Straftaten im Netz: So handelt das Bundeskriminalamt
In den 17 Monaten vor Ende Juni 2023 hat das Bundeskriminalamt (BKA) in Wiesbaden fast 10.500 Meldungen über bestimmte strafbewehrte Inhalte in sozialen Netzwerken abgearbeitet. Nach Angaben eines BKA-Sprechers handelt es sich ausschließlich um jene Inhalte, die von „freiwilligen Kooperationspartnern“ zur Prüfung eingereicht worden seien. „Absolute Antragsdelikte“ wie Beleidigungen, Verleumdung oder üble Nachrede hätten dabei keine Rolle gespielt, denn diese fielen nicht unter den Strafkatalog des Paragraphen 3a NetzDG.
Rund 75 Prozent der Verdachtsmeldungen auf weit ernstere Verstöße seien von den Beamten als „strafrechtlich relevant“ eingeordnet worden. In solchen Fällen versuche die „Zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“ (ZMI BKA) zunächst, den „mutmaßlichen Verfasser“ herauszufinden. Sei dieser gefunden, leite die ZMI den Fall an die „örtlich zuständigen Strafverfolgungsbehörden in den Bundesländern“ weiter. Gelungen sei dies in „rund 77 Prozent der abschließend bearbeiteten Fälle“.
Somit müssten zwischen dem 1. Februar 2022 und dem 30. Juni 2023 rund 6.000 Ermittlungsverfahren eingeleitet worden sein. „Über den Fortgang der weiteren Ermittlungen liegen im BKA keine Informationen vor“, teilte das Bundeskriminalamt mit.
Social-Media-Plattformen wollen nicht mitspielen
Der Gesetzgeber hatte ursprünglich geplant, die Social-Media-Betreiber selbst in die Meldepflicht zu nehmen. Das BKA bestätigte auf Anfrage der Epoch Times:
Seit dem 01.02.2022 sind soziale Netzwerke mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern in Deutschland nach dem Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) verpflichtet, bestimmte Inhalte, die ihnen in einer Beschwerde gemeldet worden sind und die sie als rechtswidrig einordnen, dem BKA zu übermitteln.“
„In der Praxis“ aber seien – Stand Mitte Juli 2023 – noch überhaupt „keine Meldungen von strafbaren Inhalten an das BKA“ von den großen „Telemediendienstanbietern“ Google, Meta, Twitter und TikTok übermittelt worden. Denn diese hätten alle beim Verwaltungsgericht Köln dagegen geklagt. Manche der Verfahren seien noch „anhängig“, so der Sprecher des BKA.
Unter anderem das in Irland ansässige Unternehmen Meta hatte schon früh für seine Töchter Facebook und Instagram gegen die Paragraphen 3a (Meldepflicht an das BKA) und 3b (Gegenvorstellungsverfahren für Nutzer) NetzDG Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht Köln hatte daraufhin bereits am 1. März 2022 entschieden, dass keine BKA-Meldung gemäß Paragraph 3a NetzDG gemacht werden müsse. Die Meldepflicht verstoße „gegen Unionsrecht“, insbesondere gegen das „Herkunftslandprinzip“ (Oberverwaltungsgerichts NRW, Az 13 B 381/22, Erste Instanz: VG Köln, Az 6 L 1354/21).
Die Epoch Times erfuhr auf Anfrage beim Verwaltungsgericht Köln, dass derzeit nur noch Klageverfahren von TikTok (Az 6 K 735/22) und Google (Az 6 K 3769/21) anhängig seien. Antragsgegner sei jedes Mal das Bundesamt für Justiz.
Am 25. August 2023 werden nach dem Willen der EU-Kommission die Karten übrigens neu gemischt. Dann müssen sich große soziale Netzwerke und Onlinehändler dem „Digital Services Act“ (DSA) der EU unterwerfen, der weitreichende Kontrollen über ihre Inhalte ermöglicht.
BKA: „Wirkbetrieb mit freiwilligen Kooperationspartnern“
Um trotz des noch laufenden Boykotts der Social-Media-Anbieter in Kenntnis über bestimmte schwerwiegende Delikte in den sozialen Netzwerken zu gelangen, habe sich das BKA entschlossen, zu einem „Wirkbetrieb mit freiwilligen Kooperationspartnern“ überzugehen. Grundlage dafür sei Paragraph 2 des Bundeskriminalamtgesetzes (BKAG). „Dabei wurden Teile der dezentralen und bewährten Meldestrukturen, die in den Bundesländern zur Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet bereits bestehen, beim BKA zentral zusammengeführt“, erklärte ein BKA-Sprecher auf Anfrage der Epoch Times.
Innerhalb der „Meldestrukturen“ arbeite man nun mit Partnern wie „der Meldeplattform ‚HessengegenHetze‘ des CyberCompetenceCenters [Hessen3C] des Hessischen Ministeriums des Innern und für Sport, der Meldestelle ‚REspect!‘, der Jugendstiftung im Demokratiezentrum Baden-Württemberg, und den Landesmedienanstalten der Bundesländer“ zusammen. Ihre Anzeigen landeten bei der im BKA eigens eingerichteten „Zentralen Meldestelle für strafbare Inhalte im Internet“ (ZMI BKA).
Im besonderen Interesse des BKA liegen jene mutmaßlichen Straftaten, die dem Strafkatalog des Paragraphen 3a NetzDG entsprechen. Meldepflichtig sind somit folgende Verdachtsfälle:
- Verbreiten von Propagandamitteln verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (Paragraph 86 StGB)
- Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger und terroristischer Organisationen (Paragraph 86a StGB)
- Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Paragraph 89a StGB)
- Anleitung zur Begehung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat (Paragraph 91 StGB)
- Störung des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten (Paragraph 126 StGB)
- Bildung krimineller Vereinigungen (Paragraph 129 StGB)
- Bildung terroristischer Vereinigungen (Paragraph 129a StGB)
- Kriminelle und terroristische Vereinigungen im Ausland (Paragraph 129b StGB)
- Volksverhetzung (Paragraph 130 StGB)
- Gewaltdarstellung (Paragraph 131 StGB)
- Belohnung und Billigung von Straftaten (Paragraph 140 StGB)
- Verbreitung, Erwerb und Besitz kinderpornografischer Inhalte (Paragraph 184b StGB)
- Bedrohung (Paragraph 241 StGB), sofern es um eine „Bedrohung mit einem Verbrechen gegen das Leben, die sexuelle Selbstbestimmung, die körperliche Unversehrtheit oder die persönliche Freiheit“ gehe.
Um einschätzen zu können, ob es sich um einen strafbaren Post im Sinn des NetzDG handelt, stehe die ZMI BKA „im engen Austausch“ mit der „Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime Nordrhein-Westfalen“, die bei der Staatsanwaltschaft Köln angesiedelt sei. Diese Ansprechstelle verfüge „über eine große Expertise bei der Bekämpfung von Hass und Hetze im Internet“, schrieb der BKA-Sprecher.
Komme man nach Prüfung zu dem Schluss, dass es sich bei einem Post doch lediglich um eine „zulässige Meinungsäußerung“ handele, würden „die Meldungen strafrechtlich nicht weiter verfolgt und von der ‚Zentralstelle zur Bekämpfung der Internet- und Computerkriminalität‘ bei der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main nach entsprechender abschließender Prüfung eingestellt“.
Beleidigungen nur auf „Antrag“ im Visier
Wie bereits erwähnt, gehören Beleidigungen gemäß Paragraph 185 oder 188 StGB, die üble Nachrede (Paragraph 186 StGB), die Verleumdung (Paragraph 187 StGB) oder die Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener (Paragraph 189 StGB) nicht zu den Offizialdelikten im Sinne des NetzDG, sondern gelten als „Antragsdelikte“.
Ein solches Antragsdelikt liegt grundsätzlich vor, wenn „zunächst ein Antrag des Geschädigten erforderlich ist, damit die Justizbehörden tätig werden und die Strafverfolgung aufnehmen“, heißt es im Onlineportal „Fachanwalt.de“. „Hiervon zu unterscheiden sind die Offizialdelikte, bei denen die Staatsanwaltschaft auch ohne Antrag des Geschädigten die Strafverfolgung aufnimmt.“
Wer sich im Netz also „nur“ beleidigt, verleumdet oder der üblen Nachrede ausgesetzt sieht und gegen den Urheber vorgehen will, muss selbst Strafanzeige gemäß Paragraph 158 Strafprozessordnung (StPO) erstatten. Das steht jedermann selbstverständlich auch im Zuge von mutmaßlichen Offizialdelikten frei.
Wenn die Anzeige aktenkundig sei, werde ein Ermittlungsverfahren nach den Paragraphen 160 bis 177 der Strafprozessordnung (StPO) eingeleitet. Laut „Juraforum.de“ geht es bei einem Ermittlungsverfahren zunächst nur darum, Tatsachen in Erfahrung zu bringen und „Beweise zu sichern“, „die den Verdacht einer Straftat begründen“.
Falls die Ermittlungsbehörde zum Schluss gelangt, „dass der Tatverdacht nicht bestätigt werden konnte oder die Staatsanwaltschaft von einer Verfolgung der Straftat absieht“, zum Beispiel wegen Geringfügigkeit, werde das Verfahren eingestellt. Wenn aber „genügend Beweise für eine Straftat“ vorlägen, sei es an der Staatsanwaltschaft, Anklage zu erheben. Dann würde die Sache vor Gericht gehen. In beiden Fallen wäre das eigentliche Ermittlungsverfahren abgeschlossen.
Umgekehrt besitze auch ein Beschuldigter „eine Reihe von Rechten“, nämlich das Recht zu schweigen, das Recht, sich zur Sache zu äußern, und das Recht, einen Anwalt hinzuzuziehen. Ein Beschuldigter könne außerdem darauf bestehen, dass während einer Vernehmung sein Anwalt mit dabei sei, heißt es auf „Juraforum.de“.
Wer poltert am meisten – links oder rechts?
Unklar sei übrigens, so der BKA-Sprecher, ob eher Sympathisanten des linksprogressiven Spektrums oder Sympathisanten des rechtskonservativen Spektrums dazu neigten, Straftaten zu melden – seien es nun Antrags- oder Offizialdelikte. Das BKA selbst nehme „keinerlei am Phänomenbereich orientierte Auswertungen und Analysen vor“. Es sei allerdings zu beobachten, dass „die Zahl der Meldungen […] tendenziell“ zunehme.
Ob und inwiefern in Kommentarspalten weitverbreitete Schmähungen wie „Ökofaschist“, „Nazi“ oder die Behauptung, jemand sei „dick“, eine strafrechtliche Relevanz besitzen, dazu wollte das BKA nichts sagen: „Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir im Zuge von Medienanfragen keine Rechtsauskünfte geben“. Auch das Bundesamt für Verfassungsschutz wollte der Epoch Times schon vor Wochen keine Definition darüber geben, was eigentlich mit „Hass“ und „Hetze“ gemeint sei.
Die Epoch Times fragte auch bei den Parteizentralen der im Bundestag vertretenen Fraktionen per E-Mail nach, mit wie vielen Beleidigungen oder noch schlimmeren Angriffen sich ihre Mitglieder auseinanderzusetzen haben und inwiefern die Parteien oder die Betroffenen dagegen normalerweise vorgehen. Kein einziger Presseprecher antwortete, mit Ausnahme der AfD: Die Pressestelle der blauen Partei schickte zumindest eine Eingangsbestätigung.
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