„Alltagsspruch“ oder verbotene Aussage? Höcke will Charakter früherer SA-Parole nicht gekannt haben
Vor dem Landgericht Halle hat sich erstmals im Laufe seines Prozesses der Thüringer AfD-Landeschef Björn Höcke zu Wort gemeldet. Er muss sich dort wegen des Anklagevorwurfs der Verwendung von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen nach Paragraf 86a StGB verantworten. Ihm wird zur Last gelegt, im Mai 2021 in Merseburg mit der Verwendung der Wortfolge „Alles für Deutschland“ in einer öffentlichen Rede einen Wahlspruch der SA verwendet zu haben.
Im Dezember des Vorjahres nahm er Bezug auf die Anklage und wiederholte seine damalige Aussage, wobei er das Wort „Deutschland“ selbst nicht aussprach. Auch dieser Auftritt ist nun Gegenstand des Verfahrens.
Gegenüber dem Gericht erklärte Höcke, der einige Geschichtslehrbücher mit sich führte, er sei „tatsächlich völlig unschuldig“. In seiner Einlassung beschrieb er sich als „rechtstreuen Bürger“. Der bloße Umstand, dass er Geschichte studiert und 15 Jahre das Fach gelehrt habe, impliziere noch keine Kenntnis davon, dass es sich um einen verbotenen SA-Slogan gehandelt habe.
Höcke will „mit Nationalsozialismus nichts zu tun“ haben
Hätte er diesen Kontext gekannt, hätte er den Ausspruch „mit Sicherheit nicht verwendet“. Der Staatsanwalt ist hingegen davon überzeugt, dass Höcke dies bewusst gewesen sei. Wörtlich äußerte der Politiker der in Thüringen als „gesichert rechtsextremistisch“ eingestuften AfD damals:
„Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt, alles für Deutschland.“
Grünen-Politiker Sebastian Striegel erstattete daraufhin unter Hinweis auf ein Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags Anzeige. In diesem heißt es, dass die Verwendung der Parole im Rahmen einer Rede auf einer Versammlung den Tatbestand erfülle.
Höcke, der als „Nationalromantiker“ gilt, allerdings auch schon mehrfach durch völkische und biologistische Thesen auffällig geworden war, betonte, er habe mit dem Nationalsozialismus „nichts, aber auch gar nichts am Hut“. Die Parole betrachtete er eigenen Angaben zufolge als reinen „Alltagsspruch“.
Seine Verwendungsintention sei vielmehr gewesen, die Aussage im Sinne einer freien Übersetzung von Donald Trumps „America First“ zu verwenden. In Merseburg habe ihn der Titel des von ihm vor seiner Rede zur Kenntnis genommenen Wahlkampfprogramms der AfD Sachsen-Anhalt zu seinem Satz inspiriert.
Dass ähnliche Verfahren wegen der Parole auch gegen andere AfD-Politiker liefen, wisse er ebenfalls nicht, so Höcke.
Wie bekannt ist der Wahlspruch der SA als solcher tatsächlich?
Die Staatsanwaltschaft geht davon aus, dass Höcke als vormaligem Geschichtslehrer die Verwendung der Parole durch die SA bekannt sein musste. Für eine Verurteilung muss sie ihm nachweisen, dass er diesen Kontext tatsächlich kannte.
Für die nationalsozialistische Massenorganisation hatte der Spruch eine zentrale Bedeutung. Diese ging so weit, dass sie diesen sogar in ihre Dolche eingravieren ließ. In welcher Dichte Details zur SA jenseits ihrer Aufgabe Gegenstand der Lehramtsausbildung für Geschichte sind, wird das Gericht zu erheben haben. Die als Saalschutz und Schlägertruppe gefürchtete Vereinigung verlor im NS-System nach dem sogenannten Röhm-Putsch 1934 an Bedeutung. Im Jahr 1938 trat sie im okkupierten Österreich bei der öffentlichen Demütigung von Juden und am 9. November bei der Reichspogromnacht noch einmal öffentlich in Erscheinung.
Plattformen wie der „Ostthüringer Divan“, der „Volksverpetzer“ oder „Holocaust-Referenz“ arbeiten zudem heraus, dass die Parole auch in anderen nationalsozialistischen Zusammenhängen mehrfach Verwendung gefunden hatte. Die AfD Oberhausen weist hingegen darauf hin, dass „Alles für Deutschland“ als Spruch mit vorangestelltem „Einer für alle, alle für Einen“ bereits in der Zeit der Märzrevolution 1848 gebraucht worden sei.
Keine Strafbarkeit im Kontext mit vorangestelltem „Nichts für uns“
Später entfaltete in mehreren Kontexten auch der Spruch „Nichts für uns, alles für Deutschland“ Bedeutung. Er wurde der Deutschen Studentenschaft und Reichspräsident Paul Hindenburg zugeschrieben. Verwendet hatten ihn in der Weimarer Zeit auch die „Deutschnationale Volkspartei“ (DNVP) und die „Eiserne Front“ des antitotalitären „Reichsbanners Schwarz-Rot-Gold“ und die Gewerkschaften unter dem SPD-Vorsitzenden Otto Wels.
Nach 1945 soll ihn einem „Spiegel“-Bericht zufolge Franz-Josef Strauß in einem persönlichen Gespräch im Jahr 1957 gebraucht haben. In späteren Jahren tauchte er nur noch in rechtsextremistischen Zusammenhängen auf. Allerdings wurde er nie zur Grundlage einer Anklage nach Paragraf 86a StGB.
Im Jahr 2010 war dies für die Grünen-Fraktion im Bayerischen Landtag sogar ein Anlass für eine Kleine Anfrage. Verwendet hatten den Spruch im Jahr 2009 die neonazistischen „Freien Nationalisten“ bei einem Aufmarsch in Fürth.
Hat Höcke die Aussage in einer „zum Verwechseln ähnlichen“ Weise benutzt?
Damals begründete die Staatsanwaltschaft die Einstellung des Verfahrens explizit damit, dass der Parole „Alles für Deutschland“ das „Nichts für uns“ vorangestellt worden sei. Damit sei sie nicht in der für Paragraf 86a StGB tatbildlichen Form verwendet worden.
Nach der entsprechenden Bestimmung sei öffentliche Kundgabe von Parolen strafbar, die solchen von ehemaligen nationalsozialistischen Organisationen „zum Verwechseln ähnlich“ seien. An das Ähnlichkeitserfordernis stelle die Rechtsprechung jedoch hohe Anforderungen, schreibt die Bayerische Staatsregierung:
„Insbesondere genügt nicht eine Übereinstimmung in Teilen, sondern es kommt darauf an, ob die Parole insgesamt ohne Weiteres für ein Kennzeichen der nationalsozialistischen Organisation gehalten werden kann.“
Da Höcke der Aussage ein „Alles für unsere Heimat, alles für Sachsen-Anhalt“ vorangestellt hatte, könnte eine solche Ähnlichkeit in hinreichender Weise vermieden worden sein.
Verfassungsschutz führte Parole nicht in Broschüre über rechtsextremistische Symbole auf
Auffällig ist, dass es bis zum Jahr 2006 gedauert hatte, ehe ein Gericht die Tatbildmäßigkeit von „Alles für Deutschland“ im Sinne des Paragrafen 86a StGB bejahte. Dabei war der Anlassfall keiner, der überregional große Beachtung gefunden hätte.
Im Urteil vom 01.02.2006 – 01Ss432/05 verurteilte das OLG Hamm einen gewalttätigen, aber offenbar noch jugendlichen Neonazi zu einer Jugendstrafe von sechs Monaten ohne Bewährung. Neben dem isolierten Ausrufen der Parole am Ende einer öffentlichen Rede lag dem Angeklagten damals auch eine vorsätzliche Körperverletzung zur Last. Bei dem Urteil ging es vor allem um dessen schädliche Neigungen. Dass die strafbare Parole nur aus drei Wörtern bestand, wurde sogar zu seinen Gunsten berücksichtigt.
Beachtung fand das Urteil in der Fachliteratur, etwa durch Besprechung in der „Neuen Zeitschrift für Strafrecht“ (NStZ) im Jahr 2007. Der Wissenschaftliche Dienst des Bundestags erwähnte „Alles für Deutschland“ als strafbare Äußerung nach Paragraf 86a StGB – unter Verweis auf das Urteil – Ende des Jahres 2021. Dieses Gutachten nahm Striegel zum Anlass für seine Anzeige.
Nicht hinreichend bekannt war dieser Umstand dem Bundesamt für Verfassungsschutz, das 2022 in seiner Publikation „Rechtsextremismus: Symbole, Zeichen und verbotene Organisationen“ die Parole auf Seite 65 unter bekannten anderen nicht aufführte. Allerdings erhob die Veröffentlichung auch explizit keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
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