regierung eine Mehrheit. Möglich wäre auch ein schwarz-rotes oder ein schwarz-grünes Bündnis.

Noch am Sonntagabend bestätigte die 54-Jährige ihren Wunsch, eine Koalition mit SPD und Linkspartei zu bilden. „Wir würden die Koalition gern fortführen, am liebsten unter unserer Führung“, sagte sie. Der Koalitionsvertrag sei dafür eine gute Grundlage. Angesichts des denkbar knappen Wahlergebnis erwarte sie allerdings einen „wirklich partnerschaftlichen“ Umgang, betonte Jarasch.

Bislang war Jarasch Senatorin für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz. Bei Amtsantritt erklärte sie: „Wir wollen Berlin spürbar lebenswerter machen“ – und meinte damit vor allem: grüner machen.

Eine schwarz-grüne Koalition hält sie nur bei starken Zugeständnissen der CDU für möglich. „Es gibt bei den Grünen kein Bündnis ohne Mobilitäts- und Wärmewende, ohne Berlin wirklich klimaneutral umzubauen und ohne echten Mieterschutz“, sagte Jarasch im RBB-Inforadio.

Die Linke von Kultursenator Klaus Lederer betont die Bereitschaft seiner Partei zur Fortsetzung ihrer Regierungsbeteiligung. Die entscheidende Frage sei, ob nach dem Urnengang „progressive Mehrheiten“ zustande kämen, sagt er.

Auszählung der Briefwahlstimmen.

Auszählung der Briefwahlstimmen. Foto: Paul Zinken/dpa

Kein Grund zum Feiern für die FDP

Kein Grund zur Freude herrscht bei der FDP: Die Liberalen verlieren mit Werten unter fünf Prozent deutlich und sind damit auch nicht mehr im Landesparlament vertreten.

Das schlechte Abschneiden bei der Abgeordnetenhauswahl in Berlin habe „selbstverständlich“ Folgen für die Koalition auf Bundesebene, sagte Generalsekretär Bijan Djir-Sarai am Sonntagabend im ZDF. Nötig sei, „dass die Stimme der FDP noch deutlicher sein muss als vorher“.

Djir-Sarai übte unverhohlene Kritik am Koalitionspartner Grüne: Er warf ihnen vor, in der Koalition liberale Kernanliegen wie den Infrastrukturausbau und die Planungsbeschleunigung auszubremsen. „Wir müssen ganz klar machen gegenüber unseren Koalitionspartnern, dass Blockadepolitik zum Schaden dieses Landes mit uns nicht zu machen ist.“ Die Haltung der Grünen sei in diesen Punkten eine „große Herausforderung“, sagte Djir-Sarai. Er forderte die SPD auf, sich in dem bislang vor allem von Grünen und FDP ausgetragenen Streit zu positionieren.

 

 



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