200-Milliarden-Abwehrschirm: EU-Länder kritisieren Deutschlands Alleingang

Die Bundesregierung will die Gaspreise absenken und bringt einen milliardenschweren Abwehrschirm auf den Weg. Viele EU-Länder kritisieren Deutschlands Alleingang und warnen vor Marktverzerrung.
Kritik aus EU an Abwehrschirm
Bundeskanzler Olaf Scholz in Prag am 7. Oktober 2022.Foto: Sean Gallup/Getty Images
Epoch Times7. Oktober 2022

Die Bundesregierung hat den milliardenschweren Abwehrschirm zur Entlastung von Bürgern und Unternehmen angesichts hoher Energiepreise auf den Weg gebracht.

Das Finanzministerium gab am Freitag einen Entwurf zur Ertüchtigung des Wirtschaftsstabilisierungsfonds in die Ressortabstimmung. Laut Entwurf soll das Finanzministerium für dieses Jahr ermächtigt werden, für den Fonds Kredite von 200 Milliarden Euro aufzunehmen.

Der Wirtschaftsstabilisierungsfonds (WSF) als Sondervermögen soll künftig der Abfederung der Folgen der Energiekrise dienen, insbesondere von Preissteigerungen bei Gas und Strom in Deutschland, wie es im Entwurf heißt. Dieser lag der Deutschen Presse-Agentur am Freitag vor.

Finanziert werden soll über den WSF unter anderem die geplante Gaspreisbremse. Außerdem sollen finanziell angeschlagene Energieversorger gestützt werden, die wegen ausbleibender russischer Gaslieferungen zu hohen Preisen Ersatz am Markt beschaffen müssen. Die dafür geplante umstrittene Gasumlage wurde abgeschafft.

Die Bundesregierung im Kreuzfeuer

Nach dem deutschen Vorstoß zur Abfederung der Energiepreise hat EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen vor einer Verzerrung des gemeinsamen Binnenmarkts gewarnt. Es sei wichtig, dass alle Unternehmen die gleichen Chancen hätten, am Binnenmarkt teilzunehmen, sagte die deutsche Politikerin am Freitag am Rande des EU-Gipfels in Prag. Wettbewerb dürfe es nur über die Qualität geben, nicht über Subventionen.

Bundeskanzler Olaf Scholz hatte die geplanten Maßnahmen als „Doppelwumms“ bezeichnet – viele EU-Länder werfen Deutschland einen Alleingang vor und verweisen darauf, dass nicht alle die finanziellen Mittel für ein solches Paket hätten. „Die deutsche Wirtschaft ist so groß, dass die Unterstützung, die die deutsche Regierung ihren Unternehmen gibt, den EU-Binnenmarkt verzerren könnte“, sagt etwa der lettische Premierminister Krisjanis Karins.

Kritisiert wird auch, dass Deutschland mehr Geld für derzeit knappes Gas ausgeben kann, andere Länder so überbietet und die Preise hochtreibt. „Es darf nicht sein, dass die Interessen eines Landes, die Interessen Deutschlands, die Preisentwicklung für alle Mitgliedstaaten bestimmen“, schimpfte der polnische Premierminister Mateusz Morawiecki.

Der Ökonom Gabriel Felbermayr warnte in der „Wirtschaftswoche“ vor einem „Subventionswettlauf“ in Europa. „Und dann haben wir am Ende überall hohe Subventionen, zu wenig Einspareffekte und einen weiter steigenden Gaspreis.“

Lindner: Werden an Wohlstand verlieren

Auf das Konzept der geplanten Gaspreisbremse müssen die Haushalte in Deutschland nach Angaben von Bundesfinanzminister Christian Lindner noch einige Tage warten. „Kommende Woche, spätestens übernächste Woche haben wir da Klarheit“, sagte der FDP-Politiker am Freitag dem Radiosender 105,5 Spreeradio. „Das ist kein einfaches Unterfangen.“ Um es gutzumachen, werde ein wenig Vorbereitungszeit mit der Kommission von Experten und Praktikern gebraucht.

Lindner sagte auch angesichts stark steigender Verbraucherpreise: „Wir werden an Wohlstand als Gesellschaft verlieren.“ Grund seien die höheren Kosten für Energieimporte. „Es wird nicht mehr so günstig sein, wie zum Beispiel im letzten oder vorletzten Jahr.“

Grimm: Einmalzahlung würde eher zum Sparen beitragen

Eine von der Bundesregierung eingesetzte Expertenkommission soll Empfehlungen für die Ausgestaltung der Preisbremse vorlegen. Bei einer Klausur an diesem Wochenende will die Kommission einen „belastbaren Vorschlag“ erarbeiten und der Politik übergeben.

Die Vorsitzende der Gaspreiskommission, die „Wirtschaftsweise“ Veronika Grimm, warb für eine Gaspreisbremse in Form einer Einmalzahlung. „Wichtig wird sein, einen hohen Sparanreiz zu erhalten. Bei einer Einmalzahlung wäre das ganz klar der Fall“, sagte sie. „Einen viel geringeren Sparanreiz hätte man, würde man den Gaspreis um einen bestimmten Prozentsatz senken.“ Wenn man den Menschen eine Einmalzahlung zukommen lasse, hätten sie noch viel davon, weniger Gas zu verbrauchen.

Das Kommissionsmitglied Karen Pittel, die Chefin des Ifo-Zentrums für Energie, Klima und Ressourcen, hält ein Zwei-Stufen-Modell für wahrscheinlich. Die Kommission werde am Montag zunächst eine „Kurzfristlösung“ zur schnellen Entlastung von Bürgern und Unternehmen vorschlagen, sagte Pittel im ZDF. Bis Monatsende habe das Gremium dann noch Zeit, längerfristige Umsetzungswege auszuarbeiten. Pittel sagte, sie sei dafür, dabei einen „gewissen Grundkonsum“ zu subventionieren.

Warnung vor noch mehr Knappheit durch den Deckel

Die Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP hatte jüngst einen „Abwehrschirm“ angekündigt, um Verbraucher und Unternehmen wegen der steigenden Energiepreise zu unterstützen. Über eine Gaspreisbremse sollen mindestens für einen Teil des Verbrauchs die Preise so gedeckelt werden, dass private Haushalte und Firmen nicht überfordert sind.

Skeptisch äußert sich der wirtschaftspolitische Sprecher der EVP-Fraktion im Europaparlament, Markus Ferber (CSU). Ein solcher Deckel berge die Gefahr, dass Lieferanten ihr Gas lieber in andere Teile der Welt verkaufen, sagte Ferber im rbb24 Inforadio. Das könne zu noch mehr Knappheit und damit noch höheren Preisen führen. „Was also zunächst als einfaches Instrument und einfache Lösung daherkommt, kann ganz schnell zum Bumerang werden.“ (dpa/red)



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