Baerbocks Außenministerium schweigt zu Julian Assange – trotz Bundestagsbeschluss

Die USA wollen Julian Assange ausliefern lassen. Dem WikiLeaks-Gründer würden in diesem Fall bis zu 175 Jahre Haft drohen. Deutsche Prominente haben sich direkt an Außenministerin Annalena Baerbock gewendet. Aber Baerbocks Ministerium versteckt sich hinter Floskeln, wenn es um ein Statement für die Freilassung des Journalisten Assange geht.
Wikileaks-Gründer Julian Assange muss seine Auslieferung befürchten.
WikiLeaks-Gründer Julian Assange muss seine Auslieferung befürchten.Foto: Dominic Lipinski/PA Wire/dpa
Von 2. November 2023

Außenministerin Annalena Baerbock sollte sich bei ihrem USA-Besuch vor zwei Monaten für die Freilassung von Julian Assange einsetzen. Politiker, Prominente und bekannte Medienschaffende formulierten zuvor in einem offenen Brief ihre Forderung an die Grünen-Politikerin, Stellung in Bezug auf die Unterstützung des WikiLeaks-Gründers zu beziehen. Assange drohen im Falle einer Auslieferung an die USA 175 Jahre Gefängnis.

Statement gegen Angriff auf Medienfreiheit gefordert

Zu den Unterzeichnern des offenen Briefes zählten Baerbocks Vorgänger, der ehemalige Außenminister Sigmar Gabriel (SPD), der Schriftsteller Daniel Kehlmann und auch der Vorsitzende des Deutschen Journalisten-Verbands Frank Überall – aber auch Alice Schwarzer, Oskar-Preisträger Volker Schlöndorff und Martin Sonneborn (Die Partei). Der Initiator – Enthüllungsjournalist Günter Wallraff – formulierte seine Forderungen folgendermaßen: „Wir erwarten, dass Sie als Mitglied der Bundesregierung bei Ihren bevorstehenden Gesprächen in Washington etwa mit Ihrem Amtskollegen Antony Blinken den Fall Assange zur Sprache bringen und sich deutlich für ein Ende der Verfolgung von Assange einsetzen.“

Die Verfolgung von Julian Assange stelle einen schwerwiegenden Angriff auf die Medienfreiheit dar, hieß es an die Adresse der Außenministerin: „In Ihrem Einsatz für verfolgte Journalisten darf es keine doppelten Standards geben. Es ist paradox, berechtigte Kritik an der Unterdrückung von Journalisten in Diktaturen zu üben, aber zu der Verfolgung von Assange durch die Führungsmacht des freien Westens zu schweigen.“

Folgen auch für die Pressefreiheit in Deutschland

Am 28. September hatte die Fraktion Die Linke eine Kleine Anfrage zu diesem Thema gestellt, in der der Umgang mit Assange sowie die Folgen für die Pressefreiheit in Deutschland thematisiert wurden. Unter anderem wurde Bezug genommen auf den Bundestagsbeschluss vom 7. Juli 2022, nachdem sich die Bundesregierung für die Freilassung aus britischer Haft und Nichtauslieferung an die USA von Assange einsetzen sollte. Die politische Verfolgung des Journalisten und WikiLeaks-Gründers Julian Assange wurde in dem Zuge offiziell vom Bundestag als Angriff auf die Pressefreiheit verurteilt.

In ihrer Antwort verweist die Bundesregierung nun darauf, dass die Zuständigkeit für das Verfahren bei der britischen Justiz liege, deren Unabhängigkeit man achte. Die Bundesregierung habe zudem „keinen Zweifel daran, dass die britische Justiz rechtsstaatliche Prinzipien anwendet und die Menschenrechte achtet“.

„US-Informanten in Gefahr gebracht“ – juristisches Tauziehen

Die USA versuchen seit Jahren in einem juristischen Streit mit Großbritannien die Auslieferung des gebürtigen Australiers zu erreichen. Assange sitzt nunmehr seit über vier Jahren – seit seiner Festnahme im April 2019 – im britischen Hochsicherheitsgefängnis Belmarsh im Südosten von London. Bis zu seiner Festnahme lebte er seit 2012 in der Botschaft Ecuadors in London, die ihm politisches Asyl gewährt hatte.

Die US-Justiz will dem WikiLeaks-Gründer wegen Spionagevorwürfen den Prozess machen. Dem inzwischen 52-Jährigen wird vorgeworfen, gemeinsam mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von US-Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten in Gefahr gebracht zu haben.

US-Kriegsverbrechen: Tausende geheime Dokumente geleakt

Die von Assange im Jahr 2006 gegründete Whistleblower-Plattform WikiLeaks hat seitdem Tausende geheime Dokumente der amerikanischen Regierung veröffentlicht. Die Organisation agiert unter dem Motto: „We Open Governments“ (auf Deutsch „Wir öffnen Regierungen“).

Auf der WikiLeaks-Website können Whistleblower verschlüsselt und anonym Informationen einreichen. Diese sind oft brisant: Die dort veröffentlichten Handbücher der US-Armee zum Umgang mit Gefangenen im Lager von Guantánamo Bay dokumentieren grobe Verletzung der Menschenrechte. Weitere geleakte Dokumente legen Themen wie Steuerhinterziehung und Korruption offen.

Im April 2010 erfolgte die Veröffentlichung eines Videos über den Irak-Krieg aus dem Jahr 2007, das zeigte, wie Soldaten der US-Armee in Bagdad Zivilisten erschießen – darunter auch zwei Journalisten der Nachrichtenagentur „Reuters“. Dieses Video sorgte nach seiner Veröffentlichung weltweit für Entsetzen und wurde unter dem Namen „Collateral Murder“ (auf Deutsch „Kollateraler Mord“) bekannt.

Wahrheit über Kriegsverbrechen veröffentlicht

Im Oktober 2010 erschienen die sogenannten „Irak-Tagebücher“, darin waren Zehntausende geheime Militärdokumente zum Irak-Krieg enthalten, die unter anderem die Ermordung von Zivilisten und Folter von Gefangenen belegen – laut Assange klare Kriegsverbrechen. Die US-Regierung und ihre Strafermittlungsbehörden verfolgten die in den Leaks offenbarten mutmaßlichen Verbrechen durch das US-Militär und seine Verbündeten nicht. Stattdessen stand Assange zunehmend im Fokus:

In den USA ist Assange wegen Spionage, Verschwörung und Hacking angeklagt. Anwältin und Ehefrau Stella Assange fragte: „Was hat Julian getan? Er hat die Wahrheit über Kriegsverbrechen einer mächtigen Regierung veröffentlicht, die ihre Macht nutzt, um ihn zu bestrafen.“ In den USA ist Assange infolge von Tausenden veröffentlichten Dokumenten von der US-Regierung und dem Militär wegen Spionage, Verschwörung und Hacking angeklagt.

„Menschenrechte im Westen eine Farce“

Unterstützer Assanges hingegen sehen in ihm einen Journalisten, der Kriegsverbrechen ans Licht brachte. Der Publizist Milos Matuschek  (freischwebende-Intellingenz.de) titelte anlässlich des Tages der Pressefreiheit am 3. März 2023 zu Julian Assange: „Sein ‚Verbrechen‘ ist die Wahrheit“ und „Der Fall Julian Assange zeigt, dass Menschenrechte im freien Westen eine Farce sind, wenn man sich mit den Mächtigen anlegt.“ Da man Assange nicht widerlegen könne, versucht man ihn anderweitig zum Schweigen zu bringen. Julian Assange sei inzwischen zu einem Gradmesser der Menschenrechte im Westen geworden.



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