Hamburger Tragödie: 135 Schüsse bei Amoklauf – jüngstes Opfer ein ungeborenes Mädchen

Die Pressekonferenz der Sicherheitsbehörden bringt traurige Details: Sieben Todesopfer, ein toter Täter, acht Verletzte, vier davon schwer – und eine große Menge Menschen, die psychologischer Unterstützung bedurften – auch bei Polizei und Feuerwehr.
Titelbild
Blumen und Kerzen vor dem Gebäude der Zeugen Jehovas in Hamburg-Alsterdorf, wo am 9. März 2023 mehrere Menschen erschossen und zahlreiche verletzt wurden.Foto: Gregor Fischer/Getty Images
Von 10. März 2023

Ein Blutbad erschüttert Hamburg, wie es die Hansestadt in ihrer Geschichte noch nie erleben musste. „Gestern Abend hat sich in unserer Stadt ein entsetzliches Verbrechen zugetragen“, beginnt Hamburgs Innensenator Andy Grote die Pressekonferenz am Mittag des 10. März im Polizeipräsidium in Hamburg-Winterhude.

„Wir haben in Hamburg auch schon einiges erlebt, aber eine Amoktat, ein Tötungsdelikt dieser Dimension, das kannten wir bisher nicht“, so der Innensenator: „Sowas hat man im Fernsehen gesehen, das ist woanders passiert – und man mochte sich nicht vorstellen, dass das auch mal unsere Stadt treffen könnte … Das ist jetzt passiert.“

Was über die Opfer bekannt ist

Hamburgs Innensenator Andy Grote (SPD) bei einer Pressekonferenz am 9. März 2023 zum Hamburger Amoklauf bei den Zeugen Jehovas am Abend zuvor. Foto: Epoch Times

Grote bestätigte offiziell die Zahl von sieben Todesopfern, die der Täter hinterlassen hat, bevor er sich selbst richtete. Das jüngste Opfer war ein ungeborenes sieben Monate altes Baby, das im Mutterleib getroffen wurde. Acht Personen wurden teils schwer verletzt. Man habe es mit großer Wahrscheinlichkeit dem sehr, sehr schnellen und entschlossenen Eingreifen der Einsatzkräfte der Polizei zu verdanken, dass nicht noch mehr Oper zu beklagen seien.

Thomas Radszuweit, Leiter des Staatsschutzes Hamburg, gab im Verlauf der Pressekonferenz weitere Details über die Opfer bekannt.  Demnach handelt es sich bei den Todesopfern um vier Männer und zwei Frauen (34, 37, 40, 40, 41, 60) „sowie einen weiblichen Fötus im Alter von sieben Monaten.“ Alle Todesopfer seien deutsche Staatsangehörige gewesen und durch Schusseinwirkung gestorben. Bei den Verletzten handelt es sich um sechs Frauen und zwei Männer (23, 23, 27, 32, 33, 33, 66), darunter sechs deutsche Staatsangehörige sowie eine Frau mit ugandischer und eine mit ukrainischer Staatsangehörigkeit. Vier der Verletzten wurden lebensbedrohlich verletzt und wiesen teils multiple Schusswunden auf, so Radszuweit.

Der Täter, der deutsche Staatsangehörige Philipp F., sei zuvor kriminalpolizeilich noch nicht als Beschuldigter in Erscheinung getreten. F. wurde später von den Einsatzkräften nach kurzer Flucht im Gebäude tot aufgefunden. Der 35-Jährige hatte sich dem Vernehmen nach selbst gerichtet. Der Mann war früher selbst Mitglied der Gemeinde der Zeugen Jehovas, hatte diese aber vor rund eineinhalb Jahren „freiwillig, aber offenbar nicht im Guten verlassen“, so der Staatsschutzbeamte.

Philipp F. lebte und arbeitete seit 2014 in Hamburg und war offenbar ledig. Er hatte seit dem 6. Dezember 2022 eine waffenrechtliche Erlaubnis als Sportschütze und war in legalem Besitz einer halbautomatischen Schusswaffe Heckler & Koch P30, die er auch während des Verbrechens verwendet hatte.

Der Amoklauf des Philipp F.

Zum Ablauf des Verbrechens und des Einsatzes der Polizei in dem dreistöckigen Gebäude der Gemeinde der Zeugen Jehovas am Deelböge in Hamburg-Alsterdorf erklärten die anwesenden Behördenvertreter:

In dem Gebäude tagte im Erdgeschoss gerade eine Veranstaltung mit etwa 50 Gästen, als der Täter bereits auf dem Parkplatz das Feuer auf eine dort mit ihrem Wagen rangierende Frau eröffnete. Zehn Schüsse trafen das Fahrzeug, bis die Frau leicht verletzt entkommen konnte. Dann setzte sie einen Notruf ab.

Eine Pressekonferenz am 10. März 2023 zum Hamburger Amoklauf bei den Zeugen Jehovas am Abend zuvor: (von links nach rechts) Hamburgs Staatsschutzleiter Radszuweit, Schutzpolizeichef Tresp und Polizeipräsident Meyer. Foto: Epoch Times

Dann schoss der Angreifer durch ein Fenster ins Innere des Gebäudes und drang permanent feuernd durch dieses Fenster in das Gebäude ein. Auch dort wurden Notrufe abgesetzt. Besonders tragisch: Einer der Anrufer konnte nach Angaben von Matthias Tresp, Leiter der Schutzpolizei Hamburg, seinen Notruf nicht beenden. Die Polizeibeamten am anderen Ende wurden Zeuge seiner Ermordung durch den Angreifer.

21:04 Uhr – 47 Notrufe erreichen Polizei und Feuerwehr, teils aus dem angegriffenen Gebäude
21:08 Uhr – ersten Einsatzkräfte sind vor Ort
21:09 Uhr – die Sondereinheit USE erreicht den Tatort

21:11 Uhr – die USE verschafft sich Zutritt zum Gebäude

Bei der USE handelt es sich um eine „Unterstützungsstreife für besondere Einsatzlagen“, die seit Oktober 2020 mit zwei Einsatzteams in Hamburg im Einsatz ist. Eines dieser Teams befand sich zufällig in Alsterdorf auf Streife und konnte noch vor dem Eintreffen eines SEKs frühzeitig in das Tatgeschehen eingreifen. Andy Grote: „Wir können davon ausgehen, dass sie damit vielen Menschen das Leben gerettet haben.“

Die USE nahm vor Ort permanent Schüsse im Gebäude wahr. Sie zerschossen die Scheibe der verschlossenen Eingangstür, um diese von innen öffnen zu können. Im Inneren nahmen sie Menschen in einem Saal wahr, mehrere davon am Boden liegend, während ein Tatverdächtiger ins Obergeschoss flüchtete. Die Verfolgung endete bei der Person, die man am Boden liegend mit einer tödlichen Schussverletzung vorfand. Eine Faustfeuerwaffe lag neben der Person am Boden. Weitere Personen waren nicht anwesend, was nahe legte, dass es sich um den Täter handelte.

Wie der Staatsschutzbeamte Radszuweit erklärte, fand die Polizei am Tatort neun leere Magazine. Zwei gefüllte Magazine führte Philipp F. bei sich, zwanzig weitere gefüllte Magazine hatte der Mann in seinem Rucksack noch griffbereit dabei – jeweils mit 15 Schuss. Der Staatsschutz geht nach Sachlage davon aus, dass Philipp F. alleine gehandelt hatte. Ein Motiv sei bisher noch nicht feststellbar gewesen. Es gebe auch keinerlei Anhaltspunkte für ein politisches Motiv.

Zu diesem Zeitpunkt war auch schon das Einsatzkonzept für Amoklagen gestartet und eine Vielzahl an Polizei- und Feuerwehrkräften war zum Tatort unterwegs.

15 Magazine und 425 Schuss in der Wohnung

Längere Zeit war noch nicht eindeutig geklärt, dass es sich tatsächlich nur um einen Täter gehandelt hatte. In einem Video war eine mögliche zweite Person im Dunkeln gesichtet worden, was sich später als Schatten des Täters herausstellte. Wann genau diese Sicherheit bestand, ist unklar. Gegen 0:30 Uhr durchsuchte die Staatsanwaltschaft jedenfalls die Wohnung des toten Amokläufers, um mögliche Hinweise auf weitere Täter oder einen möglichen terroristischen Tathintergrund zu finden, wie der Leitende Oberstaatsanwalt von Hamburg, Dr. Ralf Peter Anders, auf der Pressekonferenz erklärte.

In der Wohnung fanden die Behörden 15 gefüllte Magazine mit je 15 Schuss, vier Schachteln Munition mit weiteren 200 Schuss. Die Auswertung der beschlagnahmten Laptops und Smartphones dauert noch an. Nach aktueller Lage gebe es keinen Hinweis auf einen weiteren Täter und auch keinen Hinweis auf einen terroristischen Hintergrund, so der Leitende Staatsanwalt.

Ein anonymer Hinweis

Hamburgs Polizeipräsident Ralf Martin Meyer berichtete noch von einem anonymen Hinweis an die Waffenbehörde bei der Polizei Hamburg im Januar dieses Jahres. Die bis heute unbekannte Person forderte in dem Schreiben, „das Verhalten und die waffenrechtlichen Vorschriften in Bezug auf den Philipp F. zu überprüfen“. Die Person brachte zudem zum Ausdruck, dass Philipp F. an einer nicht ärztlich diagnostizierten psychischen Erkrankung leiden könnte, so Meyer. Es sei darauf hingewiesen worden, dass sich Philipp F. jedoch nicht in ärztliche Behandlung begeben würde. Er hege eine besondere Wut auf religiöse Anhänger, besonders gegenüber den Zeugen Jehovas – und auch gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber.

Die Waffenbehörde recherchierte in den Auskunftssystemen und öffentlich zugänglichen Quellen, fanden aber keinerlei Hinweise. Im Rahmen einer unangekündigten Kontrolle besuchten zwei Polizeibeamte am 7. Februar Philipp F. an seiner Wohnadresse in Hamburg-Altona. Dieser war anwesend und zeigte sich laut Polizeipräsident Meyer „kooperativ“. Er habe bereitwillig Auskunft erteilt und die im Safe verschlossenen Waffen mit Munition vorschriftsmäßig verwahrt.

Die einzige Beanstandung war, dass ein Projektil unverschlossen auf dem Safe gelagert war. Die Gesamtumstände hätten keinerlei Anhaltspunkte auf eine psychische Erkrankung ergeben. Auch ein unverfängliches Gespräch über die Einrichtung der Wohnung und dergleichen hätte keinerlei derartige Hinweise ergeben. Am Ende bekam Philipp F. eine mündliche Verwarnung wegen der Patrone auf dem Safe, worauf hin er sich bei den Beamten dafür entschuldigte und das Projektil ordnungsgemäß im Tresor verschloss. Weitere rechtliche Möglichkeiten für polizeiliche Maßnahmen gab es aufgrund fehlender diesbezüglicher Tatsachen nicht.

An dieser Stelle wird ein Video von Youtube angezeigt. Bitte akzeptieren Sie mit einem Klick auf den folgenden Button die Marketing-Cookies, um das Video anzusehen.



Epoch TV
Epoch Vital
Kommentare
Liebe Leser,

vielen Dank, dass Sie unseren Kommentar-Bereich nutzen.

Bitte verzichten Sie auf Unterstellungen, Schimpfworte, aggressive Formulierungen und Werbe-Links. Solche Kommentare werden wir nicht veröffentlichen. Dies umfasst ebenso abschweifende Kommentare, die keinen konkreten Bezug zum jeweiligen Artikel haben. Viele Kommentare waren bisher schon anregend und auf die Themen bezogen. Wir bitten Sie um eine Qualität, die den Artikeln entspricht, so haben wir alle etwas davon.

Da wir die Verantwortung für jeden veröffentlichten Kommentar tragen, geben wir Kommentare erst nach einer Prüfung frei. Je nach Aufkommen kann es deswegen zu zeitlichen Verzögerungen kommen.


Ihre Epoch Times - Redaktion