„Ampel“, „Jamaika“, oder doch wieder eine „Groko“?

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Berliner Runde am Wahlabend. Berlin, 26. September 2021.Foto: Michele Tantussi/Getty Images
Epoch Times26. September 2021

Es ist eine historische Wahlschlappe für die Union: Am Ende der Ära von Kanzlerin Angela Merkel stürzen CDU und CSU auf ihr mit Abstand schlechtestes Ergebnis bei einer Bundestagswahl ab.

Aber auf den letzten Metern hat Armin Laschet noch einiges an Boden gut gemacht und liegt am Sonntagabend in den ersten Prognosen nur ganz knapp hinter seinem SPD-Konkurrenten Olaf Scholz.

Deswegen tritt er kurz vor 19 Uhr im Konrad-Adenauer-Haus sehr gefasst vor seine Anhänger. Das man mit dem Ergebnis nicht zufrieden sein könne, erwähnt er nur beiläufig. Dafür erklärt er sehr selbstbewusst seinen Machtanspruch: „Eine Stimme für die Union ist eine Stimme gegen eine linksgeführte Bundesregierung. Deshalb werden wir alles daran setzen eine Bundesregierung unter Führung der Union zu bilden.“

Wenig später tritt Olaf Scholz im Willy-Brandt-Haus vor die Kameras. Er war als „Außenseiter“ in diesen Wahlkampf gestartet, hat die SPD in den letzten Monaten aber aus einem tiefen Umfrageloch an die Spitze im Dreikampf um das Kanzleramt katapultiert – auch dank der Fehler von Armin Laschet und Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock.

Am Ende ist es eine knappe Sache geworden – extrem knapp. Am frühen Abend ist der Vorsprung der SPD vor der Union mit 24,9 bis 25,6 zu 24,4 bis 24,7 Prozent nur hauchdünn.

Scholz: „Das ist ein Auftrag“

Auch Scholz macht seinen Anspruch deutlich, eine Regierung anzuführen. Allerdings zunächst etwas schüchterner und deutlich umschweifiger als Laschet. „Dass wir jetzt die ersten Hochrechnungen haben, die zeigen, die SPD kriegt viel Unterstützung von den Bürgern, das ist ein Auftrag, dafür zu sorgen, dass all das, was in dieser Wahl besprochen wurde und was wir vorgeschlagen haben, auch umgesetzt wird.“

Kurz danach wird er in einem ARD-Interview aber deutlicher: „Ich glaube, dass wir daraus auch den Auftrag ableiten können, dass wir sagen ‚Wir wollen die nächste Regierung bilden‘.“

Klar ist zu diesem Zeitpunkt schon: Nach der spannendsten Wahl der letzten Jahrzehnte steht eine wohl noch spannendere Regierungsbildung bevor. Sowohl Laschet als auch Scholz werden ihre Koalitionsoptionen ausloten – egal ob sie am Ende auf Platz eins oder zwei liegen.

Beide werden um dieselben Partner buhlen: Grüne und FDP. Die sogenannte Ampel (Rot-Grün-Gelb) tritt also an gegen eine nach den Landesfarben Jamaikas benannte Koalition von Union, Grünen und FDP.

„Ampel“: SPD, Grüne und FDP

SPD und Grüne ziehen bei vielen Themen weitgehend an einem Strang – wie etwa bei der Vermögensteuer oder einer Lockerung der Schuldenbremse. Die FDP würde es indes einige Überwindungen kosten, mit Grünen und Sozialdemokraten zu regieren.

Ihr Chef Christian Lindner gibt als Ziel aus, eine „Linksverschiebung der Politik“ mit höheren Steuern zu verhindern. Eine Ampelkoalition schließt er aber nicht aus; die FDP würde aber einen sehr hohen Preis dafür verlangen, etwa den Posten des Bundesfinanzministers.

Aber auch SPD und Grüne sind sich nicht in allem einig. So will sich SPD-Kanzlerkandidat Olaf Scholz nicht auf einen früheren Kohleausstieg als 2038 festlegen. Für eine funktionierende Ampelkoalition gibt es derzeit ein Beispiel auf Landesebene: in Rheinland-Pfalz.

„Jamaika“: Union, Grüne und FDP

In dieser Konstellation wären es die Grünen, die viel Überwindung aufbringen müssten, schließlich gibt es zwischen CDU/CSU und FDP viele Überschneidungen. Sie könnten versuchen, die Grünen etwa in ihrer Klima- und Sozialpolitik auszubremsen. „Jamaika“ ist mit einer schweren Hypothek belastet: 2017 scheiterten die Verhandlungen über ein solches Bündnis krachend, weil die FDP sie in letzter Minute platzen ließ.

Zwar kann sich FDP-Chef Christian Lindner ein nochmaliges Kneifen kaum erlauben, doch die inhaltlichen Differenzen mit den Grünen bleiben; insbesondere weil diese auch die Industrie beim Klimaschutz in die Pflicht nehmen wollen. Das Beispiel für ein funktionierendes Jamaika-Bündnis gibt es allerdings – und zwar in Schleswig-Holstein.

Große Koalition:

Zwar gibt es zwischen den bisherigen Koalitionspartnern keine unüberwindbaren Hürden. Aber insbesondere die SPD hat wenig Neigung, das ungeliebte Bündnis mit der Union neu aufzulegen. Ganz ausgeschlossen ist der neue „GroKo“-Aufguss aber nicht. Es könnte dazu kommen, wenn sich Grüne und FDP bei den Verhandlungen verhaken und kein Bündnis mit beiden Parteien zustande kommt.

Rot-Grün-Rot

Den ersten Hochrechnungen vom Wahlabend zufolge war es unwahrscheinlich, dass es für eine Koalition aus SPD, Grünen und den Linken überhaupt reicht. Und selbst wenn eine rechnerische Mehrheit zustande kommen sollte, dürfte es schwierig werden – entscheidende Hürde ist die Außenpolitik: Die Linke steht Nato und Bundeswehreinsätzen ablehnend gegenüber. Bei Sozialpolitik, Gesundheit, der Rente, aber auch in der Steuerpolitik gibt es hingegen viele Gemeinsamkeiten der drei Parteien.

Schwierige Verhandlungen: Regierung erst nach Weihnachten?

In der Regel dauert es nach einer Bundestagswahl ein bis drei Monate bis zur Vereidigung eines neuen Kabinetts. Bis Weihnachten war man fast immer fertig. Mit einer Ausnahme: Nach der letzten Wahl 2017 gab es eine beispiellose Hängepartie.

Erst am 14. März – fast ein halbes Jahr nach dem Wahltermin – hatte Deutschland eine Regierung. Dass es sehr viel schneller gehen kann, haben Willy Brandt (SPD) 1969 und Helmut Kohl (CDU) 1983 gezeigt, die nur 24 Tage brauchten, um Koalitionen mit der FDP zu schmieden.

Die komplizierte Konstellation spricht diesmal allerdings dafür, dass es wieder sehr lange dauert. Andererseits gilt 2017 als abschreckendes Beispiel, das eigentlich niemand wiederholen möchte. Denn eine lange Übergangszeit macht auch international keinen guten Eindruck.

Am 1. Januar übernimmt Deutschland die Präsidentschaft in der G7, dem Club der großen westlichen Wirtschaftsmächte. Da sollten die Verbündeten schon wissen, mit wem sie es zu tun haben. (afp/dpa/dl)



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