Belästigungsvorwürfe: Gab es eine Intrige innerhalb der Grünen gegen Gelbhaar?

Wende im Fall des Berliner Grünen-Politikers Stefan Gelbhaar: Vorwürfe sexueller Belästigung gegen den Direktkandidaten im Berliner Kreisverband Pankow haben zu dessen Rücktritt geführt. Mittlerweile verdichten sich jedoch die Hinweise darauf, dass Teile der Anschuldigungen und sogar die Urheberin frei erfunden sein könnten.
Stefan Gelbhaar (Bündnis 90/ Die Grünen) hält ein Verbot von kurzen Privatflügen für rechtlich schwierig.
Der Fall Stefan Gelbhaar erschüttert die Grünen.Foto: Annette Riedl/dpa
Von 19. Januar 2025

Der Berliner Landesverband der Grünen und speziell der Kreisverband Pankow wird mitten im Bundestagswahlkampf von einer möglichen Intrige innerhalb der Partei erschüttert. Zum gegenwärtigen Zeitpunkt hat dieser bereits zum Rücktritt des Direktkandidaten Stefan Gelbhaar und mittlerweile auch zu jenem einer Bezirkspolitikerin geführt.

Der Umstand, dass Gelbhaar auch seine Kandidatur auf dem sicheren Platz 2 der Landesliste zurückgezogen hatte, ermöglichte die Nominierung seines Wahlkampfmanagers Andreas Audretsch auf dieser Position.

Erster direkt gewählter Abgeordneter der Grünen im früheren Thierse-Wahlkreis

Gelbhaar hatte den Wahlkreis im Jahr 2021 mit einem Ergebnis von 26,8 Prozent der Erststimmen und mit deutlichem Abstand zu CDU-Bewerberin Manuela Anders-Granitzki (17,5) gewonnen. Damit folgte er Stefan Liebich (Linkspartei) nach, der den Wahlkreis seit 2009 gehalten und vor vier Jahren nicht mehr kandidiert hatte. Er ist damit der erste direkt gewählte grüne Abgeordnete in dem Wahlkreis, den zuvor nur PDS (später „Die Linke“) und SPD gewinnen konnten. In den Jahren 2002 und 2005 hatte Bundestagspräsident Wolfgang Thierse dort die Mehrheit erlangt.

Zu Beginn des Jahres stand fest, dass Stefan Gelbhaar dem nächsten Bundestag nicht angehören würde. Bereits Mitte Dezember hatte er auf seine Listenkandidatur verzichtet. Der Grünen-Kreisverband Pankow entschied später, die Direktkandidatur erneut zu vergeben.

Gelbhaar hat am 31. Dezember selbst auf seiner Homepage bekannt gegeben, dass die Ombudsstelle der Partei ihn über Vorwürfe sexueller Belästigung informiert habe. Diese sollen bis November 2023 zurückreichen. Die Beschwerden seien an den drei Tagen unmittelbar vor der Listenwahl am 14. Dezember eingegangen.

Gelbhaar nannte die Vorwürfe „schlichtweg kriminell“

Der Abgeordnete zog seine Kandidatur auf Druck aus seiner eigenen Partei zurück. Ein Wahlkampf mit ihm sei „unter den aktuellen Vorzeichen mit großen Risiken verbunden“, hieß es aus dem Kreisverband. Dies habe auch Gelbhaar selbst so bewertet. Die Vorwürfe selbst bestritt er kategorisch und bezeichnete diese als erlogen.

Die Landesspitze stellte sich hinter den Kreisverband und kritisierte den Politiker, weil dieser die gegen ihn gerichteten Anschuldigungen veröffentlicht hatte. Diese beruhten auf Behauptungen, die mehrere Frauen auch gegenüber dem Rundfunk Berlin-Brandenburg (RBB) erhoben hatten – und durch eidesstattliche Versicherungen untermauerten.

Gelbhaar sprach von einer „in Teilen geplanten Aktion“ und bezeichnete die Vorwürfe als „schlichtweg kriminell“. Er begann mit eigenen Recherchen, um die Vorwürfe zu widerlegen. Mittlerweile haben sich die Hinweise darauf verdichtet, dass die Einschätzung des Politikers zutrifft.

Bezirkspolitikerin soll hinter erfundener „Anne K.“ stecken

Am Freitag, 17.1., räumte der RBB unter Berufung auf eigene Recherchen ein, dass „Betrug“ die Grundlage des Vorgehens und der Berichterstattung über die Causa gewesen sei. Dem Sender seien anonyme Meldungen an die Ombudsstelle der Grünen im Wortlaut vorgelegen. Zudem habe man sich auf „eidesstattliche Versicherungen von Frauen, die mit uns gesprochen hatten“, gestützt. Die Gespräche seien offenbar nur telefonisch erfolgt, mutmaßte schon bald der „Tagesspiegel“.

Nun heißt es, an der Identität einer der Frauen, die sich „Anne K.“ nannte, seien mittlerweile Zweifel aufgekommen. Diese sei zuletzt nicht mehr erreichbar gewesen. Es habe sich herausgestellt, dass sie „nicht diejenige“ gewesen sei, für die sie sich ausgab. Vielmehr gelangte der RBB zu der Einschätzung:

Mit hoher Wahrscheinlichkeit existiert diese Frau gar nicht.“

Stattdessen stehe „für uns zweifelsfrei fest“, heißt es weiter, dass eine grüne Bezirkspolitikerin „sich in Gesprächen dem RBB gegenüber als Anne K. ausgegeben hat“. In diesem Namen habe sie auch eine eidesstattliche Versicherung abgegeben.

Zwar streite die Person dies ab und beteuere, „lediglich Kontakt“ zu „Anne K.“ gehabt zu haben. Allerdings habe sie auf Anfrage Belege für deren Existenz vermissen lassen. Damit sei „ein wesentlicher Vorwurf“, der gegen Gelbhaar erhoben worden sei, nichtig. Der RBB habe zudem eine Strafanzeige gegen die Bezirkspolitikerin gestellt.

Bundesspitze der Grünen kündigte Parteiausschlussverfahren an

Die Ombudsstelle der Grünen hat erklärt, das aktuelle Ombudsverfahren weiterzuführen. Gelbhaar hat seinerseits mittlerweile Rechtsanwälte mit der Angelegenheit befasst. Zudem äußerte er in einem Gespräch mit dem „Business Insider“, er habe Strafanzeige wegen Verleumdung gestellt.

Der Kreisverband Pankow erklärte am Samstag, man sei „schockiert“ ob der Berichterstattung, wonach es „Falscherklärungen gegenüber der Presse gegen Parteimitglieder gegeben haben könnte“. Sollte dieser sich erhärten, fordere man „parteirechtliche und gegebenenfalls strafrechtliche Konsequenzen“. Der Vorstand begrüße es, dass auch der Landes- und Bundesverband solche Schritte angekündigt hätte.

Ein solches Verhalten, so heißt es weiter, „schädigt die Partei, mögliche Betroffene, gemeldete Personen und das Vertrauen in innerparteiliche Prozesse“. Vom RBB erwarte man eine „umfassende Aufarbeitung der Vorgänge innerhalb der Berichterstattung“.

Grünen-Chefs Franziska Brantner und Felix Banaszak kündigten gegenüber der „Welt am Sonntag“ ein Parteiausschlussverfahren gegen die für die mutmaßlichen Falschbehauptungen verantwortliche Person an, sobald deren Name bekannt werde. Bis zur Entscheidung des Parteischiedsgerichts werde sie „von der Ausübung aller Mitgliedschaftsrechte ausgeschlossen“.

Die Parteichefs betonten: „Wer in einem solchen Verfahren falsche Aussagen an Eides statt tätigt, begeht im Zweifelsfall nicht nur eine Straftat, sondern fügt der gemeldeten Person, der Partei, aber auch den auf Vertrauen aufbauenden Strukturen und den anderen meldenden Personen erheblichen Schaden zu.“

Gelbhaar bekommt Chance auf Mandat nicht mehr zurück

Einem Bericht des „Tagesspiegel“ zufolge hat unterdessen die Vorsitzende der Grünen-Fraktion in Berlin-Mitte, Shirin Kreße, ihr Mandat niedergelegt. Ob die Politikerin, die auch Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft Feminismus war, die Partei verlassen habe, konnte die Landesparteispitze bislang nicht bestätigen. Dies war zuvor der Zeitung aus internen Parteiquellen zugetragen worden. Einen Grund für ihren Schritt hatte Kreße nicht genannt. Sie soll jedoch „von Beginn an eine aktive Rolle in der Causa Gelbhaar gespielt“ haben.

Berliner Grünen-Politikerin Shirin Kreße verlässt die Partei. Foto: via dts Nachrichtenagentur

Seine Chance auf den Wiedereinzug in den Bundestag bekommt Gelbhaar dennoch nicht mehr zurück. Der Vorstand des Kreisverbandes Pankow gab den Mitgliedern die Möglichkeit, „auf Grundlage einer veränderten politischen Situation“ erneut über die Direktkandidatur zu entscheiden. Mit knapp drei Vierteln der Stimmen setzte sich die als Ersatzkandidatin vorgesehene Julia Schneider gegen den bisherigen Mandatsträger durch.



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