„Ahrweiler bekommst du nicht kaputt“
Es riecht nach trocknendem Schlamm. Wo der Schlamm getrocknet ist, staubt es. Die Hauptbrücke ist zusammengebrochen wie nach einem Bombenabwurf. Der Kurort Ahrweiler im malerischen Ahrtal in Rheinland-Pfalz hatte sich vor wenigen Tagen innerhalb weniger Stunden in eine Schlamm- und Geröllwüste verwandelt. „Es sieht aus wie nach dem Krieg“, hört man überall.
Fast eine Woche nach der plötzlichen Flutwelle türmen sich vor vielen Häusern die Möbel und Gegenstände, die wertlos geworden sind. Fenster sind geöffnet, um zu lüften. Die Polizei rückt mit Spürhunden an, um nach Vermissten zu suchen. Inzwischen spricht man von 170 Toten im gesamten Katastrophengebiet.
Krisen-Meeting auf dem Schulhof der Aloisius-Grundschule. Der Leitungsstab, bestehend aus etwa 10 Personen, hat alle Helfer des Projekts „Hochwasserhilfe 2021 Mensch für Mensch“ zusammengerufen. Rund 70 Personen gehören am Dienstag der Helfertruppe um Oberst a.D. Maximilian Eder an. Gerade macht sich die Sorge breit, dass man das Gebiet zum Corona-Hotspot erklärt und unter Quarantäne stellt. Eine weitere Arbeit der Organisation wäre damit nicht mehr möglich.
Mehrere Initiativen haben sich unter das Kommando von Eder gestellt, der unter anderem Kommandeur beim Kosovo-Einsatz der Bundeswehr und Leiter des Stabs beim Kommando Spezialkräfte war. Veteranen, Soldaten und Reservisten, Polizisten für Aufklärung, Anwälte für Aufklärung, Querdenken 711, Eltern stehen auf e.V., Helfer.org und Honk for Hope, sie alle bieten selbstlos ihre Hilfe an.
Anwalt Markus Haintz informiert darüber, dass die Gruppe offenbar „von außen“ sabotiert wird. Er gehe davon aus, dass „Leute eingeschleust“ würden. Keine Uniformen sollen getragen werden, auch die Reichsflagge sei tabu. Man will keine Angriffsfläche bieten. Die Leute seien nicht aus politischen Gründen da, bei ihren Einsätzen gehe es nur darum, zu helfen.
Ein Eintrag auf Facebook der Polizei Rheinland-Pfalz lässt vermuten, dass es tatsächlich Kräfte gibt, denen das Hilfsprojekt ein Dorn im Auge ist. „Uns ist bekannt, dass sich aktuell im Katastrophengebiet im Ahrtal Rechtsextremisten als „Kümmerer vor Ort“ ausgeben. Wir haben die Lage in Bezug darauf genauestens im Blick und sind mit zahlreichen Polizisten vor Ort. Polizeiliche Maßnahmen brauchen allerdings immer eine Rechtsgrundlage“, heißt es am Mittag. Solange nicht gegen geltendes Recht verstoßen wird, habe die Polizei keine Handhabe, heißt es weiter.
Seit Montag machten Gerüchte die Runde, es wären Reichsbürger vor Ort. Antifa-Netzwerke gaben in den sozialen Medien an, dass sie die Schule „befreien“ wollen. Das Hilfszentrum wird als „Reichsbürgerpool“ und als „Querdenken-Demo“ dargestellt; von Haus zu Haus hat man die Einwohner gewarnt. Letztlich kam die Polizei mit rund 5 Mannschaftswagen und hat sich umgeschaut. Nach 10 Minuten war sie wieder weg, man wolle den Vorwürfen weiter nachgehen, hieß es nur.
Die Einrichtung umfasst ein anerkanntes Sanitätszentrum und soziale sowie psychologische Hilfe für ganz Ahrweiler und das Ahrtal. Zweimal am Tag gibt es warmes Essen. In einem Lager mit Sachspenden wie Lebensmittel, Hygieneartikel und Kleidung können sich Betroffene holen, was sie brauchen. Der Keller und der Eingangsbereich der Schule mussten zuerst vom Schlamm befreit werden, um sich dort überhaupt niederlassen zu können. Im Hintergrund bollert das Notstromaggregat, weil der Strom völlig ausgefallen ist.
Straßenschilder sind umgeknickt wie Strohhalme
Honk for Hope, ein Verband zur Förderung der Interessen der Busunternehmen bietet regelmäßig kostenlose Busreisen für Helfer ins Katastrophengebiet an. Täglich treffen neue Helfer ein, die noch lange dringend benötigt sein werden.
Aber auch die Hilfsbereitschaft untereinander ist groß. Architekt Paul Eltrop ist „fasziniert“ darüber. „Wir können auf die Menschheit zählen, wenn es hart auf hart kommt.“ Das gebe ihm Hoffnung für die Gesellschaft. „Das tolle Erlebnis führt dazu, dass wir nicht verloren gehen.“ Es braucht Katastrophe, um das zu erfahren“, sagt er. Manchmal sei er frustriert über die Menschheit, aber die Katastrophe stärke das Gefühl des Miteinanders. „Man hat Nachbarn geholfen, die man vorher nie gesehen hat.“
Dass eine Flut kommt, die Warnung gab es offenbar schon im Vorfeld. Der junge Raphael Sittel habe es von seinem Freund erfahren, der bei der Freiwilligen Feuerwehr ist. Auf dem iPad habe ihm dieser eine Prognose gezeigt. Unverständlicherweise habe es aber keine Warnung gegeben, dass die Leute ihr Haus verlassen sollten.
Immer wieder sieht man kleine und größere Gruppen in Gummistiefeln mit Schaufeln, Eimern und Schubkarren durch den Ort ziehen. Manche sagen, sie gehen von Haus zu Haus und helfen den Bewohnern, ihren Keller vom Schlamm zu befreien; der Schlamm wird auf die Straße gekippt. Manche bringen den Schlamm auf freie Flächen, wo er in Ruhe trocknen kann. An manchen Stellen liegen Autos herum, wie kurz nach der Flut. Keiner hatte bisher Zeit, sich darum zu kümmern. Bei vielen Autos sind die Reifen abmontiert, vermutlich weil es das Einzige ist, was noch zu gebrauchen ist. An manchen Stellen wurden Autos übereinandergestapelt, um die Straßen freizumachen. Straßenschilder sind umgeknickt wie Strohhalme.
Anwohner Thomas Knieps klagt über den Tod von einigen Menschen in seinem Bekanntenkreis. Aber er hat auch Hoffnung. Alle seien wieder näher zusammengerückt, man sei froh, dass man noch lebe. Er will nach vorne schauen. „Ahrweiler bekommst du nicht kaputt“, sagt das Mitglied im traditionellen Schützenverein. Auf dem Friedhof sei er gewesen, um die Grabsteine wieder aufzurichten. Er geht davon aus, dass wegen der Seuchengefahr alle Toten bald verbrannt werden. Ob es eine Totenfeier gibt, sei ungewiss, das habe jetzt auch keine Priorität, meint er.
Vor der Kirche im Stadtzentrum steht eine Vielzahl von Kartons mit Spenden. Niemand beaufsichtigt das, man kann einfach kommen und sich bedienen. Neben der Stadtmauer bei der kaputten Brücke ist ein Müllumschlagplatz errichtet worden. Vor den Häusern stehen Brauchwasserkanister für die manuelle Toilettenspülung.
Es ist Abend geworden. Viele sitzen matt in ihren Hauseingängen, müde von der getanen Arbeit. Nachbarn sitzen um einen Campingtisch und trinken ein Bier.
Bevor es am Wochenende wieder zu regnen beginnt, wollen sie das meiste abgeschlossen haben, auch das Wegräumen des Mülls.
Wir treffen auf eine Gruppe von 20 Mann einer Mennoniten-Brüdergemeinde aus dem Westerwald. Sie sind beeindruckt von der „Gefasstheit der Betroffenen“ und dem „freundlichen Umgangston“ aller untereinander. „Alle sitzen im gleichen Boot, Corona rutscht in den Hintergrund“, stellen sie fest. Doch etwas stimmt sie nachdenklich. „Nach der Sintflut hat Gott versprochen, dass eine solche Katastrophe nicht mehr vorkommt und als Zeichen der Hoffnung einen Regenbogen geschickt. Aber wofür wird der Regenbogen heute verwendet?“
Dieser Artikel erschien zuerst in der Epoch Times Wochenzeitung, Ausgabe KW29
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