Attentat auf Zeugen Jehovas: „Waffenbehörden haben versagt – nicht Waffengesetze“
In der Debatte um eine Verschärfung des Waffenrechts hat sich Innenpolitiker Marc Henrichmann namens der CDU zu Wort gemeldet. Er sieht im Amoklauf vor knapp zwei Wochen in einer Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg keinen Grund für strengere Gesetze. Vielmehr hätte sich die Bluttat, bei der sieben Menschen inklusive eines ungeborenen Kindes und der Attentäter selbst starben, auch auf Grundlage bestehender Gesetze verhindern lassen.
Gegenüber der „Deutschen Presse-Agentur“ sagte Henrichmann:
Unsere Waffengesetze bieten alle Möglichkeiten, bei psychischen Auffälligkeiten die Waffen sofort einzuziehen – bis der Sachverhalt geklärt ist.“
Es sei „unverantwortlich, dass die Hamburger Behörden dem Täter die waffenrechtliche Erlaubnis nicht entzogen haben“.
Im Streit von den Zeugen Jehovas geschieden
Henrichmann wies darauf hin, dass den zuständigen Stellen vor Ort mehrere Anhaltspunkte für mangelnde Zuverlässigkeit des späteren Attentäters vorgelegen hätten. Der 35-jährige Philipp F. betrieb eine Unternehmensberatung und bezeichnete sich als „bekennender Europäer mit globalem Mindset“.
Er war im Streit aus der Gemeinde der Zeugen Jehovas in Hamburg ausgeschieden. Am 9. März drang er mit einer halbautomatischen Pistole in deren Königreichssaal ein und eröffnete während einer religiösen Zusammenkunft das Feuer. Bei einer späteren Wohnungsdurchsuchung fanden die Behörden mehrere gefüllte Magazine und vier Schachteln Munition.
Zwei Monate vor der Bluttat hatte ein anonymer Hinweisgeber Sicherheitsbehörden auf eine mögliche psychische Erkrankung und Gefährlichkeit F.s aufmerksam gemacht. Bezogen hatte er sich dabei auf eine Buchveröffentlichung des früheren Gemeindemitglieds. F. hatte ein Buch mit dem Titel „The Truth About God, Jesus Christ and Satan: A New Reflected View of Epochal Dimensions” publiziert. Mittlerweile ist dieses aus dem Angebot der meisten Online-Handelsplattformen verschwunden.
Anonyme Meldung an die Sicherheitsbehörden
In dem Buch soll F. merkwürdige religiöse Thesen vertreten haben – unter anderem auch mit Blick auf den Holocaust. Aus Sicht des anonymen Hinweisgebers sollen diese ausgereicht haben, um eine Gefährlichkeit F.s anzunehmen.
Die Polizei recherchierte zu dem Autor im Internet. Die Suche soll jedoch keine Anhaltspunkte für die Dringlichkeit eines Waffenentzugs zutage gefördert haben. Es gab Berichten zufolge eine unangekündigte Polizeikontrolle in der Wohnung. Mit Ausnahme einer einzigen nicht vorschriftsmäßig weggeschlossenen Patrone habe diese jedoch keine Auffälligkeiten ergeben.
Henrichmann unterstreicht, dass bereits die unsachgemäß gelagerte Patrone an sich einen Widerruf der waffenrechtlichen Erlaubnis gerechtfertigt hätte. Zumindest wäre es aber rechtlich möglich und sachlich geboten gewesen, ein psychologisches Gutachten in Auftrag zu geben. Das bestehende Waffenrecht hätte dies hergegeben. Eine Verschärfung sei deshalb nicht erforderlich:
Mehr Sicherheit bekommen wir nicht durch mehr Regeln, wenn schon die bestehenden gesetzlichen Bestimmungen nicht vollzogen werden.“
Psychische Erkrankung allein rechtfertigt noch keinen Waffenentzug
Das deutsche Waffenrecht sieht vor, dass waffenrechtliche Genehmigungen widerrufen werden können, wenn der Inhaber aufgrund einer psychischen Erkrankung nicht mehr zuverlässig erscheint. Eine psychische Erkrankung allein reicht jedoch nicht aus, um eine waffenrechtliche Genehmigung zu widerrufen. Zusätzlich muss eine konkrete Gefahr für die öffentliche Sicherheit bestehen.
Die zuständige Behörde hat eine Einzelfallentscheidung zu treffen. Niedriger sind allerdings die gesetzlichen Hürden für die Beauftragung eines psychologischen Gutachtens. Zudem können Waffenbehörden bei Bedarf Waffenbesitzer zum persönlichen Erscheinen auffordern, um sich ein Bild machen zu können. Darüber hinausgehende Regelungen, die auch die ärztliche Schweigepflicht berühren, müssten allerdings die Gesundheitsminister der Länder treffen.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser will das Waffenrecht verschärfen. Ihr Vorhaben sieht unter anderem ein Verbot von kriegswaffenähnlichen, halbautomatischen Langwaffen für Privatleute vor. Wer eine Erlaubnis zum Besitz einer Waffe beantragt, soll künftig seine psychische Gesundheit nachweisen müssen. Das ist bisher nur für Menschen bis 25 Jahre vorgeschrieben.
Bereits im Zusammenhang mit dem rassistisch motivierten Amoklauf von Hanau im Jahr 2020 mussten sich Behörden schwere Vorwürfe gefallen lassen. Auch dort hatten Eingaben des späteren Todesschützen, der neun Einwanderer, seine Mutter und sich selbst tötete, wahnhafte Vorstellungen offenbart. Einen Grund, seine Waffenbesitzkarte zu widerrufen, sah man jedoch auch bei ihm nicht.
Zeugen Jehovas bereits mehrfach von Übergriffen betroffen
Die Religionsgemeinschaft der Zeugen Jehovas war in den vergangenen Jahren schon mehrfach Ziel von Übergriffen. In einigen Fällen gingen diese auch von ehemaligen Mitgliedern oder deren Angehörigen aus. Im Jahr 2013 meldete eine Gemeinde im oberösterreichischen Bad Ischl mehrfachen Beschuss mit einem Luftgewehr und Stahlkugeln. In den 1990er-Jahren gab es zudem einen bewaffneten Vorfall im Königreichssaal in Hehenberg bei Bad Hall.
In Deutschland plante 2009 ein 82-Jähriger ein Massaker an Mitgliedern der Gemeinschaft in Bielefeld. Nur das Versagen der Waffe verhinderte damals ein Blutbad. Der Rentner machte die Gemeinschaft für den Verlust des Kontakts zu seiner Tochter verantwortlich.
Die Zeugen Jehovas sind im 19. Jahrhundert aus dem Christentum hervorgegangen. Dort sind sie ihrer nicht-trinitarischen Lehren wegen jedoch nicht als Freikirche anerkannt worden. Im Nationalsozialismus waren sie Ziel breit angelegter Verfolgungsmaßnahmen, mehrere tausend Mitglieder wurden in Konzentrationslagern ermordet.
Neben der Verweigerung von Wahlteilnahme und Militärdienst stehen die strikten Glaubenslehren der Gemeinschaft regelmäßig im Visier von Politik und Medien. Unter anderem lehnen Zeugen Jehovas aus religiösen Gründen lebensrettende Bluttransfusionen ab.
(Mit Material der dpa)
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