Die Mittelschicht in Deutschland bröckelt

Die Mittelschicht schrumpft laut Bertelsmann Stiftung und OECD - besonders der untere Rand sei abstiegsgefährdet. Zugleich sei es schwieriger denn je, in die mittlere Einkommensgruppe aufzusteigen.
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Eine Vorortsiedlung im Speckgürtel von Frankfurt am Main mit dem Europaturm im Hintergrund.Foto: iStock
Epoch Times1. Dezember 2021

Die Mittelschicht in Deutschland bröckelt einer Studie zufolge erheblich, besonders der untere Rand ist abstiegsgefährdet.

2018 zählten 64 Prozent der Bevölkerung zur mittleren Einkommensgruppe, was im Vergleich zu 1995 – mit damals 70 Prozent – ein Schrumpfen um sechs Prozentpunkte bedeute. Das geht aus einer Analyse von Bertelsmann Stiftung und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hervor. Es handele sich um die aktuellsten verfügbaren Daten zu dem komplexen Thema, sagte die Arbeitsmarktexpertin der Stiftung, Natascha Hainbach, am Mittwoch.

22 Prozent von Armut bedroht

Demnach seien allein von 2014 bis 2017 rund 22 Prozent der Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 18 bis 64 Jahren in die untere Einkommensschicht gerutscht – und waren damit laut Untersuchung arm oder von Armut bedroht.

Es gebe Anzeichen dafür, dass der Schrumpfkurs nach 2018 angehalten und sich durch die Maßnahmen in der Pandemie noch verschärft habe. Denn auch unter Personen mit mittleren Einkommen gab es deutliche Beschäftigungsverluste: In dieser Gruppe waren acht Prozent, die vor Beginn der Krise 2019 noch arbeiteten, im Januar 2021 nicht mehr erwerbstätig, wie sich aus Berechnungen der Stiftung und des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung ergeben habe.

„Gefährdet sind all jene, die unter Berücksichtigung der Haushaltsgröße ein verfügbares Einkommen zwischen 75 und 100 Prozent des mittleren Einkommens haben“, hieß es in Gütersloh. Das waren 2018 bei einem Single rund 1500 bis 2000 Euro verfügbares Nettoeinkommen, bei Familien mit zwei Erwachsenen und zwei Kindern 3000 bis 4000 Euro, erläuterte Hainbach.

Mitte erholt sich nicht

Eine starke und florierende Mittelschicht sei als Basis einer soliden Wirtschaft und einer wohlhabenden Gesellschaft von zentraler Bedeutung, unterstreicht die Studie. Der wesentliche Rückgang fand demnach schon bis 2005 statt, seitdem habe sich die Mitte nicht wieder erholt.

Auch wenn die Mittelschicht erheblich kleiner sei als Mitte der 1990er Jahre, sei sie doch als „recht stabil“ einzustufen. Anlass zur Sorge gebe es trotzdem in mehrfacher Hinsicht. So falle der Rückgang bei jüngeren Erwachsenen aus der Einkommensmitte – bei den 18- bis 29-Jährigen – überdurchschnittlich stark aus. Und wer in Deutschland einmal aus der Mittelschicht herausfalle, habe es heute deutlich schwerer, wieder aufzusteigen, schilderte Mitautorin Valentina Consiglio von der Stiftung.

Zudem gelinge es Ostdeutschen seltener, in den mittleren Einkommensbereich zu gelangen oder sich dort zu halten, als Westdeutschen. Im Vergleich zu den anderen OECD-Ländern schrumpfte die Mittelschicht demnach nur in Schweden, Finnland und Luxemburg stärker als in Deutschland.

Es müsse gegengesteuert werden, lautete die Forderung aus Gütersloh an die künftige Ampel-Regierung. Wichtig seien gute Ausbildung und Studium: „Bildungsrückstände, die durch die Pandemie entstanden sind, müssen dringend aufgeholt werden, sonst wird vielen der mühsame Aufstieg in die Mittelschicht zusätzlich erschwert“, mahnte Consiglio. (dpa/oz)



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