Analyse: Merkel braucht in Flüchtlingskrise Türkei
Erst mit 39 Minuten Verspätung traf der türkische Ministerpräsident Ahmet Davutoglu, zuvor beim Weltwirtschaftsforum in Davos, zu den ersten offiziellen deutsch-türkischen Regierungskonsultationen im Kanzleramt ein. Er bekam trotzdem einen freundlichen Empfang.
Devutoglu ist derzeit in einer Position, in der er sich das leisten kann. Auf sein Land ist die Kanzlerin angewiesen, wenn sie die Flüchtlingskrise doch noch in den Griff bekommen will. Vielleicht ist die Türkei im Moment sogar ihre größte Hoffnung, jetzt, da Merkel in Deutschland und Europa so unter Druck steht wie noch nie zuvor in ihrer Kanzlerschaft.
Die CDU-Vorsitzende nennt den EU-Beitrittskandidaten selbst das „Schlüsselland“ der Krise. Von den mehr als 1,5 Millionen Flüchtlingen, die vergangenes Jahr in die EU gelangten, kamen die meisten über die Türkei. Dabei vergisst man leicht, dass das Land trotzdem noch mehr Flüchtlinge beherbergt als die Bundesrepublik. Allein aus Syrien sind es mehr als 2,3 Millionen.
Deshalb bestand Merkel darauf, dass die EU schon Ende November mit der Türkei einen Pakt schloss: finanzielle und politische Zusagen gegen das Versprechen, die Flüchtlingszahlen einzudämmen. Deshalb wird nun wieder über einen türkischen EU-Beitritt verhandelt. Deshalb gibt es nun regelmäßige EU-Gipfel mit der Türkei. Und zum ersten Mal nun auch offizielle deutsch-türkische Regierungskonsultationen.
Dabei sind solche Treffen, die nicht viel kosten, aber für Ankara einen Prestigegewinn bedeuten, noch das Einfachste. Schwieriger ist die Umsetzung von anderen Vereinbarungen. Von den drei Milliarden Euro, die die EU der Türkei versprochen hat, ist noch kein einziger Cent angekommen. Derzeit blockiert Italien die Zahlungen.
Und schon machte Davutoglu deutlich, dass das Geld seinem Land eigentlich nicht reicht. Die bisherigen Zusagen seien „nur dazu da, den politischen Willen zur Lastenteilung zu zeigen“, sagte er zum Auftakt der Regierungskonsultationen der dpa. Sprich: Die Türkei will noch mehr.
Trotz der versprochenen strengeren Kontrollen durch die türkischen Grenzer kommen aber auch immer noch viele Flüchtlinge über die Ägäis. Seit Beginn des Jahres waren es schon wieder mehr als 36 000. Auch am Freitag gab es dabei wieder Tote: Nach dem Kentern von zwei Flüchtlingsbooten vor zwei griechischen Inseln ertranken mindestens 42 Menschen. 17 davon waren Kinder.
Es ist in der Flüchtlingskrise wie so oft in der internationalen Politik: ein ziemlich kompliziertes Geschäft von Geben und Nehmen. Auch bei den Regierungskonsultationen in Berlin wurden Merkel und Davutoglu deshalb nicht besonders konkret. Der nächste große Termin ist nun der EU-Gipfel Mitte Februar in Brüssel. Auch dann wird Davutoglu dabei sein.
So viel Zeit will sich Merkel auch lassen, bis sie die angekündigte „Zwischenbilanz“ zieht. Auf die Bitten Davutoglus um mehr Geld ging sie am Freitag bei ihrem gemeinsamen Pressetermin jedenfalls mit keinem Wort ein.
Umso ausführlicher fielen die Antworten aus, als Merkel zum Schluss gefragt wurde, ob sie auch den Eindruck habe, dass es um sie herum einsam geworden sei, wie die letzten Tage viel zu hören und lesen war. Merkel entgegnete: „Nein. Den Eindruck habe ich nicht. Hier nicht, und auch sonst nicht.“
Sie wisse, dass viele Menschen in Deutschland verunsichert seien, auch durch die Ereignisse der Silvesternacht in Köln. Aber trotzdem: „Ich bin innerlich sehr davon überzeugt, dass die Frage der illegalen Immigration nur gelöst werden kann, wenn wir zusammenarbeiten.“
Dann schaltete sich auch Davutoglu ein, der gar nicht gefragt worden war – mit einem Lob, das die Kanzlerin so schon lange nicht mehr gehört hatte. Merkel habe „im Rahmen des Gewissens der Menschheit einen historischen Schritt getan“, an den man in 25 oder 30 Jahren richtig schätzen werde. „Weder Frau Merkel noch Deutschland sind in dieser Frage allein.“ Die Türkei werde Deutschland in dieser kritischen Phase „Hand in Hand„ begleiten.
Dann fügte der Ministerpräsident noch hinzu: „Diese Führungskraft Merkels muss gewürdigt werden. Das erwarte ich.“ Die Kanzlerin stand still daneben. Ein wenig hatte man den Eindruck, als sei ihr das dann doch ein bisschen zu viel.
(dpa)
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