Bauernaufstand: Mit Treckern, Stroh und leeren Supermärkten
Viele Landwirte in Deutschland sind mit ihrer Geduld am Ende. Gegenüber der aktuellen Landwirtschaftspolitik sind sie skeptisch, aufmerksam beobachten sie ihre niederländischen Kollegen. „Warum bemühen sich Özdemir und Lemke nicht einmal darum, die ökologischen Zusammenhänge zu verstehen, in denen Landwirtschaft stattfindet, und sprechen mit uns Praktikern über konstruktive Lösungen? Ist das wirklich zu viel verlangt?“, fragt sich Landwirt Fokko Schumann.
Schumann, der niedersächsischer Landessprecher der Freien Bauern ist, erklärt, man müsse nicht jede Form der Proteste dort begrüßen. Doch er warnt: „Wenn man den bäuerlichen Berufsstand immer wieder belügt und betrügt, brechen sich Wut und Verzweiflung irgendwann Bahn wie derzeit in Holland.“
Auch von den deutschen Bauern wird gefordert, einen Teil ihres Tierbestandes aufzugeben. Der Öffentlichkeit wird erklärt, die Landwirte sollen mancherorts weniger düngen. Weniger Futter bedeutet weniger Tiere. Für einige geht es um die blanke Existenz.
Jeder 3. Bauer soll weg
In den Niederlanden wird klar kommuniziert, dass rund ein Drittel der Bauern weg soll – aus Umweltschutzgründen. Die Bauern protestieren seit Tagen und kämpfen um ihr Überleben. Mancher sieht bereits einen Bürgerkrieg aufkommen. Auch in Spanien breiten sich erste Proteste aus.
Die Ministerin für Natur und Stickstoff, Christianne van der Wal-Zeggelink, hatte in einem Brief angekündigt, dass 30 Prozent der Bauernhöfe in den Niederlanden aufhören müssten – um die Stickstoff-Emissionen zu verringern.
Damit hätten die Bauern im Nachbarland nun drei Möglichkeiten, erklärt ein Sprecher der deutschen Organisation „Land schafft Verbindungen“ (LSV) in einem Facebook-Video: erstens den Betrieb freiwillig aufgeben, zweitens auf eine Entschädigung eingehen und versprechen, nie wieder Bauer in den Niederlanden zu werden oder drittens – sie verlieren ihren Hof per Zwangsenteignung.
Das Nachbarland hat viel landwirtschaftliche Fläche: 60 Prozent der Niederlande werden für Ackerbau und Viehzucht genutzt, 75 Prozent der landwirtschaftlichen Produkte gehen über die Grenze ins Ausland, hauptsächlich nach Deutschland.
Gülle für die Umweltministerin
Am Dienstag, 28. Juni, zogen zahlreiche Boeren, wie die Bauern in den Niederlanden heißen, mit Kühen und Traktoren vor das Parlament in Den Haag. Wütende Landwirte durchbrachen in Hierden mit einem Traktor eine Polizeiabsperrung vor dem Privathaus von Christianne van der Wal-Zeggelink, sie ist niederländische Umweltministerin – oder genauer gesagt Ministerin für Natur und Stickstoff. Landwirte schütteten Gülle aus und brannten Heuballen ab. Ein Polizeiwagen wurde mit Heu vollgestopft.
Der niederländische Ministerpräsident Mark Rutte zeigte sich empört und verurteilte die Demonstrationen: „Es ist nicht akzeptabel, in diesem Land gefährliche Situationen zu schaffen, Straßen zu blockieren oder Politiker einzuschüchtern.“
Das Problem: EU-Plan Natura 2000
Mark de Jong, ein Demonstrant und Eigentümer eines Transportunternehmens, das 30 Mitarbeiter beschäftigt, sagte einem Reporter von The Epoch Times am 2. Juli, dass die Stickstoffkrise seines Landes von der niederländischen Regierung und der Europäischen Union verursacht wird.
„Die Bauern sind nicht das Problem – sie sind die Menschen, die sich immer um das Land und die Natur gekümmert haben.“
Thierry Baudet, Mitglied des niederländischen Repräsentantenhauses, führte den aktuellen Konflikt in einem Interview mit The Epoch Times am 5. Juli auf das EU-Programm „Natura 2000“ zurück.
Natura 2000 ist ein EU-Netzwerk von Schutzgebieten, das seit 1992 durch die Fauna-Flora-Habitat-Richtlinie eingerichtet wird. Über die Hälfte der nationalen Schutzgebiete der Niederlande sind durch Natura 2000 abgedeckt. Zweck ist der länderübergreifende Schutz gefährdeter wildlebender heimischer Pflanzen- und Tierarten und ihrer natürlichen Lebensräume.
Seit 1992 haben sich jedoch – auch durch Dünger aus der Tierhaltung – die in den Niederlanden wachsenden Pflanzenarten verändert. Diese Entwicklung steht im Widerspruch zur Habitat-Richtlinie.
„Wir stehen politisch vor einer Art bürokratischem Problem, weil die Niederlande mit der EU vereinbart haben, dass sie [bestehende Pflanzenarten] schützen werden, aber jetzt haben wir aufgrund der zunehmenden Bevölkerung, der größeren Zahl von Rindern usw. eine sich verändernde Vegetation im Land.“
Baudet, der die Partei „Forum für Demokratie“ leitet, setzte sich mit einigen seiner Kollegen für eine Lockerung der Standards für Stickstoff-Emissionen der Niederlanden ein. Sie forderten, sich den Standards in Deutschland anzupassen. Im Jahr 2019 wurde diese Idee diskutiert, die damalige Landwirtschaftsministerin Carola Schouten erklärte jedoch, dass „die Vorschriften in den Niederlanden strenger sein müssen“.
„Was unsere Politiker tun ist, eine ganze gefälschte Erzählung zu kreieren, dass Stickoxide sehr giftig und sehr gefährlich sind und die Umwelt verschmutzen“, so Baudet gegenüber The Epoch Times. „Mit diesem Narrativ können sie dieses Projekt verkaufen – die Enteignung unserer Landwirte.“
Nun wurde am 10. Juni das „Nationale Programm für den ländlichen Raum“ verabschiedet. Demnach müssen in Teilen der Niederlande bis 2030 die Stickstoff-Emissionen um 70 Prozent reduziert werden – eine Reduzierung des Viehbestandes um 30 Prozent.
„Die Pläne bedeuten, dass nicht alle Landwirte ihren Betrieb fortsetzen können“, resümiert das belgische „Vilt“, das Flämische Informationszentrum für Landwirtschaft und Gartenbau. Während sich die Zahl der Landwirtschaftsbetriebe seit 2000 nahezu auf 52.000 halbierte, hätte sich die durchschnittliche Rinderzahl pro Viehhalter auf 162 fast verdoppelt und bei Schweinen mit 3.365 Tieren mehr als verdreifacht.
Unmut über Provokationen durch verdeckte Polizei
Die Supermarktregale im Nachbarland leeren sich, da die Landwirte die Verteilzentren blockieren. Gleichzeitig nehmen Spekulationen über verdeckte Polizei – von den Niederländern als „Romeos“ genannt – zu, die bei den ansonsten friedlichen Protesten Gewalt auslösen.
Ein Video vom 28. Juni scheint zu zeigen, wie maskierte Männer in Zivilkleidung auf ein Gebäude zustürmen, sich dann zurückziehen, bevor sie in einen Lieferwagen mit den Insignien der niederländischen Nationalpolizei einsteigen.
Baudet bezeichnete die Verbreitung von Filmmaterial, auf dem angeblich Provokateure zu sehen sind, als „sehr verdächtig“. Die Landwirte, mit denen er gesprochen hat, befürworten keine gewalttätigen Maßnahmen.
„Wenn es tatsächlich Landwirte gab, die das taten, dann war das eine absolute Randgruppe der Gesamtbevölkerung“, sagte er. Er verglich die mutmaßlichen „Romeos“ mit den Undercover-Agenten, die am 6. Januar 2020 im US-Kapitol Gewalt provoziert haben sollen.
„Es ist sicher, dass Undercover-Agenten bei Demonstrationen eingesetzt werden. Das wird von der Regierung nicht geleugnet“, sagte Gideon van Meijeren, ein anderes Mitglied des niederländischen Repräsentantenhauses, in einem Interview mit The Epoch Times am 5. Juli. Vertreter der niederländischen Nationalpolizei reagierten bis Drucklegung nicht auf eine Anfrage.
Berlin will unbelastete als „belastete Gebiete“ ausweisen
Der Unmut unter den deutschen Landwirten hat die gleiche Ursache: die Festlegungen von EU und Regierung zu Nitrat (oft fälschlicherweise vereinfacht Stickstoff gennant [1]). Berlin plant eine Ausdehnung der Düngemittel-Auflagen aufgrund der Nitrat-Festlegungen.
Kürzlich wurde ein neuer Referentenentwurf zum „Änderungsverfahren der Allgemeinen Verwaltungsvorschrift zur Ausweisung von mit Nitrat belasteten und eutrophierten Gebieten“ veröffentlicht. Am 8. Juli (Freitag) will der Bundesrat über das Thema beraten und entscheiden.
Pflanzen benötigen, etwas pauschal gesagt, für ihr Wachstum Nitrat. Die übel riechende Angelegenheit, der Harnstoff, stammt aus Fäkalien von Mensch und Tier sowie aus Eiweißverbindungen, wie sie in der Lebensmittelindustrie, Restaurants und Großküchen anfallen. Mikroorganismen bauen den Harnstoff entsprechend ab. Dass diese Emissionen reduziert werden müssen, bestreiten die Bauern nicht. Sie sehen sich jedoch nicht als alleinigen Verursacher.
In einer Stellungnahme empören sich die Freien Bauern darüber, dass im geplanten Entwurf der natürliche Nitratabbau jedoch herausgerechnet wurde und damit Flächen, auf denen es keine Belastungen gebe, als „belastete Gebiete“ ausgewiesen werden. In diesen Gebieten, die oft für den Anbau von Grünfutter genutzt werden, sollen die Pflanzen künftig um 20 Prozent unter Bedarf gedüngt werden.
Inhaltlich habe der Entwurf Schwächen. Entscheidende Punkte seien nicht geregelt, Definitionen zu allgemein, es gebe keine methodische Vorgabe, wie die Berechnung erfolgen solle. Die Bauern sehen in dem Entwurf einen Versuch, die „Landwirte in ihrer Wirtschaftsweise einzuschränken, obwohl tatsächlich weder aktuelle Belastungen noch Anhaltspunkte für möglicherweise zukünftige Belastungen vorliegen“. Als Ausweg schlagen sie vor, einen „konstruktiven Dialog über zielführende Maßnahmen“ zu führen.
Die Rolle von Kläranlagen
Pikant daran: das Nitrat im Grundwasser stammt nicht nur aus der Landwirtschaft. Die Landwirtschaft ist laut Umweltbundesamt mit mehr als 50 Prozent zwar Hauptverursacher, weitere Einträge erfolgen jedoch zu etwa gleichen Teilen durch Industrie, Verkehr und private Haushalte.
Bayerns Landwirtschaftsministerin Michaela Kaniber erklärte 2020, dass Kläranlagen viel Nitrat ausstoßen würden, dieses allerdings über Flüsse und Bäche ins Meer abfließe und nicht im Grundwasser lande. Rund 22,4 Prozent der Stickstoffverbindungen, die in Kläranlagen ankommen, könnten die Kläranlagen nicht abbauen. Undichte Kanäle und Ausweitungen aus Kläranlagen schlagen mit 2 Prozent der Grundwasserbelastung zu Buche.
Ein Faktencheck von Top Agrar zeigte Ende 2019 die Größenordnung. Im Jahr 2016 gelangten laut Statistischem Bundesamt 70.653 t Stickstoff aus den Kläranlagen in Oberflächengewässer. Das entspricht, wenn man es in Kuh-Gülle umrechnet, circa 17 Millionen Kubikmeter (bei jährlich rund 106 Millionen Kubikmetern). Damit ließen sich 485.000 ha Silomais düngen, eine Fläche doppelt so groß wie das Saarland.
Obwohl sich Klärtechnik in den vergangenen Jahren deutlich verbessert hat, ist die begrenzte Aufnahmekapazität ein Problem. Bei stärkeren Niederschlägen kommt es immer wieder dazu, dass ungeklärtes Abwasser in die Umwelt gelangt, weil die Klärwerke die plötzlichen Regenmengen nicht fassen können.
Auch Landwirte in Soest sind „fassungslos“
Geht es nach der EU-Kommission, droht im Kreis Soest (Nordrhein-Westfalen) zudem ein vollständiges Verbot von chemischen Pflanzenschutzmitteln. Landwirte der Region befürchten ein Pauschalverbot auf „35.000 ha fruchtbarsten Ackerböden mit stabiler höchster Ertragserwartung“.
Mit dem Green Deal der EU soll auch der Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis zum Jahr 2030 halbiert werden. In Fauna-Flora-Habitaten (FFH) und Vogelschutzgebieten sollten derartige Mittel überhaupt nicht mehr verwendet werden. Diese Vorschläge zur Reform des EU-Pflanzenschutzrechts wurden Ende Juni vorgelegt.
Josef Lehmkühler, Vorsitzende des Kreisverbandes Soest des Westfälisch Lippischen Landwirtschaftsverbandes, wandte sich nun mit einem offenen Brief an das Europaparlament. Angesichts der sich abzeichnenden Versorgungskrise macht ihn der Entwurf „fassungslos“.
„Der komplette Verzicht auf Pflanzenschutzmittel würde andere Maßnahmen notwendig machen. Im Bereich des Herbizidersatzes wären das mechanische und thermische Mittel, die besonders für den Gelegeschutz fatal wären. Der Schutz der Bodenbrüter würde damit zunichte gemacht“, heißt es in dem Brief. Es gäbe intelligentere Methoden zur Reduzierung der Pflanzenschutzmittel.
Zudem würde eine Reduktion von Pflanzenschutzmitteln die Versorgung mit Brotgetreide am Weltmarkt noch weiter verschlimmern. „Aus humanitären Gründen halten wir Landwirte eine künstliche Verknappung für absolut nicht vertretbar.“
[1] Grundwasser in Deutschland ist mancherorts mit der Stickstoffverbindung Nitrat belastet. Der „Deutsche Verein des Gas- und Wasserfaches“ schreibt: „Nitrat (NO3−) gehört zu den Stickstoffverbindungen des natürlichen Stickstoffkreislaufs und besteht aus den Elementen Sauerstoff (O) und Stickstoff (N). Als Salz ist es gut im Wasser löslich und versickert leicht im Boden. Von Pflanzen wird es für das Wachstum benötigt und über die Wurzeln im Erdreich aufgenommen.“
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