„Absolutes Chaos“ an hessischen Schulen befürchtet: Genderzeichen gelten in Abschlussprüfung als Fehler

Zwei Jahre galten in den hessischen Schulen unter der schwarz-grünen Landesregierung Sonderzeichen zum Gendern in Abitur- und Abschlussprüfungen nicht als Fehler. Nun folgt die Wende – kurz vor den Prüfungen.
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Jeder zehnte junge Mensch richt sein Studium bereits zu einem sehr frühen Zeitpunkt ab.
Von 24. März 2024

Schüler*innen, Bürger_innen, Student:innen. Derartige Schreibweisen werden zukünftig weder beim Abitur noch in Abschlussprüfungen an Haupt- und Realschulen in Hessen geduldet. Sie werden als Fehler angekreidet. Wer sie anwendet, muss mit einer schlechteren Benotung rechnen. Das teilte das hessische Kultusministerium am 20. März mit, wie die „Frankfurter Rundschau“ berichtete.

Die Entscheidung dazu geht auf den Koalitionsvertrag Hessen zurück, der im Dezember 2023 von den Landesvorsitzenden Boris Rhein (CDU) und Nancy Faeser (SPD) unterzeichnet wurde. Dort heißt es:

„Wir werden festschreiben, dass in der öffentlichen Verwaltung sowie weiteren staatlichen und öffentlich-rechtlichen Institutionen (wie Schulen, Universitäten, Rundfunk) auf das Gendern mit Sonderzeichen verzichtet wird und eine Orientierung am Rat für deutsche Rechtschreibung erfolgt. Auf die Verwendung der sog. Gendersprache werden wir daher zukünftig landesweit verzichten.“

Nach Aussage des Regierungssprechers Tobias Rösmann seien bei Schreibweisen mit Sonderzeichen die Texte schlechter lesbar und im Hinblick auf Spracherwerb und Barrierefreiheit „problematisch“. Die Vorschläge des Rats für deutsche Sprache solle „zum alleinigen Maßstab“ gemacht werden.

Das Kultusministerium verwies auf die auslaufenden Corona-Sonderregeln, die in den vergangenen zwei Jahren für Prüfungen galt. In dieser Zeit waren Genderzeichen gestattet, „weil in der belastenden Corona-Zeit mit zeitweisen Schulausfällen nicht alle Schülerinnen und Schüler wissen konnten, wie die Positionierung des Rats für deutsche Rechtschreibung aussah“, erklärte ein Sprecher laut „Hessenschau“.

„Und insofern orientieren wir uns daran, was vor Corona auch gegolten hat, nämlich an dem, was der Rat für deutsche Rechtschreibung empfiehlt“, so Kultusminister Armin Schwarz (CDU). Sprache solle keine Irritationen schaffen.

Im Bereich der Hochschulen lege die Regierung Wert darauf, „dass niemand schlechtere Noten erhält, weil er keinen Genderstern verwendet“. Insoweit arbeite die Koalition an einer „rechtssicheren Regelung zum Gendern“.

Schüler irritiert

In der Vergangenheit konnten die Schüler selbst wählen, ob sie von der Gendersprache Gebrauch machen, berichtete die „Hessenschau“ weiter.

Für das neue Verbot so kurz vor den Prüfungen haben die Schüler kein Verständnis. „Ich finde es wichtig, alle Geschlechter in der Sprache zu integrieren“, erklärte ein Schüler gegenüber dem Sender. Er sprach sich klar gegen ein Verbot aus. „Man soll es nicht machen müssen, aber ich finde es falsch, dass es eben angestrichen wird.“

Ähnlich sieht es der Landesschülersprecher Gaston Liepach. Allein aus organisatorischer Sicht sei die Regelung ein „absolutes Chaos“. Er sieht darin einen Eingriff in die Entwicklung und Freiheit der Schüler.

GEW vermisst Rechtsgrundlage

Kritik gibt es aus den Reihen der Lehrer. Thilo Hartmann, Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wirtschaft (GEW) Hessen, stellte in einer Pressemitteilung vom 21. März klar: „Das hessische Schulrecht kennt bislang kein Gender-Verbot. Ein solches steht in keiner einzigen der einschlägigen Verordnungen. Faire Abschlussprüfungen prüfen anhand der Standards, die zuvor gegolten haben.“

Gleichzeitig wies er auf Umsetzungsprobleme hin: „Wie sollen Lehrkräfte jetzt noch ihren Schüler:innen die neuen Regelungen vermitteln?“

Zudem sei bislang keineswegs eindeutig geklärt, welche möglichen Schreibweisen als zulässig gelten sollen und welche nicht. Die GEW befürchtet Rechtsunsicherheit, weil die Bewertung der Abschlussprüfungen anfechtbar wird.

Hartmann wirft dem Kultusminister vor, sich hinter den Empfehlungen des Rechtschreibrats zu verstecken. „Wir lehnen eine Sprachregelung von oben ab. Wenn er trotz aller Kritik an diesem Vorhaben festhalten will, dann sollte er das zumindest handwerklich sauber machen“, fordert er.

Gendern in Bayern zählt nicht als Fehler

Mit seiner Regelung geht Hessen noch einen Schritt weiter als Bayern. Dort ist ab 1. April die mehrgeschlechtliche Schreibweise durch Wortbinnenzeichen wie Gender-Gap, Genderstern, Doppelpunkt oder Mediopunkt für Lehrer verboten.

Diese Regelung gilt im gesamten dienstlichen Schriftverkehr, also nicht nur für den Unterricht, sondern auch für Schreiben an Eltern und die komplette interne Kommunikation.

Falls Schüler trotzdem die Gendersprache verwenden, wird dies jedoch nicht als Fehler angestrichen und wirkt sich nicht auf die Noten aus– anders als in Hessen.

Sachsen unterstreicht „Vorbildwirkung“

Aber nicht nur in Hessen, sondern auch in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Schleswig-Holstein setzt man auf die Empfehlung des Rechtschreibrats.

In Sachsen hat das Kultusministerium bereits im Jahr 2021 einen Erlass verabschiedet, wonach Genderzeichen im Diktat als falsch angestrichen werden. „Selbstverständlich hält sich auch die Kultusverwaltung an die einheitliche Rechtschreibung – nicht zuletzt auch aus Gründen der Vorbildwirkung“, hieß es vom Ministerium.

Am 25. August 2021 verschickte das sächsische Kultusministerium ein Schreiben an alle Schulen in öffentlicher und freier Trägerschaft. Darin wird darauf verwiesen, dass der Rat für deutsche Rechtschreibung im Jahr 2018 Kriterien für geschlechtergerechte Texte formuliert habe.

„Sie sollen sachlich korrekt, verständlich, lesbar, vorlesbar und übertragbar in andere Amts- und Minderheitensprachen sein, Rechtssicherheit gewährleisten und die Konzentration auf wesentliche Sachverhalte sicherstellen“, stellt das Ministerium mit Verweis auf die Empfehlung klar.

„Darüber hinaus muss sichergestellt werden, dass die Vermittlung und Lernbarkeit der Rechtschreibung der deutschen Sprache in Schule und Erwachsenenbildung im deutsch- und nicht-deutschsprachigen Raum nicht erschwert oder beeinträchtigt werden.“ Die Gendersonderzeichen würden diese Kriterien nicht erfüllen.

Schleswig-Holstein und Sachsen-Anhalt

Ein ähnliches Schreiben ging am 9. September 2021 an die Schulleiter in Schleswig-Holstein. Unter Bezug auf einen Erlass vom 18. April 2006 des damaligen Ministeriums für Bildung und Frauen wurde darauf verwiesen, dass der Rechtschreibrat „die maßgebende Instanz in Fragen der deutschen Rechtschreibung“ sei.

Wie bei anderen Rechtsschreibverstößen sollen daher auch Genderschreibweisen beim ersten Auftreten als Fehler markiert und anschließend als Folgefehler gekennzeichnet werden.

Auch in Sachsen-Anhalt wird seit Schuljahresbeginn 2023/24 das Gendern in schriftlichen Arbeiten als Fehler gewertet.

Rechtschreibrat bekräftigt Haltung

In einer Sitzung vom 15. Dezember 2023 bekräftigte der Rechtschreibrat seine Auffassung. „Die Schule ist der Ort der Vermittlung der orthografischen Normen. Die geschriebene deutsche Sprache ist von Schülerinnen und Schülern erst noch zu lernen, was nicht ohne Schwierigkeiten ist, wie nationale und internationale Bildungsstudien regelmäßig belegen“, so der Rat.

Gleichzeitig heißt es jedoch: „Der Rat für deutsche Rechtschreibung wird die weitere Schreibentwicklung beobachten, denn geschlechtergerechte Schreibung ist aufgrund des gesellschaftlichen Wandels und der Schreibentwicklung noch im Fluss.“



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