Migrationsdebatte in Deutschland: Schwenkt die CDU auf den AfD-Kurs um?

Mit ihrem neuen Grundsatzprogramm will die CDU sich auch aus der Ära Merkel lösen. Beim Thema Migration offenbart es erstaunliche Parallelen zu den Positionen der AfD.
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Migranten in der Türkei, die nach Europa wollen. Archivbild.Foto: Burak Kara/Getty Images
Von 15. Dezember 2023

Die anhaltende Massenmigration gehört seit Jahren zu den meistdiskutierten Problemen in Deutschland. Ein Name steht wie kein zweiter für eine Politik der offenen Grenzen: Angela Merkel. Die christdemokratische Bundeskanzlerin entschied 2015, den Zustrom einreisewilliger Menschen hauptsächlich aus dem Nahen Osten und Afrika ungebremst weiterlaufen zu lassen.

Seitdem haben nach Angaben des Bundesamts für Statistik mehr als 2,44 Millionen Menschen einen Erstantrag auf Asyl gestellt. Zudem kamen seit Februar 2022 über 1,12 Millionen Ukrainer nach Deutschland. Sie brauchen keinen Asylantrag zu stellen, um in den Genuss staatlicher Hilfsleistungen zu kommen. Im beinahe gleichen Zeitraum – nämlich von 2015 bis Juni 2023 – stehen dem insgesamt knapp 160.000 Abschiebungen gegenüber, rund 18.000 pro Jahr.

Unterm Strich sind oder waren also rund 3,4 Millionen Menschen mehr zumindest vorübergehend mit Wohnraum, Kleidung, Verpflegung, Gesundheitsfürsorge und Geld auszustatten.

Migrationskosten 2023: 50 Milliarden

Erst am 13. Dezember 2023 erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz, dass er allein für den Unterhalt der ukrainischen Gäste sechs Milliarden Euro im Haushalt 2024 bereitstellen werde. Schon das aktuelle Jahr wird am 31. Dezember migrationspolitische Kosten von knapp 50 Milliarden Euro verursacht haben.

Kein Wunder, dass solche Zahlen den Unmut der Opposition provozieren. Während die Alternative für Deutschland (AfD) der Masseneinwanderung aber seit jeher ablehnend gegenübersteht, denkt die Union erst seit dem Ende der Ära Merkel über eine Kurskorrektur nach. Unter Parteichef Friedrich Merz könnte der Bruch mit der Merkel’schen Migrationspolitik gelingen – jedenfalls, wenn man die einschlägigen Passagen aus dem neuen, noch unveröffentlichten CDU-Grundsatzprogramm zum Maßstab nimmt. Dort nämlich heißt es:

Wir wollen einen Stopp der unkontrollierten Migration und eine Begrenzung der humanitären Migration auf ein Maß, das die Integrationsfähigkeit Deutschlands nicht überfordert und zugleich unserer humanitären Verantwortung gerecht wird.“

Ganz ähnlich klingt eine Passage im AfD-Grundsatzprogramm:

Wir befürworten eine maßvolle legale Einwanderung aus Drittstaaten nach qualitativen Kriterien. Im Vordergrund stehen dabei die Interessen Deutschlands als Sozialstaat, Wirtschafts- und Kulturnation.“

Apropos „Drittstaaten“: Die sollen laut Grundsatzprogramm auch bei der CDU künftig eine ganz ähnliche Rolle spielen wie von der AfD vorgeschlagen. Während die AfD seit Jahren „Schutz- und Asylzentren in sicheren Staaten der Herkunftsregion von Flüchtlingsbewegungen“ fordert, verlangt die CDU erst seit Kurzem, dass „jeder, der in Europa Asyl beantragt, […] in einen sicheren Drittstaat überführt werden und dort ein Verfahren durchlaufen“ soll.

Auch nach Überzeugung der CDU sollte der Flüchtling dann nicht mehr nach Deutschland einreisen dürfen, denn es heißt weiter: „Im Falle eines positiven Ausgangs [des Asylverfahrens] wird der sichere Drittstaat dem Antragsteller vor Ort Schutz gewähren.“

CDU will „grundlegenden Wandel des europäischen Asylrechts“

Sowohl AfD als auch CDU bedauern in ihren Programmen, dass in der EU nicht mehr zwischen Flucht und Migration differenziert wird.

Die AfD erwähnt in diesem Zusammenhang „politisch Verfolgte und Kriegsflüchtlinge einerseits und irreguläre Migranten andererseits“. Bei der CDU ist von „Schutzbedürftigen und Nicht-Schutzbedürftigen“ die Rede, wobei Letztere unter dem „Vorwand der Asylsuche illegal“ einwanderten. Deshalb bedürfe es eines „grundlegenden Wandel[s] des europäischen Asylrechts“. Die AfD drückt ihren Ansatz dazu mit den Worten aus: „Das Asylrecht darf nicht länger als ein Vehikel der Masseneinwanderung missbraucht werden.“

Gegen die Zuwanderung in Sozialsysteme

Gleichwohl wäre die CDU grundsätzlich bereit, „nach der erfolgreichen Einrichtung des Drittstaatenkonzeptes“ auch ein „humanitäres Kontingent“ an „Schutzbedürftigen“ aufzunehmen, die die Voraussetzungen für das Asylrecht gemäß 16a (1) und (2) GG erfüllen. Innerhalb der EU wolle man sich für eine freiwillige „Koalition der Willigen“ einsetzen, die das auch so handhaben wolle.

Das „entscheidende Kriterium für die gesteuerte Zuwanderung von Fachkräften“ müsse jedenfalls deren „berufliche Qualifikation“ sein. „Damit verhindern wir die Zuwanderung in die Sozialsysteme“, heißt es im CDU-Programm – ein Wunsch, der sich genauso im AfD-Programm wiederfindet.

Während die AfD dort auf die Darlegung der internationalen rechtlichen Grundlagen für ihren Ansatz verzichtet, kommt die CDU ausdrücklich darauf zu sprechen: Sowohl die „Genfer Flüchtlingskonvention“ als auch die „Europäische Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten“ beinhalteten nicht das Recht, „sich das Land des Schutzes frei auszusuchen“. Sie begründeten auch keinen „Schutzanspruch aufgrund einer wirtschaftlichen Schwäche des Herkunftslandes“.

Beide für schärfere Grenzkontrollen

Und es geht weiter mit den Gemeinsamkeiten: Beide, AfD wie CDU, setzen sich für einen besseren Schutz der EU-Außengrenzen ein: „Wir in Europa müssen jederzeit wissen und Kontrolle darüber haben, wer warum über unsere Grenzen zu uns kommen will, wer sich bei uns aufhält und wer uns wieder verlässt“, heißt es ausführlich bei der CDU. „Vollständige Schließung der EU-Außengrenzen“, lautet es etwas knapper bei der AfD.

Bis der EU-Außengrenzschutz funktioniert, will auch die CDU „Grenzkontrollen an den Binnengrenzen“ ermöglichen. Die AfD würde ebenfalls auf „strenge Personenkontrollen an allen deutschen Grenzen“ setzen – allerdings ohne Ablaufdatum.

Integration als „Bringschuld“

Auch für den Fall, dass Menschen legal nach Deutschland einwandern, vertreten AfD wie CDU ein ähnliches Integrationskonzept. Die AfD betrachtet die Integration als „Bringschuld“: „Wer sich der Integration verweigert, muss sanktioniert werden und letztendlich auch sein Aufenthaltsrecht verlieren können.“ Die CDU spricht ebenfalls von einer „klare[n] Erwartung“ gegenüber „zugewanderten Menschen“. Diese müssten „sich einbringen, unsere Werte und unsere Gesetze achten“. Eine Erfolgskontrolle zur Integration solle über „verpflichtende individuelle Integrationsvereinbarungen“ erfolgen.

Überhaupt scheint die CDU den Zuwanderungswilligen deutlich mehr Anstrengungen als bisher auferlegen zu wollen. Im Grundsatzprogramm ist von einem neuen „Mut zur Leitkultur“ und von einer obligatorischen Bereitschaft zum „Anpassen“ die Rede: „Alle, die hier leben wollen, müssen unsere Leitkultur ohne Wenn und Aber anerkennen.“ Dazu gehöre auch die Anerkennung des Existenzrechts Israels.

Ähnlich deutlich wird die CDU beim Thema Spracherwerb: „Wir erwarten, dass jeder, der dauerhaft bei uns lebt oder leben will, die deutsche Sprache spricht. […] Daher setzen wir auf verpflichtende Sprachkurse.“ Die staatlichen Programme dafür sollen schon bei vierjährigen Kindern beginnen, indem diese zunächst „einen einheitlichen und verpflichtenden Sprachtest durchlaufen“ sollen. „Kinder mit Förderbedarf“ sollen zudem „zur Teilnahme an einem vorschulischen Programm in einer Kindertagesstätte, einem Kindergarten oder einer Vorschule verpflichtet werden“.

Nein zur doppelten Staatsbürgerschaft

Was den Erwerb der deutschen Staatsbürgerschaft angeht, vertreten AfD und CDU abermals ähnliche Ansätze. Die AfD lehnt die doppelte Staatsbürgerschaft grundsätzlich ab, will Ausnahmen nur in „wohlbegründete[n] Sonderfälle[n]“ zulassen. Der CDU-Standpunkt:

Wir erwarten ein ausdrückliches Bekenntnis zu unseren Werten, Grundsätzen und Regeln. Eine über Generationen hinweg vererbte doppelte Staatsbürgerschaft lehnen wir ab und sprechen uns für einen Generationenschnitt aus, der spätestens bei der Enkelgeneration ansetzt.“

AfD: Abschiebungen durchsetzen!

Die Frage nach Geld oder Sachleistungen für Asylanten kommt im CDU-Programm ebenso wenig vor wie die Worte „Abschiebung“ oder „Ausreisepflicht“. Im deutlich kürzer gefassten AfD-Programm aber tauchen sie alle auf. So fordert die AfD ein „Minimum an Sachleistungen für vollziehbar ausreisepflichtige Ausländer“ und eine „Durchsetzung der Ausreisepflicht“. Um eine „freiwillige Ausreise zu fördern“, wäre die AfD nach eigenem Bekunden auch bereit, eine „einmalige Starthilfe“ zu gewähren.

Alice Weidel, die Co-Bundessprecherin der AfD, scheint dem Grundsatzprogramm der CDU mit seiner Abkehr vom „Wir schaffen das“-Slogan beim Thema Migration nicht über den Weg zu trauen. Auf ihrem X-Kanal stellte sie infrage, ob der Parteichef wirklich hinter dem neuen Kurs steht:

Während die #CDU in Berlin einen Winterabschiebestopp verhängt, in Sachsen und Baden-Württembürg [sic] Seniorenresidenzen zu Asylunterkünften umbaut und auch sonst keinerlei Umkehr ihrer fatalen Migrationspolitik erkennen lässt, tut #Merz so, als sei jetzt alles anders – und übernimmt #AfD-Positionen, ohne sie auch nur ansatzweise wirklich umzusetzen.“

CDU-Grundsatzprogramm

Das neue, gut 70 Seiten starke Grundsatzprogramm der CDU wurde am 11. Dezember sowohl dem Parteipräsidium als auch dem Vorstand präsentiert. Generalsekretär Carsten Linnemann, der auch die Leitung der Programmkommission übernommen hatte, erklärte nach Informationen des „Handelsblatts“, die Partei habe ihr „Wertefundament erneuert und bekräftigt“. Die „CDU Deutschlands“ sei nun „wieder regierungsfähig“.

Nun soll der Entwurf zunächst auf Kreisverbandsebene mit den Parteimitgliedern diskutiert werden, bevor der Bundesvorstand zu abschließenden Beratungen während der Vorstandsklausur am 12. und 13. Januar 2024 in Heidelberg einlädt. Offiziell verabschiedet werden soll das Grundsatzprogramm auf dem 36. CDU-Bundesparteitag vom 6. bis 8. Mai 2024 in Berlin.



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