Ampel in Geldnot: Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021 nichtig

Paukenschlag aus Karlsruhe: Das Bundesverfassungsgericht hat den Haushaltsplanungen der Ampel einen schweren Dämpfer verpasst. Für Klimapolitik fehlen nun 60 Milliarden Euro. Hintergrund ist der Streit um die Schuldenbremse.
Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts,  verkündet das Urteil in Sachen «Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021».
15. November 2023, Karlsruhe: Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts verkündet das Urteil in Sachen „Zweites Nachtragshaushaltsgesetz 2021“.Foto: Uli Deck/dpa
Von 15. November 2023

Der Zweite Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) hält es für grundgesetzwidrig, übrig gebliebene Milliardenbeträge aus dem Corona-Sonderfonds nachträglich für klimapolitische Maßnahmen zu verwenden. Das geht aus einem Urteil vom 15. November hervor, in dem das BVerfG das „Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021“ (2. NHG 2021) für nichtig erklärt hat. Das höchste deutsche Gericht gab damit einer Klage der Unionsfraktion im Bundestag statt (Az: 2 BvF 1/22).

Nach Auffassung von Prof. Doris König, der Vorsitzenden des Zweiten Senats, verstößt das 2. NHG 2021 gegen die Artikel 109, 110 und 115 des Grundgesetzes. Die Ausnahmeregelung der Schuldenbremse gemäß Artikel 109 GG sei strenger auszulegen: Wenn ein Kredit aufgenommen würde, so müsse dieser „auf die konkrete Notsituation und den gesetzgeberischen Willen, diese zu bewältigen“, rückführbar sein. Eben dieser Zusammenhang sei im konkreten Fall des 2. NHG 2021 nicht ausreichend dargelegt worden.

Nach Angaben der „Tagesschau“ war es das erste Mal überhaupt, dass sich das BVerfG näher mit einem Streitfall zur Schuldenbremse beschäftigen musste. Vorausgegangen sei eine Klage von 197 Abgeordneten der Unionsfraktion im Bundestag. Die mündliche Verhandlung hatte im Juni stattgefunden.

Erstes Grundsatzurteil zur Schuldenbremse

Nach Auffassung des BVerfG und der CDU/CSU-Fraktion war es im Geist der Schuldenbremse illegal, eine „Kreditermächtigung in Höhe von 60 Milliarden Euro“, die ursprünglich am 23. April 2021 für vermeintliche Corona-Kosten des Haushaltsjahres 2021 erteilt worden war, nachträglich in den „Energie- und Klimafonds“ (EKF) zu übertragen, der heute unter dem Kürzel KTF bekannt ist („Klima- und Transformationsfonds“).

Genau das hatte die Ampelregierung allerdings mit einer „rückwirkende[n] Änderung des Haushaltsgesetzes und des Bundeshaushaltsplans 2021 durch das Zweite Nachtragshaushaltsgesetz 2021“ vom Bundestag beschließen lassen, um das Geld auch noch in späteren Jahren für Klimazwecke verwenden zu können. Die Entscheidung dafür war gefallen, als die Bundesregierung feststellte, dass das Geld wohl nicht mehr für Corona-Zwecke gebraucht würde.

60-Milliarden-Euro-Lücke im Sonderfonds

Die „Zuführung“ der 60 Milliarden Euro in den KTF-Sonderfonds war nach Angaben des BVerfG rückwirkend im Februar 2022 erfolgt. Nun müsse „der Umfang des KTF“ eben wieder um diese 60 Milliarden Euro reduziert werden, schrieb das BVerfG in seiner Pressemitteilung zum Urteil. Und weiter:

Soweit hierdurch bereits eingegangene Verpflichtungen nicht mehr bedient werden können, muss der Haushaltsgesetzgeber dies anderweitig kompensieren.“

Im Klartext: Vor dem Hintergrund der aktuellen Haushaltsverhandlungen für das Jahr 2024 fehlen der Bundesregierung nun auch noch 60 Milliarden Euro für allerlei Ausgaben rund ums Thema Klimaschutz. Denn mit den Mitteln aus dem KTF-Sonderfonds werden gewöhnlich Modernisierungspläne wie etwa energiesparende Gebäudesanierungen, eine Wasserstoffinfrastruktur, Entlastungen bei den Energiepreisen und vieles mehr finanziert.

Nach Einschätzung der „Bild“ ist für „Sonder-Ausgabenwünsche“ jetzt „endgültig kein Platz mehr“ und auch das „Klimageld von Robert Habeck“ werde nicht mehr kommen.

Von rechts: Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck bei der Pressekonferenz zum BVerfG-Urteil zur Schuldenbremse am 15.11.2023 in Berlin. Foto: Bildschirmfoto/Tagesschau

Von rechts: Christian Lindner, Olaf Scholz und Robert Habeck bei der Pressekonferenz zum BVerfG-Urteil zur Schuldenbremse am 15. November 2023 in Berlin. Foto: Bildschirmfoto/„Tagesschau“

Lindner will neuen Plan für „Energiewende“

Nach Informationen der „Tagesschau“ erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) bereits, dass die laufenden Haushaltsberatungen im Bundestag wie geplant fortgesetzt werden sollten.

Bundesfinanzminister Christian Lindner (FDP) habe allerdings angekündigt, einige „Vorhaben auf Eis“ zu legen, die aus dem KTF finanziert werden sollten. Nach Informationen der „Bild“ gebe es allerdings „Ausnahmen im Gebäudebereich“. Die Koalition werde zudem einen „neuen Plan für die Energiewende aufstellen“.

Nach Einschätzung von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) könnten trotz des Urteils zwar „alle zugesagten Verpflichtungen eingehalten werden“, „neue Verpflichtungen“ aber könnten „erst zugesagt werden, wenn der neue Finanzplan“ stehe. Im Juni hatte Habeck davon gesprochen, dass ein Urteil zum Nachteil des 2. NHG 2021 „Deutschland wirtschaftspolitisch hart treffen“ werde. Es würde bedeuten, „dass uns der Fußboden weggezogen wird, auf dem wir versuchen, die wirtschaftliche Situation in Deutschland zu stabilisieren“.

Donnerstag: Aktuelle Stunde im Bundestag

CDU-Fraktions- und Parteichef Friedrich Merz nannte das Urteil nach Angaben der „Bild“ einen „großen Erfolg für die Steuerzahlerinnen und Steuerzahler“. Es handele sich um eine „historische Entscheidung“ darüber, „wie in Zukunft Bundeshaushalte aufgestellt“ würden. Am Donnerstag, 16. November, werde es wohl eine aktuelle Stunde im Bundestag zum Thema geben.

Mathias Middelberg, der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU-Fraktion im Bundestag, forderte die Regierung im „Tagesschau“-Interview auf, ihre Ausgabepolitik zu überprüfen. Sie müsse „alles auf wirtschaftliches Wachstum hin ausrichten“. Es sei „genau die falsche Richtung“, sich stattdessen „mit weiteren Sozialausgaben“ zu befassen, wie die Ampel es gerade tue, sagte Middelberg.

Dobrindt: „Gigantische Klatsche“ für die Ampel

CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt sprach von einer „gigantische[n] Klatsche“ für die Regierungskoalition. Ihre Mitglieder hätten „Milliarden, die sie nicht hätten anrühren dürfen, genommen, um daraus ihre links-grünen Luftschlösser zu finanzieren“. Jetzt fliege der „Ampel […] ihre unseriöse Haushaltspolitik um die Ohren“.

Dobrindts Parteikollege Martin Huber, seines Zeichens CSU-Generalsekretär, betrachtet die gesamte Haushaltsplanung der Bundesregierung Agenturangaben zufolge als „hinfällig“, weil das BVerfG die „Schummel-Politik“ der Regierung beendet habe. Huber weiter:

Wer unfähig ist, einen verfassungskonformen Haushalt auf die Beine zu stellen, ist regierungsunfähig. Die Ampel ist auf ganzer Linie gescheitert.“

Frei: „Das ist ein Neuwahl-Moment!“

Auch Thorsten Frei (CDU), der parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion im Bundestag, lobte das Verfassungsgericht für sein Urteil. Gegenüber dem „Spiegel“ sagte Frei, Karlsruhe sei „der Ampel in die Parade“ gefahren. „Wäre die Ampel mit ihrem Umgehungsmanöver durchgekommen, hätte das der Finanzverfassung einen schweren Schaden zugefügt.“ Die „Bild“ zitiert Frei mit den Worten:

Das Urteil ist eine politische Katastrophe für Christian Lindner und die FDP. Lindner ist der erste Finanzminister in der Geschichte, der einen verfassungswidrigen Bundeshaushalt verantwortet: Die FDP hat die finanzpolitische Solidität zu ihrem Markenzeichen erklärt und ihre Beteiligung an der Ampel damit gerechtfertigt. […] Das ist ein Neuwahl-Moment!“

„Klima-Allianz“ befürchtet „enorme Verwerfungen“

Bei den potenziellen Nutznießern der Steuermilliarden könnte die Stimmung dagegen kaum düsterer sein. Stefanie Langkamp etwa, Energieexpertin bei der „Klima-Allianz“, wies während einer Onlineveranstaltung darauf hin, dass „die Mittel etwa für die Förderung des Heizungsumbaus im Gebäudeenergiegesetz fest eingeplant“ seien. Wenn das Geld ausbliebe, werde es zu „enormen Verwerfungen“ kommen.

Als „dramatisch für die Planungssicherheit der Unternehmen“ bezeichnete Katharina Reuter, die Geschäftsführerin des Bundesverbands Nachhaltige Wirtschaft (BNW), das BVerfG-Urteil. Denn auch die geplanten Entlastungen für energieintensive Unternehmen hätten ja aus dem KTF bezahlt werden sollen.

NABU stellt Schuldenbremse infrage

NABU-Präsident Jörg-Andreas Krüger verlangte „schnelle Lösungen“ von der Bundesregierung. Die „Investitions- und Planungssicherheit“ für den „notwendigen ökologischen Umbau“ dürfe nicht gefährdet werden. Für die Regierung stelle sich die Frage, ob sie „an der Schuldenbremse in ihrer heutigen Form festhalten“ wolle. Denn damit würde sie aus Sicht Krügers „die Zukunft des Landes aufs Spiel setzen“.

Martin Kaiser, Co-Vorstand der Geschäftsführung bei Greenpeace Deutschland, nutzte das Urteil zur Kritik an der Ampelregierung: „Nun rächt sich, dass die Ampel den klimaneutralen Umbau der Wirtschaft von Anfang an mit finanzpolitischen Taschenspielertricks bezahlen wollte“, so Kaiser. Nun dürften eben „Kredite, neue Steuern und der Abbau klimaschädlicher Subventionen“ keine „Tabus“ mehr sein. Schließlich benötige man das Geld für „die nötigen Investitionen in Klimaschutz und soziale Ausgleichsmechanismen wie das Klimageld“.

Befangenheitsverdacht wohl unbegründet

Eine Woche vor der Verkündung des Grundsatzurteils hatten sich das Bundesverfassungsgericht und die meisten Mitglieder des Bundeskabinetts zu ihrem traditionellen jährlichen Gedankenaustausch getroffen.

Kritiker befürchteten, dass das Gericht deswegen befangen sein könnte. Das hat sich zumindest im Fall des nun vorliegenden Schuldenbremsenurteils des Zweiten Senats offensichtlich nicht bewahrheitet.

Mit Informationen aus Agenturen.


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