35 Jahre nach Blutbad: Gedenken an Tiananmen-Massaker in Berlin

Vor 35 Jahren ließ die Kommunistische Partei Chinas die landesweiten Studentenproteste am „Platz des Himmlischen Friedens“ in Peking brutal beenden. Es wurde von Tausenden Opfern berichtet. Jedes Jahr am 4. Juni erinnern Mahnwachen weltweit an einen der blutigsten Tage in der jüngeren chinesischen Geschichte, so auch in Berlin.
Titelbild
8964 – das Datum des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 1989 bei einer Mahnwache in Berlin.Foto: Erik Rusch/Epoch Times
Von 5. Juni 2024

Im Gedenken an das Tiananmen-Massaker in Peking versammeln sich am 4. Juni zahlreiche Menschen in Berlin. Gemeinsam mit Hongkongern, Festlandchinesen, Taiwanern und Tibetern erinnern westliche Demonstranten an eines der blutigsten Verbrechen einer Regierung am eigenen Volk in der jüngsten Geschichte.

Am 4. Juni 1989 ließ die Kommunistische Partei Chinas (KPC) die tagelangen Studentenproteste am Platz des Himmlischen Friedens mit brutalster Gewalt niederschlagen. Das Regime ließ Soldaten mit Panzern und scharfer Munition gegen die überwiegend jungen und unbewaffneten Leute vorgehen. Die Demonstranten gingen für Reformen und Meinungsfreiheit auf die Straße. Es wird davon ausgegangen, dass es einige tausend Todesopfer gab.

Studentenprotest am Platz des Himmlischen Friedens in Peking. 4. Juni 1989. Foto: Catherine Henriette/AFP/Getty Images

Weltweit wird am 4. Juni an das Massaker in der chinesischen Hauptstadt erinnert, so auch in Berlin.

Nahe der Weltzeituhr auf dem belebten Alexanderplatz in Berlin kommt die überschaubare Menge zusammen. Passanten bleiben stehen, sehen sich das große Transparent, die Bilder und die vielen Kerzenlichter auf dem Boden an, die das markante Datum abbilden.

Die Bilder von angeschossenen Menschen, oftmals Studenten, die auf Karren und Anhängern, in Krakenhäuser gebracht wurden, die unübersehbaren Blutlachen auf dem Asphalt, die von Panzern überrollten Leichen und Berge von demolierten Fahrrädern gingen um die Welt. Auch ist ein Foto von dem „Tank-Man“ zu sehen, der sich unerschrocken vor eine Panzerkolonne stellte und diese tatsächlich zum Stehen brachte.

Das Tiananmen-Massaker forderte Tausende Tote. 4. Juni 1989 auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking, China. Foto: Manuel Ceneta/AFP/Getty Images

Ein in Potsdam lebender Chinese, der anonym bleiben will, nimmt an der Mahnwache teil. Der Wissenschaftler berichtet Epoch Times, dass er als 16-Jähriger in Xi’an an den Protesten 1989 teilnahm. Er kam 2006 zum Studieren nach Deutschland.

Für den heute 50-Jährigen markiert der 35. Jahrestag des Massakers auf dem „Platz des Himmlischen Friedens“ das tragische Scheitern der chinesischen Demokratiebewegung. „Es war episch, aber auch sehr tragisch.“ Die Chinesen hätten das Massaker „vergessen“. Die Menschen in China würden gezwungen, die damaligen Ereignisse in Peking zu vergessen, oder sie würden es bereitwillig vergessen. Und Menschen, die es erlebt hätten, würden es freiwillig vergessen, so der Mann.

„Aber ich denke, jetzt hat vor allem die jüngere Generation an den Universitäten erkannt, wie wichtig und bedeutsam dieser Moment war, und dass das Massaker 1989 die ‚Weißes-Papier-Bewegung‘ im Dezember 2022 inspirierte.“

Ihm und den anderen Demonstranten in Berlin geht es darum, sich zu erinnern, was damals geschehen ist. Aber auch darum, auf die aktuelle Situation in China in Bezug auf Demokratie und Freiheit aufmerksam zu machen. Am Beispiel Hongkong machte er deutlich, dass sich die Lage weiter verschlechtert hat. „Daher ist es wichtig, solche Mahnwachen durchzuführen“, so der Chinese.

Die Weißes-Papier-Bewegung entstand am 24. November 2022, nachdem bei einem Wohnungsbrand in der Stadt Ürümqi im Nordwesten Chinas mindestens 10 Menschen gestorben waren. Berichten zufolge konnten sie aufgrund der strengen COVID-19-Maßnahmen nicht fliehen.

Dies löste einen Sturm der Entrüstung und Emotionen in ganz China aus. Landesweit gingen so viele Menschen auf die Straße wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Dabei hielten viele leere weiße Blätter hoch, um die systematische Zensur durch die chinesische Regierung zu symbolisieren.

„Mir bedeutet der 35. Jahrestag des Tiananmen-Massakers sehr viel“

Gisela Weiler aus Berlin ist eine der Teilnehmerinnen der Mahnwache am 4. Juni auf dem Alexanderplatz. Wie sie sagt, bedeute ihr die Veranstaltung zum 35. Jahrestag des Tiananmen-Massakers sehr viel.

In Deutschland könne man öffentlich Dinge ansprechen, die man in China nicht sagen dürfe, betont Weiler. Es werde noch immer zu wenig auf China geschaut. Doch „endlich“ gebe es Kritik an der chinesischen Führung. Die 59-Jährige engagiert sich auch für ein freies Tibet.

Das Regime in Peking unterdrücke die gesamte chinesische, tibetische und uigurische Bevölkerung in China, führt die Aktivistin weiter aus. Ihr sei es wichtig, darauf hinzuweisen, dass immer noch viele Menschen in chinesischen Gefängnissen säßen, die dort nicht hingehörten. „Es gibt gerade in China so viele junge Menschen, die ihre Meinung nicht sagen dürfen, die unterdrückt werden durch Propaganda und Gehirnwäsche.“

Deshalb sei es wichtig, jährlich an das Tiananmen-Massaker 1989 zu erinnern. Mit Blick auf die Versuche der KPC, ihren territorialen Einfluss in Indien, Hongkong und Taiwan auszuweiten, kritisiert sie: Der Westen „hält still“, weil die westlichen Menschen „zu Konsumenten“ geworden seien. „Davon sind auch die Deutschen betroffen“, findet die in Ostberlin aufgewachsene Pharmalaborantin.

Mit Blick auf die Wirtschaftsbeziehungen zu China betont sie, dass das Vorhaben „Wandel durch Handel“ gescheitert sei. Die KPC diktiere mittlerweile, wo es langgehe, während die Bürger gar nicht mehr wissen wollten, was sie alles aus China konsumierten. „Niemand denkt darüber nach, was da eigentlich dranhängt, wie hoch der Preis ist.“

Mahnwache in Berlin zum 35. Jahrestag des Massakers auf dem Platz des Himmlischen Friedens in Peking am 4. Juni 2024. Foto: Erik Rusch/Epoch Times

Chinese: „Führung hat Angst vor dem eigenen Volk“

Der Chinese aus Potsdam sagt, die Situation in China habe sich seit dem Massaker 1989 zunehmend verschlechtert. Gerade in den Jahren 2000 und 2012 habe sich die Lage weiter verschärft. „Wir können diesen Trend deutlich sehen, er korreliert mit der wirtschaftlichen Entwicklung in China.“

Weiter sagt der Akademiker: „Anfang der 90er-Jahre war China immer noch arm, obwohl die wirtschaftlichen Reformen im Jahr 1979 begannen. In den frühen 90er-Jahren war der chinesische Durchschnittsbürger sehr arm. Im Jahr 2000 und insbesondere in den vergangenen 15 Jahren wurden die Menschen reicher, aber die Situation in Bezug auf die Freiheit und das Bewusstsein für Demokratie verschlechtern sich, weil die Gehirnwäsche und die nationalistische Propaganda zugenommen hat.“

Dies sehe man daran, wie China Taiwan tyrannisiere und die Demokratie in Hongkong zerstört habe. „30 Jahre lang versammelten sich am 4. Juni in Hongkong Hunderttausende Menschen im Victoria Park, um sich an diesen Tag zu erinnern.“ Aber seit drei Jahren sei es in Hongkong nicht mehr möglich, Veranstaltungen wie diese durchzuführen.

Die größte Mahnwache seit 1989 für die Opfer des Tiananmen-Massakers fand 2016 in Hongkong statt. Foto: Sung Pi Lung / The Epoch Times

Angesprochen darauf, wovor die Kommunistische Partei Chinas am meisten Angst habe, erklärt der Potsdamer: „Sie haben es doch 1989 gesehen, als Millionen von Pekinger Bürgern auf die Straße gingen und die mehrere Kilometer lange blutige Panzerarmee für zwei Stunden lang aufhielten. Das Erwachen des Volkes ist ihr größter Feind. Der größte Feind sind nicht die Auslandschinesen, nicht Russland, nicht Taiwan. Es ist das eigene Volk – das chinesische Volk.“

1989 gingen nicht nur Studenten auf die Straßen Pekings. Den hungerstreikenden Schülern schlossen sich auch ganz normal Bürger, Arbeiter, Intellektuelle, Lehrer und Armeeangehörige an.

„Trennung zwischen Partei und Volk ist wichtig“

Der Akademiker hofft, dass sich nochmal so etwas wie eine Weißes-Papier-Bewegung in China formiert und die jüngere Generation mehr Bewusstsein für die Bedeutung von Freiheit und Demokratie entwickelt. „Aber ich bin nicht optimistisch“, so der Chinese.

Allerdings sieht er einen großen Unterschied zu 1989. Damals hätten die Studenten das chinesische Volk und die KP-Chinas als eine Einheit gesehen. Heute sei dies anders. Es werde zwischen der herrschenden Partei und dem Volk unterschieden, sagt er. Durch die Weißes-Papier-Bewegung 2022 habe die jüngere Generation erkannt, dass die Partei gestürzt werden müsse. „Es geht nicht nur um einen Diktator, sondern sie sollten dieses Land wirklich nicht mehr regieren.“

Ein Zurückkehren ins jetzige China ist für ihn undenkbar. Nach den Erfahrungen in den USA und Deutschland, wo er frei leben kann, wolle er nicht mehr zurück. „Es ist wie zurück ins Gefängnis“, sagt der Auslandschinese, der in der wissenschaftlichen Forschung tätig ist.

Hongkongerin: „Wir werden nicht vergessen“

Amy Siu, Generalsekretärin des Vereins Freiheit für Hongkong, nimmt auch an der Veranstaltung in Berlin teil. Sie erklärt in einer Rede: „In Hongkong gibt es keine Meinungs- oder Versammlungsfreiheit mehr. Im Ausland haben wir hier die Aufgabe, die 4. Juni-Mahnwache weiterzumachen, denn sie ist Teil unserer Kultur und Geschichte.“

Der versammelten Menge spricht sie ihren Dank aus. Sie sagt: „Vielen Dank an Sie alle, dass Sie sich die Zeit genommen haben, mit uns an den Kampf für Freiheit, Gerechtigkeit und Demokratie zu erinnern. Für alle Freunde, die [in China] im Gefängnis sitzen, halten wir heute in Deutschland ein Kerzenlichtlicht hoch.“

An das „brutale Regime in China“ gerichtet erklärt sie abschließend: „Heute ist der 35. Jahrestag – wir wagen es, nicht zu vergessen. Wir haben es nicht vergessen. Und wir werden es nicht vergessen.“



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