Aschaffenburg: Stilles Gedenken am Abend – Scholz fordert „Mentalitätswandel“ in Behörden

Olaf Scholz fordert von den Behörden, in Sachen Migration und Abschiebung „beherzt“ zu handeln. Innenministerin Nancy Faeser sieht nach der Attacke in Aschaffenburg „Vollzugsdefizite“ in Deutschland. Es gebe zudem zu wenig Abschiebehaftplätze. In der Politik gibt es schwere Vorwürfe zur Tat, aber auch mäßigende Stimmen.
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Eine stille Mahnwache am Abend den 23. Januar 2025 in Aschaffenburg.Foto: Thomas Lohnes/Getty Images
Epoch Times24. Januar 2025

Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) fordert nach der Messerattacke von Aschaffenburg von den deutschen Behörden einen Mentalitätswechsel in Sachen Migration und Abschiebung. „Es muss sofort einen Mentalitätswandel in allen Behörden geben, egal ob im Bund, in den Ländern oder in Kommunen“, sagte er der „Bild“.

Alle Zuständigen müssten „beherzt handeln, die verschärften Gesetze im Kampf gegen irreguläre Migration konsequent anwenden“. Außerdem forderte er die Länder auf, mehr Abschiebehaft-Plätze und Dublin-Zentren für schnellere Rückführungen bauen. Bei einer möglichen zweiten Amtszeit will Scholz die Grenzkontrollen fortführen.

Bundesinnenministerin Nancy Faeser (beide SPD) sprach im ZDF-„heute journal“ von Versäumnissen auch in Bayern. „Für die Abschiebungen sind die Länder vor Ort zuständig. Wir stellen fest, dass wir zu wenig Abschiebehaftplätze haben und ja, wir haben hier Vollzugsdefizite.“

Der Grünen-Politiker Konstantin von Notz sagte der „Neuen Osnabrücker Zeitung“: „Der Täter war ausreisepflichtig und hätte nicht mehr im Land sein dürfen. Deutlich wird erneut: Wir haben es in erster Linie mit einem Vollzugsproblem zu tun, keinem gesetzgeberischen.“

Abschiebungen vereinfachen?

Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU) wies Vorwürfe in den ARD-„Tagesthemen“ zurück. Zu der Frage, ob Abschiebungen besser in die Zuständigkeit des Bundes übergehen sollten, sagte er: „Wenn der Bund sagen würde (…), er will das alles übernehmen, hätte ich nichts dagegen – aber das ist keine Forderung, die wir an den Bund richten.“

Kritik an der politischen Diskussion kam vom Präsidenten des Landkreistags, Achim Brötel. „Schuldzuweisungen helfen nicht weiter“, sagte der Landrat zu dpa. Abschiebungen müssten einfacher möglich sein. „Bislang sind wir in unserem Land zu oft ohne wirkliche Handhabe gegenüber Personen, die ausreisepflichtig sind.“

Stilles Gedenken am Abend

Rund 3.000 Menschen hatten sich am Abend des 23. Januar zu einem stillen Gedenken in dem Park versammelt, in dem ein zweijähriger Junge und ein 41 Jahre alter Mann am Mittwoch erstochen worden waren. Drei Menschen waren schwer verletzt worden.

Der 28 Jahre alte Afghane, der dafür verantwortlich sein soll, wurde per Unterbringungsbefehl des Amtsgerichts Aschaffenburg in ein psychiatrisches Krankenhaus eingewiesen. Ihm wird zweifacher Mord, zweifacher versuchter Mord und gefährliche Körperverletzung vorgeworfen.

Der mutmaßliche Gewalttäter war der Polizei und der Justiz schon seit längerem bekannt – unter anderem wegen Gewaltvorwürfen und psychischen Auffälligkeiten. So soll er in einer Polizeistation randaliert und dabei drei Polizisten verletzt haben. Seit Dezember vergangenen Jahres stand er unter Betreuung, schon vorher soll er zweimal polizeilich in eine Psychiatrie eingewiesen worden seien.

Eines der laufenden Ermittlungsverfahren gegen ihn war nach Angaben der Staatsanwaltschaft noch nicht abgeschlossen, weil die Behörde die Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens beauftragt habe.

Dieser Auftrag sei aber zunächst ausgesetzt worden, weil die Zentrale Ausländerbehörde der Staatsanwaltschaft mitgeteilt hatte, der Beschuldigte wolle freiwillig ausreisen. Zuvor hatte er nach Angaben von Bayerns Innenminister Herrmann wegen fehlender Kommunikation zwischen Behörden und einer verstrichenen Frist nicht abgeschoben werden können.

Forsa-Chef warnt vor neuer Migrationsdebatte

Der Chef des Meinungsforschungsinstituts Forsa, Manfred Güllner, hat nach dem tödlichen Messerangriff von Aschaffenburg vor einer falschen Themensetzung im Wahlkampf gewarnt. Durch eine neue Migrationsdebatte könne die AfD „kurzfristig zulegen“, sagte Güllner dem „Handelsblatt“.

Es wäre daher ein Fehler, sich jetzt nur mit dem Thema Migration zu beschäftigen. „Wenn das passiert und das Thema Ökonomie vernachlässigt wird, dann hilft das nur der AfD.“

Die Menschen wurden im Park Schöntal angegriffen. (Archivbild)

Die Menschen wurden im Park Schöntal angegriffen. (Archivbild) Foto: Ralf Hettler/dpa

Der Chef des Meinungsforschungsinstituts INSA, Hermann Binkert, schätzt das derzeit „maximal mögliche“ Wählerpotential der AfD auf gut 25 Prozent. „Das wird sich auch durch solch schlimme Ereignisse wie in Aschaffenburg nicht gravierend ändern“, sagte Binkert der Zeitung.

Für die Union sieht Binkert eher Vorteile. CDU und CSU genössen beim Thema „innere Sicherheit“ eine hohe Kompetenz in der Erwartung der Wähler, sagte er. „Wenn sie hier ihr Profil glaubwürdig schärft, hilft ihr das.“

Die Menschen erwarteten Lösungen, so Binkert. Die demokratischen Parteien dürften sich bei der Migrationsfrage jetzt nicht erneut auseinanderdividieren lassen. „Sie müssen im Konsens handeln“, sagte der INSA-Chef.

Reul gegen „Nebelkerzen-Aktionismus“

Unions-Kanzlerkandidat Friedrich Merz (CDU) hatte nach der Tat seine Forderung nach umfassenden Zurückweisungen an den Grenzen noch mal verschärft. Die AfD-Kanzlerkandidatin Alice Weidel bot ihm in einem offenen Brief an, dies noch vor der Bundestagswahl mit der Union im Parlament zu beschließen.

SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich sagte der „Augsburger Allgemeinen“: „Punktekataloge, vermeintlich starke Worte, schnelle Forderungen werden weder dem Leid der Opfer noch den trauernden Eltern, Angehörigen und Freunden gerecht.“ Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU) sprach im „Kölner Stadt-Anzeiger“ von „Nebelkerzen-Aktionismus, der keinem was bringt“.

Brandner fordert Aufklärung

Grünen-Vorsitzende Franziska Brantner fordert die bayerischen Sicherheitsbehörden nach dem Anschlag von Aschaffenburg zur Aufklärung über die Hintergründe und etwaige Versäumnisse beim Umgang mit dem Täter auf.

„Es gibt nichts Niederträchtigeres als Taten, bei denen Kinder betroffen sind. Mein tief empfundenes Mitgefühl für die Familien der Opfer und meine Genesungswünsche für die Verletzten“, sagte sie den Zeitungen des „RedaktionsNetzwerks Deutschland“.

Gedenken am 23. Januar in Aschaffenburg. Foto: Thomas Lohnes/Getty Images

Warnung vor Vorurteilen gegenüber psychisch Kranken

Die Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Psychiatrie und Psychotherapie, Euphrosyne Gouzoulis-Mayfrank, sagte dem RND: „Allein aus der Tatsache, dass ein Mensch eine psychische Erkrankung hat, lässt sich keine Gefährdung ableiten.“

Wenn Psychiater und Therapeuten Hinweise darauf erhielten, dass ein Patient eine Gefahr für sich oder andere darstelle, könnten sie aber auch heute schon tätig werden.

Der Marburger Sozialpsychologe Ulrich Wagner hält nach den Attentaten der vergangenen Monate – zuletzt auf dem Magdeburger Weihnachtsmarkt – auch für möglich, dass es zu Nachahmungseffekten kommt.

„Je häufiger man von solchen Taten liest, umso eher kopieren das andere“, sagte er der „Rheinischen Post“. „Aber die Probleme nicht zu diskutieren, wäre auch völlig falsch. Eine Lösung für dieses Dilemma gibt es nicht.“ (dpa/dts/afp/red)



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