Muss die Bundestagswahl wiederholt werden?
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Ist die Bundestagswahl aus juristischer Sicht sauber abgelaufen? Nein, meinen viele Beobachter, darunter auch die BSW-Parteichefin Sahra Wagenknecht.
Ihr „Bündnis Sahra Wagenknecht“ war nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis der Bundeswahlleiterin bei 4,972 Prozent gelandet. Insgesamt 2.468.670 Zweitstimmen wurden bis Sonntagnacht bundesweit für das BSW registriert – gut 13.000 Stimmen zu wenig, um die Fünf-Prozent-Hürde zu überspringen.
Wie der „Tagesspiegel“ berichtet, denkt Wagenknecht darüber nach, die Wahl anzufechten. Dazu wolle sie die Sache zunächst prüfen lassen und sich mit ihren Anwälten beraten. Denn „wenn eine Partei aus dem Bundestag fliegt, weil ihr 13.400 Stimmen fehlen, stellt sich schon die Frage nach dem rechtlichen Bestand des Wahlergebnisses“, zitiert der „Tagesspiegel“ die aktuellen Äußerungen der ehemaligen linken Bundestagsabgeordneten aus der Bundespressekonferenz vom 24. Februar.
Doch das BSW hat auch eigene Fehler gemacht, räumte Wagenknecht ein. Dazu gehöre das Hickhack um die Regierungsbeteiligung in Thüringen oder der betont vorsichtige Umgang mit Aufnahmeanträgen.
Wagenknecht beklagt mediale Beeinflussung
Überdies aber gebe es mehrere externe Gründe für die Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Bundestagswahl. In ihrem Newsletter vom 24. Februar berichtet das BSW von Personen, die in ihrem Wahllokal der Wagenknechtpartei die Stimme gegeben hatten, aber in der Auflistung der Stimmenergebnisse dieses Wahllokals das BSW mit 0 Stimmen ausgewiesen werde. Dies gehe in häufigen Fällen einher mit einem auffällig hohen Stimmenanteil für das „Bündnis Deutschland“, welches auf dem Stimmzettel teilweise direkt über dem BSW stand.
Als Beispiel nannte der Aachener BSW-Bundestagsabgeordnete Andrej Hunko gegenüber dem Magazin „Multipolar“ den Wahlkreis 086 in Aachen.
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Zweitstimmen im Walkreis Aachen 086 am 23.02.25 um 21:35 Uhr. Foto: Schreenshot https://wahlen.regioit.de
Vorfälle dieser Art können unter Angabe der Wahllokalnummer und des Wahllokalnamens an das BSW weitergegeben werden: [email protected]
Zum anderen vermute Wagenknecht, dass die Forsa-Wahlumfrage vom 20. Februar die Bürger negativ beeinflusst haben könnte. Das Meinungsforschungsinstitut hatte lediglich einen Wert von 3,0 Prozent als Stimmungsbild gemessen, Tendenz absteigend.
Aus Sicht von Wagenknecht könnte es sich um eine „gezielte Aktion zur Manipulation von Wahlverhalten“ handeln, so der „Tagesspiegel“: Die BSW-Namensgeberin betrachte es als „durchaus wahrscheinlich“, dass viele Menschen unter dem Eindruck der Forsa-Umfrage doch noch Abstand von der Wahl des BSW genommen hätten, um ihre Stimme nicht zu verschenken. Womöglich mehr Wahlberechtigte als jene rund 13.400, die am Ende fehlten.
Vielleicht „ähnlich dreist und in dem Fall strafrechtlich relevant“ habe sich nach Einschätzung von Wagenknecht der Umstand ausgewirkt, dass am Wahlsonntag schon vor 18:00 Uhr falsche Zahlen in den sozialen Netzwerken kursiert seien, die ebenfalls ein Scheitern des BSW vorausgesagt hatten.
Vorsicht, Fake News!
Aus der Website der Bundeswahlleitung geht hervor, dass die Wahlleitung nur dann „für das Erkennen und Bekämpfen von Desinformation“ zuständig ist, „wenn die Information ihren Aufgabenbereich oder das Wahlverfahren allgemein betrifft“. Die Aufsicht über „Fake News“ in den sozialen Netzwerken obliege allerdings den Landesmedienanstalten.
Die Website der Bundeswahlleiterin bietet übrigens auch Auskunft über die gängigsten Gerüchte, die manche Wähler verunsichern – wie zu einer angeblichen Wahlpflicht, zur Manipulierbarkeit von Briefwahlen, über die Rechte eines Wahlbeobachters oder zur Gültigkeit von Stimmzetteln.
Interessanterweise findet sich der 4,972-Prozentsatz für das BSW nur in der Ergebnistabelle, nicht aber im Balkendiagramm zu den Zweitstimmen der Bundeswahlleiterin. Die FDP mit ihren 4,3 Prozent wird dagegen in beiden Fällen gesondert ausgewiesen.
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Die Grafik zeigt das Balkendiagramm zu den Zweitstimmen der Bundestagswahl 2025 (vorläufiges amtliches Endergebnis, Stand 24.02.2025). Das BSW ist im Balken der „Sonstigen“ enthalten. Foto: Bildschirmfoto/Bundeswahlleiterin.de
Sollte es sich bis zum amtlichen Endergebnis herausstellen, dass das BSW tatsächlich doch genug Stimmen für den Bundestag einsammeln konnte, würde sich die Sitzverteilung ändern. Um eine stabile Regierung bilden zu können, wäre der CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz dann neben der SPD auf eine zweite Fraktion angewiesen. Zudem hätten AfD und BSW zusammen eine Mehrheit, um etwa einen Corona-Untersuchungsausschuss einzusetzen.
Die Frage nach ihrer politischen Zukunft ließ Wagenknecht nach Angaben der „Berliner Morgenpost“ im Vagen: Man werde in den parteiinternen Gremien beraten, ob sie weiter an der Spitze ihrer Partei stehen werde, so das prominenteste Gesicht des BSW während der Bundespressekonferenz.
Exekutivversagen im großen Stil?
Der frühere FDP-Politiker und heutige Gewerkschaftsgründer Marcel Luthe hegt übrigens ebenfalls Zweifel an der Rechtmäßigkeit der Wahl. In einem X-Posting vom Sonntagnachmittag erwähnte er verschiedene Anfechtungsgründe. Sie alle hängen mit mutmaßlichem Versagen von Behörden oder Einzelpersonen zusammen.
So hätten 213.000 deutsche Staatsbürger mit Wohnsitz im Ausland, darunter der deutsche Botschafter in London, nicht wählen können, weil Briefwahlunterlagen zu spät oder gar nicht bei ihnen angekommen seien. Luthe gab an, zudem im Besitz von „Schreiben“ zu sein, „nach denen Wahlämter die Eintragung ins Wählerverzeichnis rechtswidrig verweigert“ hätten, obwohl der entsprechende Antrag vorgelegen habe. Seine Good Governance Gewerkschaft (GGG) werde die Hinweise prüfen.
Wer selbst Opfer eines Wahlfehlers geworden sei, könne seine Beobachtungen per E-Mail ([email protected]) an die Arbeitnehmervertretung kommunizieren. Insbesondere das BSW und die FDP, für die der Bundestagseinzug lange auf der Kippe stand, könnten nach Auffassung Luthes „klar mandatsrelevant“ benachteiligt worden sein.
Rechtsanwalt: Wahl „im höchsten Maße angreifbar“
Der Heidelberger Rechtsanwalt Dr. Uwe Lipinski, nach eigenen Worten ein Spezialist für Wahlanfechtungsrecht, hielt die Wahl „unter verfassungsrechtlichen Aspekten“ schon am Samstag für „im höchsten Maße angreifbar“.
In seiner Pressemeldung vom 22. Februar hieß es, die Vorabprüfung seines Teams habe ergeben, „dass es eine Vielzahl an Verfassungsverstößen bereits im Vorfeld der Wahl gegeben hat und am morgigen Wahlsonntag auch verfassungswidrige Regelungen angewendet werden.“ Lipinski schrieb:
Ob es die Thematik der Briefwahl für Auslandsdeutsche ist, ob es nicht wenige verfassungswidrige Normen sind, die das Bundesverfassungsgericht noch nicht hat prüfen können, ob es die Wahlkreiseinteilung ist, ob es in Teilen bedenkliche Kriterien für die Einladungspraxis in die sog. ‚Wahlarenen‘ ist – die Liste der sehr wahrscheinlichen Verfassungsverstöße ist sehr lang!“
Der Fachanwalt für Verwaltungsrecht wies zudem darauf hin, dass bei der Bundestagswahl „eine wichtige Norm des Bundeswahlrechts“ zum Tragen gekommen sei, die womöglich verfassungswidrig sei. Denn ebendiese Norm sei „mit zwei früheren Landeswahlrechtsnormen […] inhaltlich identisch“, die von den dortigen Verfassungsgerichten bereits als verfassungswidrig eingestuft worden seien. „Es ist völlig unverständlich, dass insoweit keine Anpassung des Bundestagswahlrechts erfolgt ist“, meint Lipinski.
Sollte es also zu einer „fundierten Wahlanfechtung“ kommen, so Lipinski, dann halte er es „für naheliegend, dass das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) im Rahmen einer Wahlprüfungsbeschwerde in 1 bis 2 Jahren erstmalig in der Geschichte der Bundesrepublik eine Neuwahl im gesamten Bundesgebiet anordnen wird“.
Die Epoch Times schickte der Pressestelle der Bundeswahlleiterin Ruth Brand einen Fragenkatalog, um die im Raum stehenden Probleme aufzuklären. Bis zum Zeitpunkt der Veröffentlichung dieses Artikels lag noch keine Antwort vor.
Wahlanfechtung für jeden Wahlberechtigen erlaubt
Eine Wahlanfechtung kann nach Informationen des Bundestags grundsätzlich jeder Wahlberechtigte per unterschriebenem Brief beim Wahlprüfungsausschuss des Bundestags gratis anstrengen. Die zweimonatige Frist dafür beginnt gemäß Paragraf 2 (4) des Wahlprüfungsgesetzes (WahlPrG) am Tag nach der Wahl.
Wichtig seien eine möglichst detaillierte Schilderung des vermuteten Wahlfehlers und eine stichhaltige Begründung. Nur wenn ein Wahlfehler die Sitzverteilung im Bundestag beeinflusse oder beeinflussen könne, habe so ein Einspruch überhaupt Aussicht auf Erfolg.
Wenn der Wahlprüfungsausschuss zur Überzeugung gelange, dass der Bundestag sich mit dem Einspruch befassen sollte, werde er eine entsprechende Beschlussempfehlung machen, die den Bundestag als entscheidendes Gremium einbinde. Dann müsse das Plenum entscheiden. „Bei einem erfolgreichen Wahleinspruch könnte die Wahl ganz oder teilweise für ungültig erklärt und ihre Wiederholung angeordnet werden“, heißt es im Webarchiv des Bundestags.
Nach Einschätzung des Rechtsanwalts Thomas Hummel ist es aber „naheliegenderweise unwahrscheinlich“, „dass der Bundestag seine eigene Wahl für ungültig erklärt“.
Falls man nicht mit der Entscheidung des Bundestags einverstanden sei, bestehe noch die Möglichkeit, das BVerfG in Karlsruhe gemäß Paragraf 48 des Gesetzes über das Bundesverfassungsgericht (BVerfGG) anzurufen. Dafür beginne ab Beschlussfassung des Bundestags abermals eine Frist von zwei Monaten.
Dass jemand nicht habe wählen können, weil ein Fehler zu seinen Ungunsten im Briefwahlverfahren passiert sei, sei nur dann als Wahlfehler zu monieren, wenn so etwas „in erheblichem Umfang“ beobachtet werde und das Wahlergebnis möglicherweise beeinflusse, schreibt Hummel. Das könne speziell bei der aktuellen Wahl mit ihrer kurzen Vorbereitungsfrist womöglich der Fall sein.
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