Bauernproteste gegen „Enteignung durch die Hintertür“ – durch die geplante Insektenschutzverordnung
Das Landvolk meldet sich zu Wort, mit allem was es hat – jedenfalls gemessen an den gigantischen PS-Zahlen, die hier zusammengekommen sind und ansonsten Alltags dort tätig sind, wo unter anderem das gute deutsche Brot seinen Ursprung hat: auf dem Feld. Ein Bild voller Symbolkraft. Eine ungemütliche Mahnung will man sein, gerichtet an die da drinnen, hinter dem Schriftzug „Dem deutschen Volke“.
Die Berliner Polizei genehmigte sogar das gemeinsame Hupen, das in diesen Tagen zur Soundkulisse von Berlin gehört, wie die großen, meist grün lackierten Kolosse der Bauern aus ganz Deutschland zum Straßenbild. Hat mal jemand das Hupkonzert von vielen Traktoren erlebt? Es geht einem durch Mark und Bein.
Noch mehr, wenn man weiß, um was es hier geht: Um ein letztes Aufbäumen von Verzweifelten, um eine Erschütterung der Lebenswelt dieser fleißigen Menschen, die so gar nicht zu der Erhabenheit ihrer Traktoren passen will. Der Mensch ganz klein im Schatten seiner Werkzeuge, aber stolz und erhobenen Hauptes im Schatten des Reichstags, da, wo wiederum das Unheil für diese Bauern seinen Ursprung hat.
Soll doch das Hupen durch die dicken Mauern dringen und mitten hinein in das Bewusstsein der Politiker, die morgen über den umstrittenen Entwurf zum Insektenschutzgesetz aus dem Haus der Bundesumweltministerin Svenja Schulze (SPD) abstimmen müssen. Denn darum geht es den Protestierenden ebenso wie um den Entwurf der Pflanzenschutz-Anwendungsverordnung – aber eigentlich um noch so viel mehr!
Die Landwirte vor Ort sprechen beim Insektenschutzpaket von einer „Enteignung durch die Hintertür“. Auf mindestens 1,2 Millionen Hektar dürfen dann keine Herbizide, Insektizide und Fungizide mehr zum Einsatz kommen. Das entspräche sieben Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche in Deutschland. Davon betroffen wäre auch die Forstwirtschaft, wo der Borkenkäfer dann ganze Wälder ungehindert durchnagen und zerstören könnte.
Dem deutschen Bauernstand, einst Stütze der wohnortnahen Lebensmittelversorgung, geht es nicht erst heute schlecht. Ein Bauernsterben gibt es schon länger, aber jetzt hat es noch einmal Fahrt aufgenommen und wird zu einem massiven und unausweichlichen Bauernsterben.
Import anstatt Ernährungssouveränität im eigenen Land ist da nur ein düsteres Zukunftsgemälde, angestrebt von der Politik da in diesem steineren Haus, vor dem jetzt die Traktoren hupen. Die Lage ist wirklich ernst, deshalb sind so viele Bauern von hoch aus dem Norden, aus dem Süden, dem Osten und Westen Deutschlands in die Hauptstadt gefahren auf ihren Traktoren mit den übermannsgroßen Reifen.
Ich bin Anfang des Monats ganz von oben aus dem Norden mit einer der Treckerkolonnen bis nach Berlin mitgefahren. Ich habe erlebt, wie Landwirte in Berlin im Regen, im Schnee und ohne Aufenthaltsraum im Freien sich in den Pausen an den verschiedenen Proteststandorten um Feuertonnen stehend wärmten – Bilder wie aus einem Bauernepos Made by Hollywood, aber doch ganz real. Ich habe gesehen, wie die Stadtbevölkerung hinter den Bauern steht, und ihnen warmes Essen, Holz und vielfachen Zuspruch spendet.
Die Bauern standen vor dem Bundesministerium für Umwelt, dem Landwirtschaftsministerium, sie standen vor dem „ZDF“, „ARD“, „RBB“, CDU, SPD und anderen Orten, um auf ihre Not, Verzweiflung aber auch wachsende Wut angesichts der dramatischen Lage ihres Berufsstandes aufmerksam zu machen. Die Öffentlich-Rechtlichen berichten nicht.
Auch dann noch nicht, als Hunderte von Traktoren direkt vor ihren Türen standen und sie die Bilder frei Haus bekamen, für die sie partout nicht ausrücken wollten. Ja, doch, der „RBB“ hat sich inzwischen mal blicken lassen. Das „ZDF“ will eventuell heute mal vorbeikommen.
Dafür sind die Bilder vor’m Reichstagsgebäude auch einfach zu gut, als dass man diese noch verschweigen könnte. Oder kommt man, um die Bauern zu diskreditieren? Schon gestern gab es ein zweistündiges Gespräch mit dem „ZDF“ und einigen der Landwirtschaftsvertreter – auch hier waren es die Bauern, die wieder die Initiative ergriffen.
Die Bundesumweltministerin hat es während dieser Wochen des bäuerlichen Protestes nicht für nötig gehalten, einmal aus ihrem Ministerium herauszukommen, um sich wenigstens einmal mit den ebenso zornigen wie verzweifelten Landwirten vor ihrer Tür auf ein Gespräch einzulassen – wohl wissend, dass hier hinter jedem Mann und jeder Frau eine Familie im Existenzkampf steht.
Die Landwirtschafts- und Ernährungsministerin ließ auch auf sich warten, obwohl ganz in ihrem Ministerium, wie in einem Palast, in ihrem Büro in der oberen Etage ein einziges Licht brannte. Sie konnte also theoretisch aus ihrem Fenster auf die Traktoren und Bauern herabsehen, bevor sie sich dann am vorvorletzten Mittwoch entschloss, herauszukommen.
Nein, die Bauern oder eine Delegation von ihnen wurden nicht hineingelassen, sie standen draußen, in der Kälte, und mussten sich von Klöckner anhören, dass entweder das Umweltministerium oder die Regierung oder die EU dieses und jenes nicht zulassen würde, diese oder jene Auflage oder Gesetz zwar problematisch für die Landwirte wäre, es aber wegen diesem oder jenem halt so sei!
Dabei weiß sie als auch die Politik vom unsäglich traurigen Bauernsterben in unserem Land, sie alle kennen auch die Gründe dafür: Die Politik lässt zu, wider besseres Wissen – nein: ohne Gewissen! –, dass es so ist. Sie verabschiedet immer mehr Gesetze, Regeln, Maßnahmen, die unsere Landwirte erwürgen.
Allerdings fand letzten Donnerstag eine Videokonferenz zwischen Klöckner und sogenannten „Stakeholders“ statt, unter anderem waren der NABU, der Bauernverband, und „Land schafft Verbindung“ mit dabei. Gestern wurde dem kleinen Kreis dann von Klöckner per Telefonkonferenz mitgeteilt, dass Ackerflächen aus dem Insektenschutzgesetz nun doch ausgeklammert wurden und nur noch Grasflächen davon betroffen seien. Ja, die Hoffnung stirbt zuletzt, aber mit ihr die Bauern.
Hier muss ich nochmal darauf hinweisen, dass man in diesem Land Gesetzentwürfe nicht einsehen darf, diese sind nur ausgewählten Kreisen zugänglich. Ich erfuhr das, als ich nach den Gesetzentwürfen fragte. Das könne ja populistisch ausgenutzt werden, so eine Pressesprecherin eines Ministeriums.
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