566 Enteignungsverfahren, um Straßen bauen zu können

Laut Grundgesetz muss für eine Enteignung dem Wohl der Allgemeinheit gedient sein. Eigentümer können Grundstücke, Häuser oder Wohnungen für den Bau von Straßen, den Abbau von Kohle oder den Hochwasserschutz verlieren.
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Seit 2020 wurden in Deutschland zahlreiche Enteignungsverfahren für den Straßenbau eingeleitet, besonders in Sachsen-Anhalt und Sachsen. Symbolbild.Foto: Maksim Safaniuk/iStock
Von 3. Juli 2024

Um Autobahnen, Bundes- und Umgehungsstraßen in Deutschland bauen zu können, hat der Staat seit 2020 insgesamt 566 Enteignungsverfahren vorwiegend gegen Landwirte und Waldbesitzer eingeleitet. Das berichtet die „Bild“ (Montagsausgabe) unter Berufung auf die Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Linken im Bundestag.

Linken-Politikerin Lay: Für Straßenbau wird fröhlich enteignet

Demnach gibt es die meisten Verfahren in Sachsen-Anhalt. Seit 2020 wurden dort 122 Verfahren eingeleitet. Dahinter folgen Sachsen mit 111 Verfahren und Brandenburg mit 79 Verfahren. In Hamburg gab es dagegen in dem Zeitraum kein einziges Verfahren, in Bremen eins, im Saarland vier. Die Zahlen für alle übrigen Bundesländer:

  • Nordrhein-Westfalen: 32
  • Schleswig-Holstein: 27
  • Thüringen: 26
  • Hessen: 21
  • Berlin: 19
  • Mecklenburg-Vorpommern: 15
  • Rheinland-Pfalz: 7

Die Linken-Bundestagsabgeordnete Carla Lay sagte der Zeitung: „Wenn es um Straßenbau geht, wird in Deutschland fröhlich enteignet. Insbesondere in Sachsen-Anhalt und Sachsen, wo die CDU seit vielen Jahren die Ministerpräsidenten stellt.“

Gedeckt sind Enteignungen für den genannten Zweck durch § 19 des Bundesfernstraßengesetzes (FStrG). Dort heißt es in Absatz 1: „Die Träger der Straßenbaulast der Bundesfernstraßen haben zur Erfüllung ihrer Aufgaben das Enteignungsrecht. Die Enteignung ist zulässig, soweit sie zur Unterhaltung oder Ausführung eines nach § 17 Absatz 1 festgestellten oder genehmigten Bauvorhabens notwendig ist. Einer weiteren Feststellung der Zulässigkeit der Enteignung bedarf es nicht.“ Auch muss die Enteignung dem „Wohle der Allgemeinheit dienen“, nur dann ist sie zulässig. Das regelt § 14 des Grundgesetzes.

Enteignung für Hochwasserschutz schlägt hohe Wellen

Bayern gehört zu den Bundesländern, die von Enteignungen im Zeitraum von 2020 bis 2023 nicht betroffen waren. Doch kochte das Thema in den vergangenen Wochen dort medienträchtig hoch, weil Freistaat-Umweltminister Thomas Glauber (Freie Wähler) im Landkreis Augsburg damit gedroht hatte.

Wie die „Augsburger Allgemeine“ berichtete, wird in den Gemeinden Zusmarshausen, Dinkelscherben und Altenmünster seit 25 Jahren über Hochwasserschutz diskutiert. In Siefenwang, einem Ortsteil von Dinkelscherben, ist seit mehr als einer Dekade ein Rückhaltebecken geplant, damit der Donauzufluss nicht über die Ufer tritt.

Nach einem Hochwasser Anfang Juni und einem „Brandbrief“ der drei Bürgermeister kündigte Glauber nun die Enteignung von Landwirten an. Es sei „das härteste Schwert“, sagt der FW-Politiker. Doch sei man bei Verhandlungen zu keiner Einigung gekommen. Die Bauarbeiten für das Rückhaltebecken sollen Anfang 2025 beginnen.

Einen gültigen Planfeststellungsbeschluss für das Rückhaltebecken gibt es laut „Bayerischem Rundfunk“ (BR) bereits seit rund zehn Jahren. Der Abschluss scheiterte bisher am Geld, die Verhandlungspartner hatten unterschiedliche finanzielle Vorstellungen. Nach dem Hochwasser war Glauber in die Kritik geraten, indessen drückt er aufs Tempo: „Ich kann einen Hochwasserschutz nur dann realisieren, wenn ich ein Grundstück besitze und diese Grundstücke brauchen wir“, begründete er die Enteignungspläne. Laut BR hat das Wasserwirtschaftsamt Donauwörth ein Enteignungsverfahren sowie eine vorzeitige Besitzeinweisung bereits im Dezember 2023 beantragt.

Renaturierungsgesetz ermöglicht ebenfalls Enteignungen

Ungemach droht Landwirten aber auch durch das erst kürzlich verabschiedete Renaturierungsgesetz. Das sieht nämlich ebenfalls Enteignungen vor. Ziel des Gesetzes ist es, bis 2030 mindestens 20 Prozent der Land- und Meeresflächen der EU zu renaturieren. Unter anderem sollen dabei Moore und Flüsse in ihren Naturzustand zurückversetzt werden, zudem sollen mehr Bäume gepflanzt werden, berichtete Epoch Times.

Während Umweltschützer, zahlreiche Wissenschaftler und Unternehmen das Gesetz befürworteten, gab es großen Widerstand vor allem von Christdemokraten und Bauernverbänden. Die Kritiker befürchten zu große Einschnitte für Landwirte und damit Auswirkungen auf die Lebensmittelproduktion in der EU. Um auf diese Bedenken einzugehen, war das Gesetz im Verhandlungsprozess deutlich abgeschwächt worden.

Doch auch die Light-Fassung des Gesetzes bietet nach Ansicht von „agrarheute“ noch ausreichend Zündstoff. Wenn die Ziele des Naturschutzes nicht zu erreichen seien, drohten Enteignungen. So gebe das Recht dem Staat die Möglichkeit, private Besitzer von Grundstücken zur Duldung von Moorrenaturierung (Wiedernässungsmaßnahmen) zu verpflichten. Entschädigungszahlungen seien ebenso möglich wie verbindliche Regelungen. Neben dem Straßen- und Bahnlinienausbau war das bislang auch noch für den Abbau von Braunkohle möglich.

Über 100.000 Menschen für Gewinn des schwarzen Goldes umgesiedelt

Beim Stichwort Braunkohle fällt einem fast zwangsläufig Garzweiler ein. Die Bewohner der früheren Ortschaft wurden etwa ab Mitte der 1980er-Jahre umgesiedelt, damit der Energiekonzern RWE dort das schwarze Gold abbauen kann. Allein für das Abbaugebiet wurden 13 Dörfer geopfert und rund 7.800 Menschen umgesiedelt, berichtete die „Süddeutsche Zeitung“ im Dezember 2013. Der „Spiegel“ schrieb im April 2019 von etwa 379 Gemeinden, die dem Braunkohlebergbau geopfert wurden. 125.000 Menschen wurden bis dato umgesiedelt. Möglich sei das nur mithilfe von Enteignungen gewesen.

45 Millionen Tonnen Kohle jährlich will RWE bis 2045 fördern, hieß es Ende 2013 noch. Mittlerweile ist der Kohleausstieg für 2030 beschlossene Sache, doch der Energieriese breitet sich weiter aus, sodass trotz eines derzeit absehbaren Endes des Ausbaus immer noch Enteignungen möglich sind. So berichtete der „Westdeutsche Rundfunk“ (WDR) im Oktober 2023 von einem Gutachten, das die Möglichkeiten der Enteignung untersuchte. Fazit: Besitzer von Grundstücken können auch künftig enteignet werden, auch wenn die rechtlichen Hürden höher sind. Grundlage für das Gutachten war laut WDR die Weigerung von Eigentümern, ihre Areale an RWE abzutreten.

Nur leer stehende Häuser und Wohnungen für Flüchtlinge

Das Wohl der Allgemeinheit, das den Eigentumsschutz einschränkt, so wie es im bereits erwähnten Artikel 14 des Grundgesetzes formuliert ist, bemüht der Staat auch, wenn es um die Unterbringung von Flüchtlingen geht. So berichtete die „Frankfurter Allgemeine Zeitung“ (Bezahlschranke) im Oktober 2015, dass viele Länder und Kommunen auf private Wohnungen zugegriffen haben, weil sie mit Blick auf den nahenden Winter nicht wussten, wie sie eine Million Flüchtlinge unterbringen sollten. Eine Enteignung gegen Entschädigung ist somit möglich.

Hamburg verabschiedete im September 2015 das Gesetz zur Sicherung der Flüchtlingsunterbringung. Es ermöglichte Behörden, ungenutzte Immobilien und Grundstücke für die Unterbringung von Flüchtlingen zu übernehmen. Laut „Abgeordnetenwatch“ stimmten SPD, Grüne und Linke für das bis 31. März 2017 befristete Gesetz. CDU, FDP und AfD votierten dagegen.

Aktuell ist es so, dass Flüchtlinge nur in leer stehenden Wohnungen oder Häusern untergebracht werden können. Laut „juraforum“ sind Kündigungen bestehender Mietverträge nicht möglich, weil das gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt.



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