Aus für Ampel: „Kalkulierter Koalitionsbruch“ oder letzte Konsequenz?
Mit schweren Vorwürfen gegen FDP-Chef Christian Lindner hat sich Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) zum Aus der Ampelkoalition am Mittwoch, 6.11., zu Wort gemeldet. Scholz hatte Lindner am Mittwochabend nach der Sitzung des Koalitionsausschusses aus seinem Amt als Bundesfinanzminister entlassen. Zuvor war eine Reihe von Krisengesprächen zwischen beiden Politikern und Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) ergebnislos geblieben.
In den Tagen zuvor hatte sich die Lage zwischen den Koalitionspartnern zugespitzt. Ende der Vorwoche war ein Wirtschaftspapier von Lindner an die Öffentlichkeit gedrungen. Dieses sollte die FDP als Grundlage für die noch anstehenden Beschlüsse der für 14.11. geplanten Haushaltsbereinigungssitzung ins Treffen führen. Das Papier enthielt eine Vielzahl an Positionen, von denen zu erwarten war, dass sie keinen Rückhalt in der Ampelkoalition finden.
Scholz hielt gut strukturierte Rede von 14 Minuten
Um die Wogen im Vorfeld des Koalitionsausschusses wieder zu glätten, hatte Scholz anschließend von Montag bis Mittwoch mehrere Krisengespräche anberaumt. Noch am Dienstag hatte er sich in der Öffentlichkeit optimistisch hinsichtlich einer möglichen Einigung gezeigt. Am Mittwoch, der zuvor im Banne der Wiederwahl von Donald Trump gestanden hatte, war jedoch das Ende der Fahnenstange erreicht.
Mittlerweile hat sich der Kanzler mit einer knapp 14-minütigen Rede über das erst kurz zuvor eingetretene Ende der Koalition zu Wort gemeldet. Die Länge und der strukturierte Aufbau der Rede sollten in weiterer Folge noch Anlass für Mutmaßungen geben. Er hätte dem Land „diese Entscheidung lieber erspart“, äußerte Scholz zu Beginn seiner Ausführungen.
Allerdings, so hieß es dann weiter, gebe es mit Lindner „keine weitere Vertrauensbasis für eine weitere Zusammenarbeit“. Dieser habe sein „Vertrauen zu oft missbraucht“, zu oft Kompromisse abgelehnt und „Gesetze sachfremd blockiert“.
Kanzler wirft Lindner parteipolitisches Agieren vor und wirbt um Union
Lindner habe „kleinkariert politisch taktiert“, so Scholz weiter, und mehr an seine Klientel und das Überleben seiner Partei als an sein Land gedacht. So sei „ernsthafte Regierungsarbeit nicht mehr möglich“ – und er wolle Deutschland „ein solches Verhalten nicht weiter zumuten“. Nun wolle Scholz am 15. Januar die Vertrauensfrage im Bundestag und anschließend die Weichen für Neuwahlen spätestens Ende März stellen.
Bis dahin wolle er bis Weihnachten „alle Gesetze zur Abstimmung stellen, die keinen Aufschub dulden“. Die Stabilisierung der Rente gehöre dazu ebenso wie Sofortmaßnahmen zugunsten der Industrie. Der Union wolle er anbieten, gemeinsam wegweisende Beschlüsse über eine „schnelle Stärkung unserer Wirtschaft“ und eine „solide Finanzierung der Sicherheit und Verteidigung“ zu fällen.
Zuvor habe er, so der Kanzler, Lindner ein „Angebot zum Wohle unseres Landes“ gemacht. Dieses umfasse vier Kernpunkte. Dazu gehöre eine Begrenzung der Energiekosten durch eine Deckelung der Netzentgelte und ein „Paket für Arbeit“ in Autoindustrie und bei Zulieferern. Eine Investitionsprämie und weitere Steuererleichterungen seien ebenfalls umfasst gewesen.
Zuletzt solle es zu einer Ausweitung der Mittel für die Ukraine vor dem Winter kommen. Dies sei angesichts des Trump-Wahlsieges in den USA ein „wichtiges Signal der Verlässlichkeit“. Der Vorschlag habe zentrale FDP-Forderungen umfasst. Allerdings sollte auch dem erforderlichen „größeren finanziellen Spielraum“ Rechnung getragen werden.
Lindner wittert „kalkulierten Koalitionsbruch“ von Scholz
Wie Lindner später in einer eigenen Erklärung geäußert hat, habe Scholz ihn auf diesem Wege „ultimativ“ mit der Forderung nach der Aussetzung der Schuldenbremse konfrontiert. Die Vorschläge, die Scholz zur Debatte gestellt habe, seien „matt“ und „uninspiriert“ gewesen. Die Konzepte der FDP zur Stärkung des Standorts hätten SPD und Grüne „nicht einmal als Beratungsgrundlage akzeptiert“.
Lindners Erklärung nahm etwas mehr als drei Minuten in Anspruch. Dass Scholz zuvor 14 Minuten lang gesprochen habe, lege den Verdacht nahe, dass es sich um einen „kalkulierten Koalitionsbruch“ gehandelt habe. Die FDP sei nach den sich abzeichnenden Neuwahlen weiterhin zur „Übernahme von Verantwortung“ bereit. In einer gemeinsamen Regierungskonstellation müssten jedoch „Wachstum, Wohlstand und Innovation“ zentral sein.
FDP-Vize Wolfgang Kubicki meldete sich seinerseits mit deutlicher Kritik an Scholz zu Wort. Auf Facebook erklärte er: „Wer von einem Koalitionspartner verlangt, seine Würde an der Garderobe des Kanzleramtes abzugeben, ist eines Regierungschefs unwürdig. Die Wahl, vor der Scholz die FDP gestellt hat, war: Verfassungs- oder Koalitionsbruch. Diesem Kanzler wünschen wir gute Reise und eine schnellstmögliche Ablösung.“
Grüne werfen FDP fehlende Bereitschaft zur Ukraine-Hilfe vor
Wirtschaftsminister Robert Habeck und Außenministerin Annalena Baerbock meldeten sich gemeinsam zur Regierungskrise zum Wort. Sie warfen den Liberalen vor, insbesondere die „größte Lösung“ nicht mitgetragen zu haben, die man gemeinsam hätte finden können – nämlich, „der Ukraine mehr Unterstützung zu geben“.
Nach der Wahl von Donald Trump zum US-Präsidenten müssten „Deutschland und Europa Handlungsfähigkeit zeigen“. Die Grünen wollten zunächst Teil einer Minderheitsregierung mit der SPD bleiben, man werde jedoch auch „zügig den Weg für Neuwahlen freimachen“. Es sei „kein guter Tag für Deutschland und auch kein guter Tag für Europa“.
Die Unionsfraktion will am Donnerstag um 8:00 Uhr zusammentreten. Man werde dort über die Situation beraten, anschließend seien Statements von CDU-Chef Friedrich Merz und CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt geplant.
Mehrere Landtagswahlen zeitgleich mit Neuwahl zum Bundestag?
Unklar ist, inwieweit die sich für März abzeichnenden Neuwahlen mit weiteren Entscheidungen verbunden sein werden. Für den 2. März sind Bürgerschaftswahlen in Hamburg eingeplant. Es erscheint als denkbar, dass diese nun zeitgleich mit der Neuwahl im Bund stattfinden wird. Sollte die SPD an Olaf Scholz als Kanzlerkandidaten festhalten, würde diesem damit eine Chance zur Profilierung durch einen Wahlerfolg genommen.
In Sachsen sind am Mittwoch zudem die Gespräche über eine mögliche sogenannte Brombeerkoalition gescheitert. Dies teilte die Fraktion des BSW im Sächsischen Landtag mit. Auch in Thüringen droht ein solches Szenario. Sollte in beiden Ländern die Gespräche scheitern, steht auch dort eine zeitgleiche Neuwahl der Landtage zur Debatte.
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