AfD-Abgeordneter Lars Hünich fordert Abschaffung des „Parteienstaats“

Die Äußerungen des brandenburgischen AfD-Landtagsabgeordneten Lars Hünich haben den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen, nachdem er die Abschaffung des „Parteienstaats“ gefordert hat. Inzwischen hat der Abgeordnete selbst zu den Vorwürfen Stellung bezogen.
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Die Äußerungen des brandenburgischen Landtagsabgeordneten Lars Hünich haben Diskussionen ausgelöst.Foto: iStock
Von 5. Februar 2024

Die Äußerungen des brandenburgischen AfD-Landtagsabgeordneten Lars Hünich haben nicht nur zu heftigen Reaktionen geführt, sondern nun auch den Verfassungsschutz auf den Plan gerufen.

Auf einer AfD-Veranstaltung in Falkensee im Havelland hatte Hünich am 18. Januar gesagt: „Wenn wir morgen Regierungsverantwortung haben, dann muss ein Großteil von den Leuten, die hier sind, wieder nach Hause. Wenn wir morgen in einer Regierungsverantwortung sind, dann müssen wir diesen Parteienstaat abschaffen.“ Am 27. Januar hatte das ZDF in einem „Länderspiegel“-Bericht die Aussagen des AfD-Landtagsabgeordneten erstmalig ausgestrahlt.

Harsche Kritik und Unterstützung

Nach der Ausstrahlung kochte die Empörung hoch: „Es gibt in Deutschland keinen ‚Parteienstaat‘, wie behauptet wird, sondern eine pluralistische Demokratie mit freien, gleichen und geheimen Wahlen. Wer einen Ein-Parteien-Staat will, der stellt das Grundgesetz infrage und gefährdet die freiheitlich-demokratische Ordnung“, reagierte Brandenburgs Landtagspräsidentin Ulrike Liedtke (SPD) auf die Äußerungen Hünichs auf Anfrage der „Frankfurter Rundschau“. Sie kündigte weiter ein Gespräch mit den Fraktionen an.

Auch der SPD-Landtagsabgeordnete Andreas Noack widerspricht dem AfD-Politiker in einer Sitzung des Innenausschusses des Landtages. „Sie wollen einen anderen, nicht demokratischen Staat“, sagt Noack. Laut Noack will die AfD andere Parteien „nicht mehr haben“. Ohne diese müsse die AfD nicht mehr mit Widerspruch rechnen.

Auch Brandenburgs Innenminister Michael Stübgen (CDU) äußert sich in der „Frankfurter Rundschau“ auf Anfrage. Mit dem „Kampfbegriff Parteienstaat“ habe man schon einmal die parlamentarische Demokratie abgeschafft. „Das war 1933 und danach folgte eine Diktatur des Schreckens. Um es mit den Worten der AfD-Vorsitzenden zu formulieren: Mit solchen Forderungen zeigt die AfD eins ganz deutlich, diese Partei hasst die Demokratie“, so Stübgen.

Die Landtagsabgeordnete Lena Kotré sprang ihrem Fraktionskollegen zur Seite. Kotré argumentierte, dass Politiker in einem Parteienstaat laut „Wikipedia“ nur bereits Entschiedenes in einem Parlament abstimmen würden, wie die „Bild“ berichtet. Nach Auffassung Kotrés sei Hünich somit „für mehr Demokratie“.

Verstoß gegen das Parteienprivileg

Das möchte der Verfassungsschutz in Brandenburg so allerdings nicht glauben und schaltet sich nun in die Debatte ein. In der Sitzung des Innenausschusses sagte der Chef des Verfassungsschutzes, Jörg Müller: „Wir haben das ZDF-Video schon gesichert. Es ist eingeflossen in die Bewertung zur Einstufung der AfD. Weil wir es als Verstoß gegen die Verfassung bewertet haben, was Herr Hünich da gesagt hat: die Abschaffung des Parteienstaates“, teilte der Verfassungsschutz-Chef nach „Bild“-Informationen mit. Damit verstoße der AfD-Abgeordnete gegen Artikel 21 des Grundgesetzes, dem Parteienprivileg. „Dort steht eben drin, dass die Parteien am politischen Meinungsbildungsprozess des Volkes mitwirken.“ Wenn die Aussage Hüninchs zutreffe, wäre das „ein weiterer Baustein in unserer Sammlung zur Beobachtung der AfD als Verdachtsfall“.

Die AfD in Brandenburg wird im Moment vom Verfassungsschutz als sogenannter Verdachtsfall eingestuft. Bei als Verdachtsfall eingestuften Organisationen darf der Verfassungsschutz auch verdeckt Informationen sammeln, indem die Behörde Personen observiert oder Informanten anwirbt.

Hünich betont Abschaffung des Parteienstaats, nicht der Demokratie

In der vergangenen Woche hatte gerade erst das Magazin „Freilich“ behauptet, dass im AfD-Landesverband Brandenburg 60 Mitarbeiter des Verfassungsschutzes aktiv sind. Das Magazin beruft sich hier auf Informationen aus internen AfD-Kreisen, die „Freilich“ vorliegen sollen. Woher die „internen AfD-Kreise“ diese Informationen bekommen haben, die ein nicht weiter benannter „Landesvorsitzender eines der größten AfD-Landesverbände“ laut Behauptung des Magazins schriftlich bestätigt bekommen haben soll, bleibt im Artikel im Dunkeln.

Lars Hünich äußerte sich inzwischen auch selbst zu den Vorwürfen. In einem Video auf der Plattform X sagte er, seine Aussagen seien aus dem Kontext gerissen, doch er wolle „diesen Parteienstaat“ abschaffen. Der Begriff umschreibe nämlich, dass „Parteien sich die Institutionen, die Behörden, die Ministerien, die Zivilgesellschaft quasi unter sich aufteilen.“ Als Beispiel nennt er dann die Wahl des Präsidenten des Rechnungshofes Brandenburg. „Dieser wird seit diesem Jahr parteiisch gewählt. Da geht es darum, welches Parteibuch er hat“, so Hünich. Der AfD-Abgeordnete bemängelt in diesem Zusammenhang, dass nicht die Qualifikation, sondern in diesem Fall das SPD-Parteibuch entscheidend für die Wahl sei.

Als zweites Beispiel nennt Lars Hünich die Richterernennung von Stephan Harbarth, dem heutigen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts. Harbath saß seit 2009 für die CDU im Bundestag, zum Schluss als stellvertretender Fraktionsvorsitzender. Auf Vorschlag der CDU wurde er dann 2018 zum Richter am Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe gewählt.

2020 folgte Harbath dann auf den in den Ruhestand gegangenen Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts Andreas Voßkuhle, der als SPD-nahe galt und seiner Zeit auf Vorschlag der SPD-Bundestagsfraktion zum Bundesrichter berufen wurde. „Genau das ist das, was den Parteienstaat umschreibt. Das müssen wir abschaffen“, so Hünich. Der AfD-Politiker betonte noch einmal, dass es hier nicht darum gehe, die Demokratie abzuschaffen. „Im Gegenteil, es braucht viel mehr Demokratie“, so Hünich.

Auch gegenüber dem Fernsehsender rbb betonte Hünich noch einmal, er wolle weder Parteien noch Parlamentarismus abschaffen, wie es gerade behauptet werde.

Trennlinie zwischen Parteienstaat und Parteiendemokratie

Tatsächlich ziehen Politikwissenschaftler eine feine Trennlinie, ob jemand von einem Parteienstaat oder einer Parteiendemokratie spricht. So hat sich beispielsweise schon vor Jahren der „Wissenschaftliche Dienst des Deutschen Bundestags“ mit diesen Unterscheidungen beschäftigt. In dem Gutachten wird unter anderem der Politikwissenschaftler Richard Stöss, heute emeritierter Professor an der Freien Universität in Berlin, zitiert:

„Richard Stöss hebt hervor, dass der Begriff ‚Parteienstaat‘ auf eine staatsbezogene und parteizentrierte Willensbildung abhebe, während der Begriff ‚Parteiendemokratie‘ zum Ausdruck bringe, dass die Parteien zwar für den Prozess der politischen Willensbildung unverzichtbar seien, dass dieser aber nicht von ihnen monopolisiert werde und auch nicht allein auf den Staat gerichtet sei.“

Im Kern gehe es bei dieser Frage, laut Stöss, darum, „ob Parteien Mitwirkende bei der politischen Willensbildung seien oder deren Träger“. Unter diesem Aspekt stelle sich dann „in der Tat die Frage, ob die Bundesrepublik ein Parteienstaat oder eine Parteiendemokratie sei und welche Variante unter demokratietheoretischen Gesichtspunkten wünschenswert und verfassungspolitisch zu sanktionieren sei“.



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