Anschlag in Magdeburg: Warum die Warnsignale zu Taleb A. ignoriert wurden

Der Anschlag von Magdeburg setzt deutsche Behörden unter Rechtfertigungsdruck. Der mutmaßliche Täter Taleb A. war kein Unbekannter: Warnungen aus Saudi-Arabien, extremistische Online-Beiträge und mehrfache Gefährderansprachen werfen die Frage auf, ob die Tragödie hätte verhindert werden können.
Titelbild
Tatort nach Anschlag auf Magdeburger Weihnachtsmarkt am 21.12.2024.Foto: Craig Stennett/Getty Images
Von 23. Dezember 2024

Drei Tage nach dem Anschlag von Magdeburg, bei dem fünf Besucher des Weihnachtsmarktes starben und etwa 200 verletzt wurden, sehen sich deutsche Behörden unter Rechtfertigungszwang. Grund dafür ist, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter Taleb A. nicht um ein unbeschriebenes Blatt handelt.

Der 50-Jährige hatte nicht nur auf seinem X-Account extremistische Inhalte und unverhohlene Drohungen gepostet. Er war seit Beginn seines Aufenthalts in Deutschland 2006 auch selbst mehrfach ins Visier polizeilicher Ermittlungen geraten. Zudem hatte es mehrfache Warnungen über eine mögliche Gefährlichkeit A.s aus seinem Herkunftsland Saudi-Arabien selbst gegeben. Arbeitskollegen sei er ebenfalls unangenehm aufgefallen.

Im Jahr 2023 fand schriftliche Gefährderansprache von Taleb A. statt

Der Direktor der Polizeiinspektion Magdeburg, Tom-Oliver Langhans, erklärte in einer Pressekonferenz, man habe im Vorjahr versucht, bei Taleb A. eine Gefährderansprache durchzuführen. Anlass war einem MDR-Bericht zufolge eine Drohung, die dieser am 21.8.2023 an die Kölner Staatsanwaltschaft gerichtet habe. Gefährderansprachen richten sich an Personen, die noch nicht notwendigerweise strafrechtlich in Erscheinung getreten waren. Sie werden durchgeführt, wenn Tatsachen die Annahme einer absehbaren Straftat oder Störung der öffentlichen Sicherheit rechtfertigen. Sie sollen den Betreffenden signalisieren, dass Behörden sie im Blick hätten.

Der mutmaßliche Attentäter von Magdeburg, Taleb A., wird dem Haftrichter vorgeführt.

Der mutmaßliche Attentäter von Magdeburg, Taleb A., wird dem Haftrichter vorgeführt. Foto: Christoph Soeder/dpa

Die Ansprache sei aber fehlgeschlagen. A. sei an seiner Meldeadresse in der Christianstraße in der Bernburger Innenstadt nicht anzutreffen gewesen. Es habe jedoch eine Mitteilung in schriftlicher Form gegeben. Die Drohung sei zu abstrakt gewesen, um weitergehende Schritte zu unternehmen.

Deshalb hat man A. im Gefährderanschreiben dazu aufgefordert, „Schreiben in dieser Form zu unterlassen“. Diese könnten „unter Umständen strafrechtliche Konsequenzen mit sich ziehen“. Es ist im Fall einer schriftlichen Gefährderansprache vorgesehen, dass Empfänger den Erhalt des Schreibens mit Unterschrift bestätigen und zurücksenden. Ob dies im Fall von A. geschehen sei, ist unklar.

In den Wochen vor der Tat abgetaucht

Eine am 21.12. vertraulich an mehrere Sicherheitsbehörden versandte Akte des Bundeskriminalamts (BKA), die „Bild“ zugespielt wurde, gibt zusätzlich Einblick in den Stand der Erkenntnisse zu Taleb A. Dort heißt es, dass sich dieser in den Wochen vor dem Anschlag in Magdeburg nicht an seiner Wohnadresse aufgehalten habe.

Bereits zuvor war in Medienberichten zufolge die Rede davon, dass A. an seiner Arbeitsstelle in der Salus-Fachklinik krankgeschrieben war. Allerdings soll er noch am Abend vor dem Attentat sein Stammlokal in der Bernburger Fußgängerzone besucht haben.

Auch das BKA hat eigenen Angaben zufolge „Ermittlungsmaßnahmen“ eingeleitet, nachdem im November 2023 ein Hinweis aus Saudi-Arabien eingegangen war. Behördenchef Holger Münch äußerte in einem ZDF-Interview, man sei auf seine Internetbeiträge aufmerksam geworden, auch darüber hinaus war Taleb A. schon aktenkundig:

„Er hatte auch Kontakt zu verschiedenen Behörden, machte Beleidigungen und sogar Drohungen.“ Gewalttaten waren ihm jedoch nicht bekannt.

Auch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) habe das BKA im Spätsommer des Vorjahres auf Taleb A. aufmerksam gemacht. Diesen Hinweis habe man „wie jeden anderen der zahlreichen Hinweise“ ernst genommen. Die Warnungen seien jedoch „sehr unspezifisch“ gewesen.

Mehrfache Drohung mit „Handlungen, die internationale Beachtung bekommen“

Spezifischer waren konkrete Vorfälle, die teilweise auch zu Konsequenzen geführt hatten. Das Amtsgericht Rostock verurteilte Taleb A. im Jahr 2013 zu 90 Tagessätzen. Dem Innenminister von Mecklenburg-Vorpommern, Christian Pegel, zufolge erfolgte diese wegen „Störung des öffentlichen Friedens durch die Androhung von Straftaten“.

Wie Pegel am Sonntag erläuterte, hatte Taleb A. bereits zu jener Zeit mit einer „Tat, die internationale Beachtung bekommen wird“, gedroht. In diesem Kontext soll er Andeutungen bezüglich des Anschlags auf den Boston-Marathon gemacht haben. Anlass soll ein Streit über eine Anerkennung von Prüfungsleistungen während seiner Facharztausbildung gewesen sein.

Die Ankündigung von „Handlungen, die internationale Beachtung bekommen“, stand auch im Fokus einer 2014 erfolgten Gefährderansprache. Im Januar jenes Jahres hat er demnach Sozialleistungen beantragt. Die Drohung habe er geäußert für den Fall, dass man ihm diese nicht genehmigen werde. Es habe der Verdacht der Nötigung im Raum gestanden.

FAZ gewährte Taleb A. 2019 ein umfangreiches Interview

Wie der „Nordkurier“ berichtet, soll Taleb A. Mitte der 2010er Jahre auch gegenüber Mitarbeitern einer Petitionshotline gedroht haben, sich eine Pistole zu besorgen. Er deutete an, Rache an den Richtern nehmen zu wollen, die ihn 2013 verurteilt hatten. Pegel zufolge sei A. trotzdem nicht als Gefährder eingestuft worden, weil man dazu „normalerweise Verdachtsmomente mit ideologischem Bezug“ benötige.

Diese seien damals noch nicht erkennbar gewesen. Im Jahr 2019 gab die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (FAZ) Taleb A. durch ein ausführliches Interview Gelegenheit zur Selbstdarstellung. Darin konnte er unwidersprochen Aussagen wie „Es gibt keinen guten Islam“ tätigen und für seine Online-Aktivitäten werben.

Auch BBC und „Spiegel“ konnte der nach eigener Aussage „aggressivste Kritiker des Islams in der Geschichte“ als Multiplikatoren für seine Ideologie nutzen. Wann er erstmals öffentlich mit islamfeindlichen Beiträgen in Erscheinung getreten ist, ist noch unklar. Er selbst deutete an, mindestens seit etwa Mitte der 2010er Jahre im Forum des saudischen Bloggers Raif Badawi aktiv gewesen zu sein. Damals habe er online Drohungen erhalten und deshalb 2016 Asyl beantragt, das auch gewährt wurde.

Krieg unter „Islamkritikern“

Mit anderen ehemaligen Muslimen hat er sich im Laufe der Zeit jedoch überworfen. Vor allem mit Vertretern der „Säkularen Flüchtlingshilfe Deutschland“ lieferte er sich zum Schluss einen Kleinkrieg, der zu Strafanzeigen und Zivilverfahren führte. Ursprünglich wollte dieser Verein mit Taleb A. im Bereich der Flüchtlingshilfe zusammenarbeiten. Allerdings gab es schon bald tiefgreifende Konflikte.

Organisationen wie der „Zentralrat der Ex-Muslime“ und die diesem nahestehende „Säkulare Flüchtlingshilfe“ fühlten sich von A. „verleumdet“ und „seit Jahren terrorisiert“. Dieser wiederum betrachtete seine Kontrahenten als Teile der von ihm behaupteten weltweiten islamischen Verschwörung, als deren Teil er auch deutsche Behörden sah.

Streitpunkt war offenbar die jeweilige Position gegenüber „liberalen und säkularen Muslimen“, die der „Zentralrat“ gegenüber Taleb A. in Schutz nehmen wollte. Diese Exponenten der „Islamkritik“ vertreten eher einen universalistischen Standpunkt, der sich in der Pflicht sieht, die „westlichen Werte“ perspektivisch auch in islamischen Ländern selbst durchzusetzen. Entsprechend grenzen sie sich von „rechten“ Anti-Islam-Bestrebungen ab, die zwar muslimische Einwanderer aus europäischen Ländern verbannen wollen, aber keine generell säkularistische oder pro-westliche Linie verfolgen.

BKA befürchtet Gefahren durch Trittbrettfahrer und „irrationale Einzeltäter“

Scheinbar hat Taleb A. mit Fortdauer der Zeit zunehmend paranoide Züge entwickelt. Wie aus dem BKA-Konvolut vom 21.12. hervorgeht, ist A. seit 2021 mehrfach durch Anzeigen oder als vermeintlicher Zeuge in Erscheinung getreten. Diese hätten sich gegen Beamte deutscher Justiz- oder Sicherheitsbehörden gerichtet. Mehrere Personen hätten ihn angezeigt, nachdem er sie beschuldigt hatte, Spione der saudi-arabischen Regierung zu sein.

Das BKA befürchtet neben einer politischen Ausbeutung des Anschlags von Magdeburg auch Gefahren durch mögliche Trittbrettfahrer. Grund dafür sei die hohe Medienaufmerksamkeit. Es bestehe „weiterhin eine grundsätzliche Gefährdung durch irrational handelnde oder emotionalisierte Einzeltäter bzw. allein handelnde Täter und die damit verbundene Möglichkeit von nicht kalkulierbaren Handlungsweisen, insbesondere bei öffentlichen Veranstaltungen“.



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