Abtreibungsreform: Straffreiheit bis zum sechsten Monat, Nötigungsverbot und Beratungsrecht

Über 106.218 Frauen haben laut Statistischem Bundesamt im vergangenen Jahr einen Schwangerschaftsabbruch vornehmen lassen – und damit mehr als je zuvor in den letzten zehn Jahren. Dieser Trend könnte sich aufgrund einer geplanten Liberalisierung von Abtreibungen fortsetzen. Das Thema wird jedoch kontrovers diskutiert.
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Eine ungeplante Schwangerschaft wirft viele Fragen auf.Foto: Antonio Diaz
Von 19. Oktober 2024

Bereits im Frühjahr hatte eine von der Ampelregierung eingesetzte Kommission empfohlen, das Abtreibungsrecht zu reformieren. Nun liegt ein Gesetzentwurf zur Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs vor. Diesen haben Mitglieder der Kommission im Auftrag einer Gruppe von 26 Verbänden erarbeitet und am 17. Oktober in einer Pressekonferenz vorgestellt.

Bisher ist ein Schwangerschaftsabbruch in Deutschland laut Paragraf 218 des Strafgesetzbuchs verboten. Er bleibt aber bis zur zwölften Schwangerschaftswoche nach einer Pflichtberatung straffrei. Im neuen Gesetzentwurf entfällt das verpflichtende Beratungsgespräch und wird in ein Beratungsrecht abgewandelt.

Die neu geplante Regelung ermöglicht einen Abbruch bis zur 22. Schwangerschaftswoche post conceptionem, welcher rein rechnerisch der 24. Schwangerschaftswoche (post menstruationem) entspricht, also der letzten Woche des sechsten Monats. Zu dieser Zeit ist der Embryo etwa 20 bis 29 Zentimeter groß und etwa 550 Gramm schwer. Selbst Frühchen werden in diesem Stadium bei optimaler Versorgung realistische Überlebenschancen ausgerechnet.

Die neue Vorschrift zum „Schutz der Schwangeren“ soll nach Aussage der Autoren sicherstellen, dass deren freie Entscheidung geschützt ist – unabhängig davon, ob sie sich für oder gegen die Schwangerschaft entscheidet. Eine Abtreibung nach der 24. Schwangerschaftswoche soll weiterhin rechtswidrig sein, es sei denn, es droht „Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung des körperlichen oder seelischen Gesundheitszustandes der Schwangeren“.

Unterstützung durch pro familia und Amnesty International

Unter den Organisationen, die den Entwurf befürworten, befinden sich zahlreiche Verbände, darunter die Bundesverbände von pro familia und AWO, die Frauen schon seit Jahren gezielt zum Thema Schwangerschaft beraten, aber auch andere Organisationen wie die Menschenrechtsorganisation Amnesty International, der Sozialdienst muslimischer Frauen, Evangelische Frauen in Deutschland, die Gewerkschaft ver.di sowie der Landesverband Berlin der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft.

Die Notwendigkeit der Neuregelung wird damit begründet, dass das aktuelle Gesetz vor Schwangerschaftsabbruch zwar eine ergebnisoffene Beratung vorsieht, diese jedoch „ausdrücklich dem Schutz des ungeborenen Lebens“ dienen solle, geleitet von den Bemühungen, „die Frau zur Fortsetzung der Schwangerschaft zu ermutigen“.

Die Zwölf-Wochen-Frist setzte Schwangere unter extremen Zeitdruck, heißt es weiter. Aus verfassungsrechtlicher Perspektive berücksichtige das geltende Recht die Grundrechte Schwangerer nicht hinreichend.

Bundesverband Lebensrecht kritisiert ideologischen Ansatz

Dass solch ein Ansatz ausgerechnet vom Bundesverband pro familia unterstützt wird, wird vom Bundesverband Lebensrecht (BVL) kritisiert. Der Verband organisiert alljährlich den Marsch für das Leben und setzt sich für die Rechte von Ungeborenen ein.

„Dass pro familia in der weiteren Entrechtung vorgeburtlicher Kinder federführend auftritt, ist nichts Neues und weist nur ein weiteres Mal auf die Dringlichkeit hin, diese Organisation – ebenso wie die unterzeichnende AWO – auf ihre Beratungsqualität im Schwangerschaftskonflikt gemäß § 219 Strafgesetzbuch zu überprüfen“, erklärte Alexandra Lindner, BVL-Vorsitzende.

Besonderes Augenmerk solle nach ihrer Ansicht auf Organisationen gelegt werden, die sich „angeblich für Frauen und ihre Rechte einsetzen“, aber in Wirklichkeit die Ideologie verbreiten, „Abtreibung würde Frauen emanzipieren“. Diese „feministische“ Ideologie sehe keinerlei Rechte für „vorgeburtliche Frauen“ vor.

Fraglich sei zudem, inwieweit ein Zugang zu einer „leichten“ Abtreibung – ohne Kontrolle, ohne Beratung, ohne Ursachenforschung – möglicherweise im Zusammenhang mit einer „vielleicht millionenfachen Missbrauchsvertuschung“ stehe. Insoweit verweist Lindner auf einen UNICEF-Bericht, wonach jedes achte Mädchen auf der Welt vor seinem 18. Lebensjahr eine Vergewaltigung oder sexuellen Missbrauch erlitten hat. Weltweit sind es 370 Millionen Betroffene.

Lindner befürchtet, dass bei Umsetzung des neuen Gesetzes die Abtreibungszahlen weiter steigen, während die Hilfs- und Schutzmöglichkeiten für die betroffenen Frauen und Kinder weiter sinken.

Bischofskonferenz fordert Lebensschutz für Ungeborene

Die Deutsche Bischofskonferenz (DBK) verweist darauf, dass auch das Bundesverfassungsgericht betont hat, dass spätestens mit der Nidation von einem menschlichen Leben auszugehen ist. Der Begriff Nidation bezeichnet die Einnistung der aus der befruchteten Eizelle hervorgegangenen Blastozyste in die Gebärmutterschleimhaut, die etwa am fünften oder sechsten Tag nach Befruchtung der Eizelle beginnt.

„Für hochproblematisch und in sich widersprüchlich halten wir, dass gerade die Schutzbedürftigkeit des Ungeborenen und sein völliges Angewiesensein auf die werdende Mutter eine Begründung für eine verminderte staatliche Schutzpflicht gegenüber dem ungeborenen Kind darstellen sollen“, heißt es in einer Stellungnahme der DBK.

Die aktuellen Regelungen zum Schwangerschaftsabbruch seien mit den völkerrechtlichen Anforderungen zum Schutz von Selbstbestimmung und Gesundheit der Frau vereinbar. Die DBK führt es auf die derzeitige Gesetzgebung zurück, dass es in Deutschland prozentual weniger Abtreibungen gibt als in anderen europäischen Ländern. „So waren in Deutschland im Jahr 2022 5,4 Schwangerschaftsabbrüche je 1.000 Frauen, in Frankreich dagegen 14,1 Abtreibungen auf 1.000 Frauen zu verzeichnen“, so die DBK.

Ein abgestuftes Lebensschutzkonzept hingegen eröffne die Gefahr, die Schutzwürdigkeit menschlichen Lebens auch in anderen Lebenssituationen abzustufen und damit aufzuweichen. Statt die Straffreiheit von Abtreibungen voranzutreiben, sollten schwangere Frauen besser unterstützt werden, und zwar auch im Hinblick auf wohnungs- und sozialpolitische Maßnahmen, heißt es von der DBK.

Befürworter sehen „keine Ausrede mehr“

Von den Befürwortern der neuen Abtreibungsregelung heißt es: „Spätestens jetzt hat der Gesetzgeber keine Ausrede mehr, die Reform weiter hinauszuzögern“, so die Präsidentin des Deutschen Juristinnenbundes (DJB), Ursula Matthiessen-Kreuder. Auch von den Grünen und der SPD kamen positive Signale. Doch ob der Gesetzentwurf der Initiative im Bundestag diskutiert werden soll, bleibt zunächst abzuwarten.

„Unsere Fraktion hat das Ziel, noch in dieser Legislaturperiode zu einer Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs zu kommen“, erklärten Grünen-Fraktionsvize Maria Klein-Schmeink und die frauenpolitische Sprecherin Ulle Schauws.

Die familienpolitische Sprecherin der SPD-Fraktion, Leni Breymaier, erklärte, eine Regelung außerhalb des Strafgesetzbuchs sei „der richtige Schritt“, um die Versorgungslage für ungewollt schwangere Frauen zu verbessern.

„Den Schutz des ungeborenen Lebens erreichen wir nicht durch Strafandrohung, sondern durch eine gute Unterstützung von ungewollt schwangeren Frauen und Familien“, ergänzte SPD-Rechtsexpertin Sonja Eichwede.

Die frauenpolitische Sprecherin der Gruppe Die Linke, Gökay Akbulut, erklärte, Schwangerschaftsabbrüche müssten „ein normaler Teil der gesundheitlichen Versorgung werden – ohne Zwangsberatung und Wartepflicht“. Es sei „höchste Zeit“ für eine Reform.

Eine ablehnende Haltung hingegen zeichnete sich im April bei Union, FDP und der AfD ab. Die Vorschläge seien offenkundig unvereinbar mit den Maßstäben, die das Bundesverfassungsgericht für eine Regelung des Schwangerschaftsabbruchs festgelegt habe, kritisierte die Union nach Vorlage der Kommissionsempfehlung. Die Unionsabgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker kritisierte, der Entwurf verabschiede sich von jedem Schutzkonzept für das ungeborene Kind.

„Die von der Regierung freihändig eingesetzte Kommission möchte nun den Weg frei machen für weitergehende Forderungen, die den verbliebenen Schutz des Ungeborenen allerdings völlig aufheben würden und deshalb mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts meines Erachtens nicht vereinbar wären“, so Winkelmeier-Becker auf eine Bürgeranfrage zu der Thematik. Sie hält es für richtig, an der bestehenden Rechtslage festzuhalten.

(Mit Material der Agenturen)



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