Aufgeflogen? Berlin nutzt KI-Software zur Echtzeitgesichtserkennung

Ein Gesetzentwurf von Nancy Faeser zur Ausweitung der Überwachung sorgte für Unmut. Nun wurde bekannt, dass Berliner Behörden KI-basierte Gesichtserkennungssoftware bereits einsetzen – und das sogar in Echtzeit.
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Eine Live-Gesichtserkennung anhand von Bildern aus Überwachungskameras etwa an Bahnhöfen soll es laut Regierung nicht geben.Foto: Roland Weihrauch/dpa/AFP via Getty Images
Von 27. August 2024

Nachdem erst kürzlich der Entwurf des Bundesinnenministeriums zur Ausweitung des Einsatzes von KI-Gesichtserkennungssoftware für Aufsehen gesorgt hatte, wurde nun bekannt, dass Berlin bereits solche Programme einsetzt.

Dies wurde durch eine parlamentarische Anfrage bekannt.

So erklärte der Berliner Senat auf die schriftliche Anfrage des Grünen-Abgeordneten Vasili Franco, dass die Berliner Polizei eine umstrittene Gesichtserkennungssoftware, die in Echtzeit Daten verarbeiten kann, bereits in sechs Fällen verwendet hat.

Demnach kam eine auf Künstlicher Intelligenz (KI) basierende Software bei Ermittlungen der Berliner Staatsanwaltschaft „im Rahmen der Amtshilfe in Brandenburg und Sachsen“ zum Einsatz. Dabei sei es um schweren Bandendiebstahl und in einem Verfahren auch um Raub gegangen.

Welche Software dabei genau zum Einsatz kam und weitere Details bleiben aufgrund der knappen Antwort des Senats unklar. Es heißt lediglich, dass die Software „zum Zweck der Identifizierung und zur Aufhellung von Fluchtrouten sowie von bei der Tat genutzten Wegen bekannter Tatverdächtiger“ eingesetzt wurde.

BKA nutzt Gesichtserkennungssoftware seit 15 Jahren

KI-basierte Gesichtserkennungssoftware wird bereits in verschiedenen Ländern weltweit von Sicherheitsbehörden zur Verbrechensbekämpfung eingesetzt.

Auch in Deutschland ist es Behörden erlaubt, solche Software zu nutzen. Das Bundeskriminalamt (BKA) nutzt beispielsweise seit mehr als 15 Jahren das Gesichtserkennungssystem GES, berichtet „netzpolitik.org“.

Damit kann das BKA Bildmaterial von nicht identifizierten Verdächtigen mit der bundesländerübergreifenden personenbezogenen Datenbank der deutschen Polizeien abgleichen.

Neu ist allerdings, wie aus dem im August durchgestochenen Entwurf des Bundesinnenministeriums unter Nancy Faeser (SPD) hervorgeht, dass zukünftig BKA und Bundespolizei auch Gesichter und andere persönliche Informationen nicht nur mit Datenbanken, sondern auch mit Daten aus dem Internet abgleichen, verknüpfen und speichern dürfen sollen.

Das schließt dann das Sammeln aller „öffentlich zugänglichen“ Informationen wie Partyfotos und Videos von Facebook, Instagram und so weiter mit ein.

Stimme und Bewegung sollen zukünftig ausgewertet werden

Zudem sollen auch weitere Daten wie Stimmenprofile und Bewegungsmuster für die biometrische Identifikation genutzt werden.

Dabei geht es um mehr als nur einen Abgleich von Fotos, Videos oder Audiodateien, sondern mithilfe von KI finde dann eine Vernetzung bestehender Datensysteme mit persönlichen Daten aus dem Internet statt.

Darüber hinaus sollen neue Befugnisse zur „automatisierten Datenanalyse polizeilicher Daten“ geschaffen werden, wie eine Sprecherin des Bundesinnenministeriums gegenüber „netzpolitik.org“ erklärte. Was sich genau dahinter verbirgt, wird sich zeigen.

Mit den neuen Befugnissen geht es nicht nur um die Verbrechensaufklärung, sondern auch um die Verbrechensvorbeugung, insbesondere im Bereich Terrorismus, wie das Portal feststellt.

Ermittler planen zudem zukünftig Internetvideos von IS-Mitgliedern mit Bildern in den sozialen Netzwerken abzugleichen, um Hinweise auf den Aufenthaltsort der Islamisten zu erhalten, wie „tagesschau.de“ berichtete.

Das wäre eine umfassende Ausweitung der Befugnisse deutscher Sicherheitsbehörden, die es so noch nicht gegeben hat.

Faser schließt Echtzeitüberwachung aus

Für all dies müssen mehrere Gesetze geändert werden wie das Bundespolizeigesetz oder das BKA-Gesetz und die Strafprozessordnung. Ob das dann verfassungskonform geschehen kann, wird sich zeigen.

Das Bundesverfassungsgericht erklärte im Jahr 2023 in einem Urteil zum Einsatz automatisierter Datenauswertung bei der Polizei, dass bei „besonders daten- und methodenoffenen“ Befugnissen die Eingriffsschwelle hoch sein muss.

In einzelnen Bundesländern liegen laut Medienberichten aktuell Verfassungsbeschwerden gegen Landesgesetze mit Regelungen zur automatisierten Datenanalyse vor.

Eine Echtzeitgesichtserkennung im öffentlichen Raum, wie sie testweise auf Berliner Bahnhöfen bereits eingesetzt wurde, ist aber nach Angaben des Bundesinnenministeriums ausdrücklich nicht geplant und wäre auch durch die neuen Gesetze nicht erlaubt.

Landesinnenminister befürwortet Gesichtserkennung

Bayerns Innenminister Joachim Herrmann erklärte kürzlich, er wolle noch einen Schritt weiter gehen und eine Echtzeitgesichtserkennung einführen, die mithilfe von vorhandenen Überwachungskameras arbeitet, berichtete „BR24“.

Grundsätzlich ist das zwar durch EU-Recht untersagt, aber es gibt Ausnahmen, die dies zulassen. Und zwar ist es zur Aufklärung und zur Verhinderung schwerer Straftaten und auf richterliche Anordnung möglich, Livefilmmaterial abzuscannen und mit Fahndungsfotos abzugleichen.

Laut Herrmann ginge es darum, bereits installierte Kameras in Bahnhöfen oder auf größeren Plätzen zu nutzen. Er sehe dabei keine Probleme mit dem Datenschutz. „Es ist klar, dass Fotos, die keinen Treffer ergeben, sofort wieder gelöscht werden“, zitiert ihn „BR24“.

Versteckte Kameras in parkenden Autos

Die Polizei in Nordrhein-Westfalen verwendet auch Überwachungstechnologien, die auf KI basieren. So soll der Hauptbahnhof in Mönchengladbach in einem Test mithilfe einer KI-Software stärker überwacht werden.

Die KI soll dabei in anonymisierten Aufnahmen „sicherheitsgefährdende Situationen“ erkennen wie Fluchtbewegungen, körperliche Auseinandersetzungen oder am Boden liegende Personen. Die Gesichter werden dabei nicht erfasst.

Zudem setzt die Polizei in Baden-Württemberg, Berlin, Brandenburg, Sachsen, Niedersachsen und NRW ein mobiles Gesichtserkennungssystem aus Sachsen ein, berichtet „Neues Deutschland“.

Es bestehe aus hochauflösenden Kameras, die in parkenden Fahrzeugen oder auch in Immobilien versteckt seien. Genutzt würde die Anlage als Observationstechnik, um Verdächtige heimlich zu verfolgen und zu ermitteln, ob sich eine Person an einem bestimmten Ort aufgehalten habe.

Hierzu greife das System auf eine Referenzdatenbank zurück, in der Gesichter oder Kennzeichen gesuchter Personen und ihrer Fahrzeuge gespeichert seien, heißt es weiter. Ein ähnliches stationäres System betreibt die Polizeidirektion Görlitz an der polnischen Grenze in der Oberlausitz, berichtet „nd“.

Kritiker befürchten Massenüberwachung

Die geplante Gesetzesänderung des Bundesinnenministeriums muss, bevor sie in Kraft treten kann, sowohl vom Kabinett als auch vom Bundestag gebilligt werden.

Sowohl innerhalb der Ampelkoalition in Form verschiedener Grünen-Bundespolitiker als auch aus der Digitalszene gibt es Gegenwind gegen Faesers geplante Ausweitung des Sammelns und Auswertens von biometrischen und persönlichen Daten.

Es wird eine unbestimmte Massenüberwachung befürchtet, die Daten unbescholtener Bürger sammelt.



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