„Alternative für Migranten“: Erdoğan-Fangemeinde nimmt dritten Anlauf für Migranten-Partei
Während so viel von gesellschaftlicher Spaltung und Parallelgesellschaften in Deutschland gesprochen wird, gibt es zwischen Deutschen mit und ohne Migrationshintergrund eine frappierende Gemeinsamkeit: Die Unzufriedenheit mit den etablierten politischen Parteien wird stetig größer, viele finden sich in den bisherigen Angeboten nicht mehr wieder.
Vor allem die türkischen Einwanderer sind in Bewegung geraten. Waren sie früher Stammpublikum der SPD, sind sie – wie die Vorjahresstudie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) zeigte – dieser in Scharen weggelaufen und orientieren sich um.
Ein Teil der türkischen Community sieht in der CDU ihre neue Heimat. Dies trifft unter anderem auf aufstiegsorientierte Einwandererkinder der zweiten und dritten Generation zu, die sich mit Deutschland stärker verbunden fühlen als mit der Heimat ihrer Altvorderen und die der Politik des türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan kritisch gegenüberstehen. Beispiele dafür sind CDU-Abgeordnete wie Cemile Giousouf im Bundestag oder Serap Güler im Landtag von NRW. Auch einige Angehörige des Netzwerks des in den USA lebenden Predigers Fethullah Gülen engagieren sich mittlerweile in der CDU – wobei sich Gleichgesinnte jedoch auch noch in der SPD und bei den Grünen finden.
Unter in Deutschland lebenden türkischen Einwanderern, die ihre Staatsbürgerschaft behalten haben und sich an Wahlen in der Türkei beteiligen, steht hingegen eine Mehrheit hinter der Politik des Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan. Seine Anhänger fühlen sich auch in überdurchschnittlichem Maße in Deutschland benachteiligt und identifizieren sich stärker mit der Türkei als mit der deutschen Gesellschaft – auch dann, wenn sie hier geboren wurden und aufgewachsen sind.
Erste „Migrantenpartei“ durch säkulare Türken 1995 gegründet
In diesem Segment spielen auch starke Affinitäten zum politischen Islam und zum türkischen Nationalismus eine Rolle. Da die AfD stark islamkritisch auftritt und aus ihren Reihen bisweilen auch übergriffige Äußerungen gegen Türken wie am Aschermittwoch 2018 durch den mittlerweile ausgetretenen Ex-Fraktionschef André Poggenburg kommen, ist sie für türkische Einwanderer keine Option – auch wenn in manchen gesellschaftspolitischen Fragen wie Gender oder schulischer Sexualkunde Berührungspunkte bestehen.
Dass es in den Niederlanden der von früheren Abgeordneten der Sozialdemokraten gegründeten Partei DENK gelungen ist, sich als „Migrantenpartei“ parlamentarisch zu verankern, hat auch unter hiesigen Erdoğan-Anhängern in der türkischen Community die Ambitionen beflügelt, eine Partei für Einwanderer zum Erfolg zu führen.
Versuche dieser Art gibt es in Deutschland seit Mitte der 1990er Jahre. Im Jahr 1995 gründeten einige Freiberufler aus dem säkularen Teil der türkischen Einwanderergemeinde die „Demokratische Partei Deutschlands“ (DPD) als „Interessenvertretung der in Deutschland lebenden Ausländer“. Der spätere Grünen-Chef Cem Özdemir warnte damals vor dem Unterfangen und rief Einwanderer dazu auf, sich stattdessen in etablierten Parteien einzubringen. Die DPD blieb bei Wahlantritten in Baden-Württemberg 1996 und zum Bundestag 1998 jeweils im Null-Komma-Bereich und löste sich 2002 auf.
Im Jahr 2010 gründete der Bonner Unternehmensberater Haluk Yildiz das „Bündnis für Innovation und Gerechtigkeit“ (BIG), das schon in der Namensgebung an die türkische „Partei für Gerechtigkeit und Entwicklung“ (AKP) erinnerte. Anders als die türkische AKP, die zumindest in ihrer Anfangsphase eine breite Koalition gebildet hatte, die von Wirtschaftsliberalen über ethnische Minderheiten bis zu Anhängern des politischen Islam gereicht hatte, war die BIG-Partei jedoch von vornherein programmatisch eng geführt. Sie entstand aus dem Zusammenschluss dreier Wählerinitiativen mit starkem islamistischem Profil aus Bonn, Gelsenkirchen und Köln, wobei Erstgenannte bei den Kommunalwahlen 2009 Mandate erringen konnten.
AD-Demokraten bleiben unter Grenze für Wahlkampfkostenerstattung
Nachdem sich im Jahr 2014 die Muslimisch-Demokratische Union (MDU), die enge Verbindungen zur „Muslim-Markt“-Betreiberfamilie Özoguz aufwies, der BIG angeschlossen hatte, wurde die radikal-islamische Ausrichtung der Partei noch augenfälliger. Bei Wahlen kamen ihre Kandidaten selten über den Null-Komma-Bereich hinaus.
In Anbetracht der Erfolglosigkeit der BIG wollte der deutsch-türkische Unternehmer Remzi Aru, der schon zuvor als Funktionär der AKP-Lobbyorganisation „Union Internationaler Demokraten“ (UID – ehemals „Union Europäisch-Türkischer Demokraten“, UETD) in Erscheinung getreten war), 2016 die Aufregung unter türkischen Einwanderern über die Armenien-Resolution des Bundestages nutzen, um eine Einwandererpartei zu etablieren.
Er gründete zusammen mit mehreren Mitstreitern aus dem Umfeld der damaligen UETD die „Allianz Deutscher Demokraten“ (AD-Demokraten), die in ihrem ersten Programmentwurf einwanderungsfreundliche Forderungen mit liberal-konservativen Elementen verband und auf diese Weise gegenüber nichttürkischen und nichtislamischen Migranten einen attraktiveren Eindruck hinterlassen wollte als die BIG.
Wie bei DENK setzten sich auch bei den AD-Demokraten schon bald radikal-islamische und türkisch-nationalistische Kräfte durch. Selbst innerhalb der türkischen Community blieb der Zuspruch gering und mit 0,15 Prozent im stark von türkischer Einwanderung geprägten NRW bei der Landtagswahl 2017 blieb die Partei sogar noch unter der Grenze für die Wahlkampfkostenrückerstattung. Bei der Bundestagswahl kam man auf 0,1 Prozent, in NRW immerhin auf 0,4.
Zusammenschluss Erdoğan-freundlicher Parteien gescheitert
Nachdem Aru im September 2018 vom Parteivorsitz zurückgetreten war, versuchte sein Nachfolger an der Parteispitze, der Rechtsanwalt Ramazan Akbas, eine Liste für die Europawahl auf die Wege zu bringen. Spitzenkandidat sollte dabei der bereits für die SPD im Europaparlament vertretene Ozan Ceyhun werden, der BIG-Vorsitzende Haluk Yildiz sollte den zweiten und der Solinger Rechtsanwalt und ehemalige UETD-Sprecher Fatih Zingal den dritten Listenplatz einnehmen. Man rechnete mit einem Mandat, für welches bundesweit etwa 180 000 Stimmen erforderlich wären. Zur Bundestagswahl hatten die AD-Demokraten allein in NRW 43 000 erzielt.
Zingal hat jedoch die Einladung zum Bundesparteitag der AD-Demokraten am 3. Februar in Nürnberg ausgeschlagen und stattdessen angekündigt, zu den Europawahlen mit einer eigenen Liste, der „Alternative für Migranten“, antreten zu wollen.
Auf Facebook erklärte der Anwalt, der bereits mehrfach in Interviews und Diskussionssendungen die Anliegen der türkischen Regierung erklärt und verteidigt hat, er wolle sich als „Stimme der Unvertretenen“ zur Wahl stellen.
Der Name seiner Partei sei „nicht aus Zufall entstanden und darf gerne als Kampfansage an diejenigen verstanden werden, die Rassismus, Nationalismus und Islamfeindlichkeit salonfähig gemacht haben“.
Man werde es, so Zingal, „nicht länger akzeptieren, dass eine signifikante Gruppe von Menschen, die stets einen enormen Beitrag für die Gesellschaft geleistet hat, als Menschen zweiter Klasse angesehen und behandelt werden. All diejenigen, die Politik auf dem Rücken von Migrantinnen und Migranten betreiben und betreiben wollen, dürfen künftig mit unserem Widerspruch und unserer Entschlossenheit, als gleichwertiges Subjekt dieser Gesellschaft angesehen zu werden, rechnen.“
Unmut über „deutschen Rassismus“, Solidarität mit palästinensischem
Auf der Webseite der „Alternative für Migranten“ finden sich bislang kaum aussagekräftige Inhalte, lediglich eine Download-Möglichkeit für einen Mitgliedsantrag, eine Aufforderung, Unterstützungsunterschriften für einen Wahlantritt zur Europawahl zu leisten und ein Spendenaufruf.
Dass Zingal ein Bild von einem Treffen mit dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdoğan als Titelbild für Facebook gewählt hat, dürfte jedoch einen deutlichen Hinweis darauf geben, wie sich die „Alternative für Migranten“ politisch aufstellen wird. Auch die Inhalte, die Zingal in sozialen Medien postet, sprechen eine deutliche Sprache: demonstrative Nähe zu Erdoğan und zur Ditib, Klagen über „Nazis“ und den „deutschen Rassismus“, gleichzeitig aber Verherrlichung antisemitischer „Palästinenser“-Organisationen und Dämonisierung Israels.
Die „Alternative für Migranten“ dürfte also zu einem weiteren Anlaufziel werden, unter dem Banner einer Partei, die die Interessen von Einwanderern zu vertreten vorgibt, einen parlamentarischen Arm der Regierung in Ankara in Europa zu etablieren. Dies haben jedoch auch die meisten Wahlberechtigten mit Migrationshintergrund in Deutschland erkannt und bisherigen Bemühungen in dieser Richtung die kalte Schulter gezeigt. In einigen Einwanderercommunitys wie der russischen wählt man sogar in überdurchschnittlichem Ausmaß die AfD.
Das nicht allzu üppige Wählerpotenzial Erdoğan-freundlicher türkischer und arabischer Einwanderer wird sich die „Alternative für Migranten“ zudem, wie es aussieht, mit BIG und AD-Demokraten teilen müssen, die ebenfalls einen Antritt zur Europawahl planen.
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