300 Hektar Land, zwei Diktaturen und der lange Weg der Gerechtigkeit

Enteignung und politische Verfolgung während der NS-, SBZ- und DDR-Zeit und die fehlende Wiedergutmachung nach der Wiedervereinigung belasteten auch jetzt noch Bürger in der Bundesrepublik. Eine Fachtagung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur zeigt anhand von einem Beispiel aus Brandenburg jahrzehntelange Versäumnisse auf. Ein bewegendes Kapitel deutscher Geschichte.
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Rechtsanwalt Andreas Giese bei seinem Vortrag auf einer Fachtagung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur.Foto: Erik Rusch/Epoch Times
Von 21. Februar 2024

„Unrecht ist schnell geschehen, die Wiedergutmachung dauert hingegen oft ewig“, mit diesen Worten zitiert Rechtsanwalt Andreas Giese den verstorbenen Eberhard Specht. Er ist am Montag, 19. Februar, einer der Referenten auf der Berliner Fachtagung der Bundesstiftung zur Aufarbeitung der SED-Diktatur unter dem Thema „Enteignungen in SBZ und DDR“.

Der Rechtsanwalt berichtet von dem Fall der Familie Specht, die mit dem Gut Dolgenbrodt eine rund 300 Hektar große Halbinsel mit Gutshaus im südöstlichen Brandenburg besaß. Eberhard Specht wurde als „Halbjude“ von den Nationalsozialisten im Dritten Reich in ein Arbeitslager eingezogen, sein Vater kam bei ungeklärten Umständen ums Leben und die Mutter nahm es sich in Verzweiflung. Die Gestapo beschlagnahmte kurz vor Kriegsende das Gut.

Unter der Losung „Junkerland in Bauernhand“ wurde das Grundstück nach Kriegsende im September 1945 im Rahmen der Bodenreform in der Sowjetischen Besatzungszone (SBZ) zerstückelt und auf verschiedene Besitzer aufgeteilt. Das Gutshaus wurde geplündert, dann abgerissen.

Kurz vor der Wiedervereinigung reißen sich Dorfbewohner für einen Spottpreis noch schnell das Land unter die Nägel. Die deutsche Justiz benötigte schließlich ein Vierteljahrhundert, um aus Unrecht Recht zu machen und Specht seinen Besitz kurz vor dessen Tod mit 99-Jahren wieder anzuerkennen.

DDR-Minister, Politbüromitglieder und Stasi-Mitarbeiter zeigen Interesse

Doch was genau machte für den Rechtsanwalt den Fall des Gutes Dolgenbrodt so besonders? „Zum einen, weil es ein kleiner Mikrokosmos war“, so der Jurist. In Dolgenbrodt sei die große Weltpolitik auf ein kleines Dorf getroffen.

So war Martin Luther, Unterstaatssekretär im Auswärtigen Amt des Dritten Reichs, an dem Gut interessiert. Er wirkte bei der Wannseekonferenz mit und galt als „treibende Kraft“ bei der Judenverfolgung.

Später in der DDR-Zeit und danach waren es dann DDR-Minister, Politbüromitglieder und Mitarbeiter der Staatssicherheit, die da gewohnt haben und auch ihre Interessen an den Ländereien hatten, so Giese.

„Zum anderen war es natürlich die interessante, wechselvolle Geschichte der Familie Specht.“

Eberhard Specht wanderte nach Kriegsende nach Brasilien aus. Dorthin war schon ein Teil seiner Familie geflohen.

Nach der Wiedervereinigung erfuhr er von der Möglichkeit, einen Antrag auf Rückübertragung zu stellen und reichte ihn beim brandenburgischen Amt zur Regelung offener Vermögensfragen ein. 1997 erfolgte die Ablehnung des Antrags. Daraufhin zog Specht – mit der Unterstützung von Giese – gegen die Entscheidung des Landes vor Gericht. Das brandenburgische Verwaltungsgericht in Cottbus bestätigte schließlich die Entscheidung des Landesamtes.

Bundesverwaltungsgericht erkennt Nazi-Enteignung an

Doch gaben sie nicht auf. Schließlich zogen sie in einem Revisionsverfahren vors Bundesverwaltungsgericht in Leipzig. Im April 2015, also 18 Jahre nach Ablehnung von Spechts Rückübertragungsantrages – dann die überraschende Wendung. Das Leipziger Gericht gab Specht recht, dass er die Rückgabe von den früher zum Gut gehörenden Grundstücken verlangen kann.

Es wurde anerkannt, dass Specht, der mittlerweile wieder in Deutschland lebt, durch die Nationalsozialisten enteignet wurde und ihm sein Besitz zusteht. Zwei Wochen nach dem Urteil starb er mit 99 Jahren und wurde im Familiengrab beerdigt.

Die Rückübertragung ist jedoch auch jetzt weiterhin nicht abgeschlossen, berichtet Giese. „Die Bescheide sind alle erlassen, aber in drei Verfahren gibt es noch Klagen von den jetzigen Eigentümern vor dem Verwaltungsgericht.“

So hat letztlich die Familie Specht doch wieder zurück nach Dolgenbrodt gefunden. Spechts Tochter wohnt in Berlin und hat mittlerweile ein Wochenendhaus in Dolgenbrodt.

Warum das Brandenburger Amt so gegensätzlich zum Verwaltungsgericht entschied, sieht Giese darin begründet, wie manche sagen würden, dass sich das Bundesland so ein wenig als „kleine DDR fühlt“ und als Rechtsnachfolger glaube, es müsse das DDR-Unrecht verteidigen. Die alten Parteikader hätten starken Einfluss ausgeübt.

Und das Verwaltungsgericht in Cottbus habe nur die Bodenreform in der SBZ und nicht die Nazizeit in Bezug auf Gut Dolgenbrodt gesehen. Das Gericht schloss eine Rückgabe aus Bodenreformenteignungen aus.

Das Bundesverwaltungsgericht hat hingegen das Handeln der Nationalsozialisten bereits als Enteignung gewertet; somit griffen ganz andere Vorschriften. Solch einen Erfolg gibt es nur in wenigen Fällen, erklärt Giese.

Land Brandenburg erhielt mehrere „Richterschelten“

Dabei gab es bereits 2004 die erste scharfe Richterschelte gegenüber der Landesregierung Brandenburg und deren Umgang mit 8.800 Grundstücksflächen nach der Wiedervereinigung, die durch Enteignungen in der Bodenreformzeit ihren alten Besitzer verloren hatten.

„Das Grundbuchamt hat unter Verletzung gesetzlicher Vorschriften den Beteiligten [Anm. d. Red: das Land Brandenburg] als Eigentümer eingetragen“, schrieb das Brandenburgische Oberlandesgericht damals.

Anstatt nach rechtmäßigen Erben der enteigneten Flächen zu suchen oder suchen zu lassen, verleibte sich Brandenburg die Grundstücke mithilfe einer „verwaltungsinternen Genehmigung“ ein, ohne die dazu erforderliche Genehmigung des zuständigen Gerichts einzuholen.

2007 verurteilte das brandenburgische Oberlandesgericht erneut den Versuch, Brandenburgs Landflächen durch diese Neuregelungen einzuverleiben.

Ende 2007 landete die Praxis Potsdams, sich widerrechtlich Landflächen anzueignen, schließlich vor dem Bundesgerichtshof. Die Landesregierung „missbrauchte“ die ihm „verliehene Vertretungsmacht“ der Grundeigentümer, urteilte das Gericht. Auch deshalb sei die Landnahme „sittenwidrig und nichtig“ und Brandenburgs Verhalten sei „eines Rechtsstaats unwürdig“. Doch noch immer läuft die Rückabwicklung der Landflächen schleppend, da Erben nicht auffindbar sind.

Landesregierung will Schlussstrich ziehen

Im Dezember 2023 erklärte Brandenburgs rot-schwarz-grüne Regierung schließlich, dass sie einen Schlussstrich unter die Bodenreform-Affäre ziehen will. Finanzministerin Katrin Lange (SPD) hat damals einen „Bericht zur abschließenden Aufarbeitung des Bodenreformunrechts bei Neusiedlererbinnen und -erben“ durch das Kabinett gebracht und dem Landtag vorgelegt.

Bisher wurden 4.857 der insgesamt 8.800 Grundstücke, die unrechtmäßig von Brandenburg in Besitz genommen wurden, an ihre rechtmäßigen Eigentümer zurückgegeben.

Das Land werde die Recherche fortsetzen, versicherte die Finanzministerin damals. Von den ursprünglich angeeigneten 13.400 Hektar mit einem damals geschätzten Wert von 70 bis 80 Millionen Euro waren laut ihres Berichtes Ende 2023 noch 4.825 Hektar in Treuhänderschaft des Landes.

Für Giese sei nach der Wiedervereinigung die große Chance vertan worden, die Bodenreform-Enteignungen wiedergutzumachen. Man hätte sagen sollen, es gibt als Entschädigung das Gutsgelände oder das Bauernhofgelände und noch eine gewisse Menge an Land zurück. Dann hätte es eine gewisse Befriedigung gegeben und es wären auch viele wieder zurückgekommen, so der Jurist. „Dafür ist es heute meistens zu spät, da viele verstorben sind.“



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