180-Grad-Wende: Kubicki zweifelt am Fortbestand der Ampelkoalition bis 2025

FDP-Vizeparteichef Wolfgang Kubicki will den „Spirit“ aus den Anfangstagen der Ampelregierung neu beleben. Falls das innerhalb eines Vierteljahrs nicht gelinge, rechne er mit zunehmenden Protesten. Ein erneutes Bündnis speziell mit den Grünen hält er nicht für ratsam.
Wolfgang Kubicki ist auch Vizepräsident des Deutschen Bundestags.
FDP-Vize-Parteichef Wolfgang Kubicki.Foto: Michael Kappeler/dpa
Von 18. Januar 2024

Noch vor wenigen Wochen hatte Wolfgang Kubicki vehement für einen Verbleib seiner Partei in der Ampelkoalition getrommelt. Jetzt scheint der stellvertretende Vorsitzende der FDP selbst nicht mehr daran zu glauben, dass das rot-grün-gelbe Bündnis noch bis zum regulären Neuwahltermin im Herbst 2025 durchhalten wird.

Wie die „Welt“ unter Verweis auf die „Nürnberger Nachrichten“ berichtet, vermisst Kubicki insbesondere die positive Aufbruchstimmung aus der frühen Phase der Regierungsübernahme:

Wir haben nun ein Vierteljahr, um zu versuchen, den Spirit des Anfangs wiederherzustellen. Aber wenn erst mal Gräben ausgehoben wurden, wird es schwer, die wieder zuzuschütten.“

Momentan sehe er vielmehr, dass „der Spirit, der zum Start der Ampel da war“, sich in einem Auflösungsprozess befinde. Für viele Menschen sei „keine gemeinsame Richtung mehr erkennbar“, so Kubicki laut „Welt“. Sofern sich dieser Umstand nicht ändere, rechne er mit zunehmenden Protesten im Land:

Dann werden die Fliehkräfte in der Ampel so stark, dass mir langsam Zweifel kommen, ob es bis zur Bundestagswahl 2025 hält. Ich kann meiner Partei jedenfalls nicht raten, nach der Bundestagswahl noch einmal mit den Grünen zu koalieren.“

Umfragewerte im Keller

Bundestagsvizepräsident Kubicki beklagte laut „Welt“, dass Deutschland „in eine tiefe Rezession“ schlittere. Mittelständler würden sich „überlastet“ fühlen, die Industrie sei auf dem Rückzug. Er räumte ein, dass der „Vier-Prozent-Vergleich“ von protestierenden Jungbauern ein Stück wahr sei. Bei den Protesten in Berlin hatte eine junge Landwirtin gesagt: „Wir müssen vier Prozent unserer Flächen stilllegen. Mit vier Prozent wird auch die FDP stillgelegt.“ Kubicki erwiderte im Interview: „Da ist was dran.“ Aktuellen Umfragen zufolge schwankt die Partei bei der Sonntagsfrage im Januar bisher zwischen vier und sechs Prozent.

Der Vize-Parteichef hatte bereits während der FDP-Mitgliederbefragung vom Dezember 2023 keinen Hehl daraus gemacht, dass er hauptsächlich den grünen Koalitionspartner als Verantwortlichen für den Frust an der Parteibasis und der übrigen Wählerschaft betrachte, obwohl es in der Ampel noch vergleichsweise gut gelaufen sei: „All die Kritiker reden dann über das fehlende Profil der Partei, aber wollen eigentlich die Grünen loswerden“.

Zugleich hatte Kubicki seine Parteikollegen aufgerufen, für den Verbleib in der Ampel zu stimmen, auch wenn deren Urteil ohnehin keine bindende Wirkung für die FDP-Spitze entfaltet hätte.

„Drei Parteien mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen“

Nun legte er im Gespräch mit den „Nürnberger Nachrichten“ in Richtung Grüne nach. Seiner Ansicht nach sei die Tatsache, dass es sich bei den Koalitionspartnern „um drei verschiedene Parteien mit völlig unterschiedlichen Vorstellungen“ handele, die Ursache für die „handwerklichen Fehler“:

Die Grünen wollen die Welt retten über Klima und Migration, die SPD will immer mehr aus dem staatlichen Füllhorn verteilen. Und wir sagen: Wir müssen erst mal die Leistungsfähigkeit unserer Wirtschaft erhalten.“

Auch FDP-Parteichef Christian Lindner, seit Herbst 2021 als Bundesfinanzminister verantwortlich für einen tragfähigen Bundeshaushalt, hatte schon Ende Oktober 2023 zugegeben, dass die Grünen „ein fundamental anderes Gesellschaftsbild“ hätten als er selbst. Lindner machte damals klar, dass die Zukunft der FDP als Bestandteil der Ampel auch von den Grünen abhänge: Falls ein Punkt erreicht sei, „an dem vertretbare Kompromisse nicht mehr gefunden werden“ könnten, dann gelte für ihn weiterhin sein eigenes Credo aus dem Jahr 2017: Es sei besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren.

FDP-Basis gespalten

An dieses Versprechen war Lindner und mit ihm die gesamte Parteispitze spätestens nach dem schlechten Abschneiden der FDP bei den Landtagswahlen von Bayern und Hessen immer wieder erinnert worden. Anfang November hatte Lindner anlässlich eines Gastvortrags in der Schweiz zum Ausdruck gebracht, dass er sich sowohl im Ampelbündnis als auch im „staatsgläubigen“ Deutschland nicht mehr so recht wohlfühle. „Die politischen Realitäten“ aber zwängen ihn nun einmal, „mit Sozialdemokraten und Grünen zu regieren“.

So einem Zwang wollen sich Teile der Basis aber offenbar nicht unterwerfen. Zunächst war es lediglich ein offener Brief von 26 liberalen Parteimitgliedern aus der zweiten Reihe, die ihren Chef unter dem Schlagwort „Weckruf Freiheit!“ (PDF-Datei) zum Ampel-Exit aufgefordert hatten, weil die FDP sich ihrer Meinung nach „in dieser Koalition bis zur Unkenntlichkeit“ verbiege.

Mitgliederbefragung pro Ampelende gescheitert

Wenige Wochen später folgte dann der offizielle Antrag auf eine Mitgliederbefragung über den Verbleib im Regierungsbündnis. Das Motto: Entweder die FDP beendet die Ampel – oder die Ampel beendet die FDP. Initiiert hatte die Befragung Matthias Nölke, der Vorsitzende des FDP-Kreisverbands Kassel. Ihm gelang es, die satzungsgemäß verlangten 500 Unterschriften für eine Befragung sämtlicher Parteimitglieder zusammenzutragen.

Doch ihr gemeinsamer Wunsch, der Bundesspitze klarzumachen, dass die Liberalen sich aus der Koalition zurückziehen sollten, wurde nicht erfüllt: Am 1. Januar 2024 stand fest, dass eine knappe Mehrheit von 52,24 Prozent der gültigen Stimmen lieber in der Ampel ausharren wollte. Von rund 72.100 FDP-Mitgliedern hatten nur 26.058 abgestimmt.

Nölke wirft Kubicki „180-Grad-Wende“ vor

Nach Informationen des „Spiegel“ bezeichnete Nölke das jüngste Kubicki-Interview aus den „Nürnberger Nachrichten“ als „unfassbar“: Der Vize-Parteichef vollziehe „eine 180-Grad-Wende“ und übernehme „die Argumentation der Ampelgegner in der Partei“. Die „Halbwertzeit von Kubickis Aussagen“ werde somit „immer kürzer“. Dass er nun vor einem erneuten Bündnis mit den Grünen gewarnt habe, sei „ein Hammer“. Wenn Kubicki „konsequent wäre, müsste er schon jetzt für den Ausstieg aus der Ampel plädieren“, kritisierte Nölke. Stattdessen herrsche Schweigen zur Frage, „was jetzt konkret anders und besser werden“ solle.

Nölke erinnerte im „Spiegel“ an den „Aderlass“ an Wählern und Mitgliedern, den die FDP im vergangenen Jahr hatte hinnehmen müssen: Zum Jahresende 2023 habe es 4.280 Liberale mit Parteibuch weniger gegeben als Ende 2022. Ein für den Wochenanfang geplantes Treffen von Nölke mit FDP-Generalsekretär Bijan Djir-Sarai, bei dem die beiden sich zur Frage des Ampel-Exits austauschen sollten, sei auf später verschoben worden.

EU-Wahl-Spitzenkandidat Krane stärkt Kubicki den Rücken

Lob erntete Kubicki nach Angaben des „Spiegel“ von Helmer Krane, dem FDP-Spitzenkandidaten zur EU-Parlamentswahl im Landesverband Schleswig-Holstein und einem der stärksten Befürworter eines Verbleibs in der Bundesregierung. Er halte Kubickis Ansatz für „goldrichtig“, noch einmal an die Aufbruchsstimmung der Koalition im Dezember 2021 zu erinnern. Beispielhaft habe Krane auf jenes „Selfie“ verwiesen, das Christian Lindner, Verkehrsminister Volker Wissing (FDP), Außenministerin Annalena Baerbock und Wirtschaftsminister Robert Habeck (beide Grüne) bei anscheinend bester Laune zeigt.

Das Selfie zeigt (v.l.): Volker Wissing, Annalena Baerbock, Christian Lindner und Robert Habeck. Foto: Volker Wissing/FDP/instagram/dpa/dpa

Das Foto habe eine „inhaltliche Substanz“ ausgestrahlt, die bei den Menschen gut angekommen sei, so Krane, nämlich „Fortschritt nach 16 Jahren ausgesessener Strukturprobleme“.

Nun müsse sich jeder „fragen, was er oder sie mache, um da wieder hinzukommen“, zitiert der „Spiegel“ den FDP-Hoffnungsträger. Es gelte, „den Menschen wieder Mut zu machen, dass sich die Wirtschaftslage“ bessere „und am Ende der harten gemeinsamen Reformanstrengungen ein besseres Deutschland“ stehe. Außerdem habe Krane betont, dass seine Partei „Erfolge vorweisen“ könne. Es sei allerdings „nicht immer gelungen […], diese auch vernünftig zu kommunizieren“.

Was eine Partnerschaft mit den Grünen über das Jahr 2025 hinaus angehe, existiere „kein Automatismus“, so Krane. Derzeit gebe es „wichtigere Fragen“. Letztlich entscheide der Wähler.

Alternativ-Initiative zum Ampel-Exit: „Freie Demokraten für Kernenergie“

Im Hintergrund läuft derweil noch ein weiterer Versuch aus den Reihen der Unzufriedenen in der FDP-Basis, ihre Partei aus der Ampel herauszulösen: Angestrebt wird ein Mitgliederentscheid gemäß Paragraf 21 der FDP-Bundessatzung (PDF-Datei). Dr. Johannes Baare und Prof. Dr. André Thess verfolgen unter dem Motto „Freie Demokraten für Kernenergie“ nicht direkt den Ausstieg aus der Regierungskoalition, sondern schlicht den Ausstieg aus dem Anti-Atomkraft-Kurs.

Der Clou der Mitgliederentscheid-Initiative von Baare und Thess: Falls sich die Basis tatsächlich in ausreichender Zahl für die Initiative engagieren sollte, bliebe dem FDP-Bundesvorstand gemäß Satzung gar nichts anderes übrig, als einen offiziellen Entscheid zum Thema Kernkraft durchzuführen. Sollte sich dann eine Mehrheit für den Wiedereinstieg aussprechen, müsste die Fraktion genau dafür einen Gesetzesentwurf in den Bundestag einbringen. Allein das wäre wohl schon eine schwere Zerreißprobe für die Ampel, denn SPD und Grüne lehnen eine Rückkehr zur eigenen Atomstromproduktion auf deutschem Boden strikt ab. Ein gegenläufiges Abstimmungsergebnis der FDP-Fraktion im Bundestag könnte folglich den endgültigen Bruch und damit das vorzeitige Ampel-Aus bedeuten.

Damit der Entscheid durchgeführt werden kann, bedarf es allerdings eines größeren Aufwandes als für eine Mitgliederbefragung: Mindestens 3.700 Stimmen müssten die Ampelgegner in der FDP zusammenbekommen, um einen bindenden Mitgliederentscheid zu erwirken. Alternativ, so Baare im Dezember 2023 auf Nachfrage der Epoch Times, genüge es, „100 Kreisverbände oder fünf Landesverbände“ für die Initiative zu begeistern. Er sei zuversichtlich, die nötigen Unterschriften zu bekommen. Der bisherige Rücklauf habe ihn schon Anfang Dezember „sehr positiv“ gestimmt.

Die Epoch Times hatte Baare am 17. Januar noch einmal zum Stand der Dinge befragt. Eine Antwort blieb bislang aus.



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