Absturz bei Europawahl: Wer wählt Grün in Deutschland?
In einer Analyse zur Europawahl 2019 fragte das Umfrageinstitut Infratest dimap: „Was erklärt den Wahlerfolg der Grünen?“. Die Partei hatte bei der letzten EU-Wahl vor fünf Jahren noch 20,5 Prozent erreicht und im Vergleich zur Wahl davor (2015) beachtliche 9,8 Prozentpunkte zugelegt. Im Jahr 2019 zogen Bündnis 90/Die Grünen mit 21 Abgeordneten ins Europäische Parlament und waren damit die zweitstärkste Delegation aus Deutschland.
Was erklärt die Wahlschlappe der Grünen
Fünf Jahre später, 2024, zählen die Grünen zu den größten Verlierern der gestrigen Europawahl in Deutschland. Die gesunkene Wählergunst spiegelt sich in einem Ergebnis von 11,9 Prozent wider; die Partei hat damit ihr Rekordergebnis von 2019 nahezu halbiert. Die Grünen haben die schwersten Verluste unter den deutschen Parteien verbucht, mit einem Minus von 8,6 Punkten.
Während die Grünen ihren Auftrieb 2019 vorwiegend jungen Wählern zu verdanken hatten – bei den 18- bis 29-Jährigen waren sie 2019 mit 29 Prozent die beliebteste Partei – hat sich innerhalb von fünf Jahren das Blatt gewendet: Gestern kamen die Grünen bei den Jungwählern zwischen 16 und 24 Jahren nur noch auf 11 Prozent und lagen damit in diesem Alterssegment sogar unter ihrem Gesamtergebnis.
Wo die Grünen Federn lassen mussten, punktete vor allem die AfD. Diese lag zusammen mit CDU/CSU laut Infratest dimap mit jeweils 17 Prozent auf Platz eins bei den jungen Wählern (14- bis 24-Jährige).
50.000 Wähler von Grün zu Blau
Die Grünen selbst veröffentlichten gestern auf ihrer Website zu ihrem Wahlergebnis, dass vor allem das Ergebnis der AfD „bestürzend für alle Demokrat*innen“ sei, da die AfD als verlängerter Arm des Kreml „unsere Demokratie offen in Frage“ stelle und […] „den Wohlstand und die Stabilität des Wirtschaftsstandorts Deutschland“ gefährde. Das Ergebnis sei „eine Herausforderung für alle Demokrat*innen‘ […], besonders mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr“.
Laut Analysen zur Wählerwanderung nahm die AfD den Grünen sogar 50.000 Wähler ab. Mehr als zehnmal so viele ehemalige Grünen-Wähler wechselten ins Lager der Nichtwähler – mit 560.000 Stimmen ist das der größte Verlust in absoluten Zahlen. Die Grünen mussten an alle anderen Parteien abgegeben – hinzubekommen haben sie nur Stimmen von der SPD, und zwar 80.000.
Einige Wählergruppen scheinen kaum noch durch die Grünen erreicht worden zu sein: In der Arbeiterschaft, wo die AfD mit 34 Prozent stärkste Partei war, kamen sie auf vier Prozent, bei Menschen mit niedrigem Lebensstandard auf 6 Prozent (Vergleich AfD 33 Prozent) und bei Menschen über 70 Jahren auf 7 Prozent.
Die besten Ergebnisse konnten die Grünen bei Menschen mit hohem Bildungsabschluss und bei Frauen verzeichnen.
Wer die Grünen gewählt hat und warum
Grünen-Wähler haben laut Umfragen von Infratest dimap Gründe für ihre Wahlentscheidung angegeben. Demnach sagten 94 Prozent der Grünen-Wähler, dass die eigene Partei „Werte verteidigt, die mir persönlich wichtig sind“.
88 Prozent der Grünen-Wähler befinden, dass sich die Partei „am stärksten um die Folgen der Politik für kommende Generationen kümmert“ und 71 Prozent sagten, die Grünen setzten sich „als einzige Partei für Klima- und Umweltschutz ein“.
Den größten Einfluss auf ihre Wahlentscheidung hatte bei Grünen-Wählern die Thematik Klima- und Umweltschutz zu 52 Prozent, gefolgt von „Friedenssicherung“ mit 27 Prozent. Das sind 17 Prozentpunkte mehr als bei der letzten Europawahl im Jahr 2019.
Die Wähler der Grünen, die mit Annalena Baerbock die aktuelle Außenministerin stellen, ordnen ihrer eigenen Partei zu 12 Prozent Kompetenzen in Sachen Außenpolitik zu und noch weniger, mit 8 Prozent, „Frieden in Europa her[zu]stellen und [zu] sichern“.
Selbstwahrnehmung versus Fremdeinschätzung
Diese Selbsteinschätzung der eigenen Partei von Grünen-Anhängern stimmt nicht überein mit den Ergebnissen der Fremdeinschätzung der Grünen beziehungsweise den Ansichten über die Grünen.
Besonders groß ist der Gap bei der Aussage, dass die Grünen sich zu wenig um Wirtschaft und Arbeitsplätze kümmern. Grünen-Wähler selbst scheinen mit der Wirtschaftspolitik ihrer Partei recht zufrieden zu sein. Nur 15 Prozent von ihnen finden, dass die Grünen „sich zu wenig um Wirtschaft und Arbeitsplätze“ kümmern. In der Außensicht auf die Partei sind es mit 63 Prozent fast zwei Drittel, die dieser Aussage zustimmen. Das sind noch einmal sechs Prozentpunkte mehr als bei der letzten EU-Wahl von 2019.
Während vor fünf Jahren noch über die Hälfte (56 Prozent) befanden, dass sich die Grünen am stärksten um „die Folgen der Politik für die kommenden Generationen“ kümmerten, ist dieser Wert um fast ein Drittel (minus 18 Prozentpunkte) auf 38 Prozent gefallen.
Kritik aus den eigenen Reihen: „Viel Vertrauen zerstört“
Während auf der Website der Grünen steht: „Wir werden uns nun die Zeit nehmen, die es braucht, um in aller Ruhe zu analysieren“, gibt es unter anderem aus den eigenen Reihen erste Wortmeldungen.
Der grüne Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir hat nach den deutlichen Verlusten seiner Partei bei der Europawahl am Morgen nach dem Wahltag im ZDF mehr Klarheit beim Thema Sicherheit gefordert. „Da werden die Grünen nicht als die Partei wahrgenommen, die gute Antworten hat, die die Sorgen der Menschen genug ernst nimmt“, sagte Özdemir am Montag im ZDF-„Morgenmagazin“.
Dabei forderte Özdemir von seiner Partei auch mehr Klarheit beim Umgang mit Islamismus. Diese müsse gegenüber dem Islamismus genauso „glasklar“ aufgestellt sein, wie bei der Bekämpfung des Rechtsradikalismus. Özdemir betonte: „Wir müssen den Leuten deutlich machen: Wir können Sicherheit. Wir können Zuwanderung steuern.“ Beim Thema Sicherheit hätten die Grünen „Vertrauen eingebüßt“.
Wählerverlust durch Wärmepumpengesetz
Viel Vertrauen beim Wähler zerstört habe das Klimaschutzgesetz, analysiert hingegen die Wirtschaftsweise Veronika Grimm. Damit führt die Wirtschaftswissenschaftlerin das schwache Abschneiden der deutschen Grünen bei der Europawahl auch auf deren Klimaschutzpolitik zurück.
Gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe sagte Grimm: „Die Grünen haben massiv verloren. Das dürfte nicht zuletzt an dem Agieren in der Bundesregierung liegen. Das Heizungsgesetz etwa hat viel Vertrauen beim Wähler zerstört“.
Die Wirtschaftswissenschaftlerin, die ebenso einen Posten im Aufsichtsrat des Dax-Unternehmens Siemens Energy bekleidet, warnte vor falschen Weichenstellungen in Europa: Viele Unternehmen hätten ihre Geschäftsmodelle auf die Klimaschutzziele ausgerichtet. Nun werde es darauf ankommen, so Grimm, „die Wettbewerbsfähigkeit der EU stärker zu fokussieren, ohne durch Kehrtwenden beim Klimaschutz für Verunsicherung zu sorgen“.
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