Der amerikanische Blick auf die deutschen Grenzen der Meinungsfreiheit

Der amerikanische Vizepräsident JD Vance hat „die Kriminalisierung der Rede“ nach deutscher Praxis scharf kritisiert: Sie werde eine „erhebliche Belastung für die europäisch-amerikanischen Beziehungen darstellen“. Anlass war eine CBS-Fernsehreportage aus Deutschland.
Kann man in Deutschland seine Meinung frei äußern? Die Vereinigung Pen Berlin findet: Darüber muss man reden. (Archivbild)
Kann man in Deutschland seine Meinung wirklich frei äußern? Aus Sicht des amerikanischen Vizepräsidenten gehen die Einschränkungen in ganz Europa zu weit. (Archivbild)Foto: Uwe Lein/dpa
Von 19. Februar 2025

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Morgens um 06:00 Uhr, irgendwo in Deutschland: Klingelingeling. „Aufmachen!“ Bewaffnete Polizisten vor der Wohnungstür, Durchsuchungsbeschluss in der Hand. „Her mit Smartphone und Laptop, Dauer der Beschlagnahmung unklar, es kann womöglich teuer für Sie werden, Sie hören von uns.“

Dass Ihnen eine derartige Konfrontation schon wegen Teilens eines möglicherweise strafbewehrten Internet-Memes passieren kann, ist in Deutschland seit Jahren Alltag. Aus Sicht eines US-Amerikaners aber erscheint so etwas beinahe unvorstellbar: Ihm garantiert der erste Verfassungszusatz („First Amendment“) aus dem Jahr 1791 ein weit großzügigeres Recht auf freie Meinungsäußerung als die aktuellen deutschen Gesetze.

Der amerikanische TV-Sender „CBS News“ fand Art und Ausmaß der Diskrepanz des „Free Speech“-Verständnisses diesseits und jenseits des Atlantiks offenbar so bemerkenswert, dass er ein Team nach Deutschland schickte. Am 16. Februar veröffentlichte der Sender in seinem Magazin „60 Minutes“ einen 13-Minuten-Bericht seiner Journalistin Sharyn Alfonsi, der die Entschlossenheit der hiesigen Strafverfolgungsbehörden im Kampf gegen vermeintliche „Hassrede“ dokumentiert.

Bestraft allein durch Smartphone-Einzug

Die Göttinger Staatsanwälte Svenja Meininghaus, Matthäus Fink und Frank-Michael Laue, alle drei in Diensten der „Zentralstelle zur Bekämpfung von Hasskriminalität im Internet – Niedersachsen“ (ZHIN), gaben Alfonsi bereitwillig Auskunft über ihren Job als Verfolger von mutmaßlichen Hasskriminellen. Laue erzählte der staunenden Reporterin von den Reaktionen jener mutmaßlichen Täter, deren Taschentelefone einkassiert werden:

Sie sind schockiert. Es ist eine Art Strafe, wenn man sein Smartphone verliert. Das ist noch schlimmer als die Geldstrafe, die man zahlen muss.“

Laues Kollege Fink räumte ein, dass die meisten Leute nicht einmal wüssten, dass in Deutschland bestimmte Meinungsäußerungen verboten seien. Als Beispiel nannten die Göttinger Staatsanwälte der US-Reporterin Beleidigungen oder die „Verbreitung bösartiger Gerüchte, Gewaltandrohungen und falscher Zitate“ – sogar, wenn es sich nur um Repostings handele. Wer online gegen das deutsche Strafrecht mit seiner Rede verstoße, werde häufig sogar mit höherem Strafmaß bestraft als Offline-Hasskriminalität, weil Netzeinträge ja länger bestehen blieben. Sogar Gefängnisstrafe sei möglich.

HateAid: „Meinungsfreiheit braucht Grenzen“

Zu Wort in dem CBS-Bericht kommt auch Josephine Ballon, die Geschäftsführerin der auch mit Steuergeldern finanzierten Berliner gemeinnützigen Organisation HateAid, die sich „gegen digitale Gewalt und ihre Folgen engagiert“. Ballon betont gegenüber der anscheinend irritiert wirkenden CBS-Reporterin Alfonsi, wie wichtig es sei, die Freiheit in Schrift und Wort zu beschneiden:

Meinungsfreiheit braucht Grenzen. Und im Falle Deutschlands sind diese Grenzen Teil unserer Verfassung. Ohne Grenzen kann sich eine sehr kleine Gruppe von Menschen auf die unbegrenzte Freiheit verlassen, alles zu sagen, was sie will, während alle anderen Angst haben und eingeschüchtert werden.“

Angst verspüre nach Darstellung Ballons schon heute jene „Hälfte der Internetnutzer in Deutschland“, die es nicht wage, im Netz ihre politische Meinung mehr kundzutun. Welchem politischen Spektrum die Eingeschüchterten angehören, geht im TV-Bericht aus den Worten der Geschäftsführerin nicht hervor.

Eine „Überwachung“ gebe es in Deutschland aber nicht, antwortete Ballon auf die Frage, wie sie selbst auf Kritiker antworte, die die gegenwärtige Verfolgungspraxis an das Deutschland von „vor 80 Jahren“ erinnere.

JD Vance: „Das ist orwellsch“

Der amerikanische Vizepräsident JD Vance kommentierte einen Ausschnitt aus dem CBS-Video und fand auf seinem X-Kanal kritische Worte für das Freiheitsverständnis der deutschen Gesetzgeber:

Jemanden zu beleidigen ist kein Verbrechen, und die Kriminalisierung der Rede wird eine erhebliche Belastung für die europäisch-amerikanischen Beziehungen darstellen. Das ist orwellsch, und jeder in Europa und den USA muss diesen Wahnsinn ablehnen.“

Bereits am vergangenen Freitag hatte Vance für viel Empörung in Europa und besonders in Deutschland gesorgt: Als Redner auf der Münchner Sicherheitskonferenz warnte er vor einer zunehmenden Einschränkung demokratischer Grundwerte wie der Meinungsfreiheit auf dem alten Kontinent.

Begriffe wie „Desinformation“ oder „Fehlinformation“ aus dem Munde europäischer Politiker würden ihn an sowjetisches Vokabular erinnern, so Vance. Sie dienten seiner Einschätzung nach dazu, unliebsame politische Positionen zu diskreditieren. Man könne aber „kein demokratisches Mandat gewinnen, indem man seine Gegner zensiert oder sie ins Gefängnis steckt“.

Kubicki will Paragraf 188 abschaffen

Auch Bundestagsvizepräsident Wolfgang Kubicki (FDP) gab sich nach Inaugenscheinnahme des CBS-Berichts und den Aufnahmen einer morgendlichen Razzia in Niedersachsen gegenüber „Bild“ besorgt:

Wer im Angesicht dieser Bilder noch gut schlafen kann, dem sind die Grundrechte offensichtlich egal. Die Freiheit der Meinung ist die Grundlage der Freiheit überhaupt und darf nicht so leichtfertig eingeschränkt werden.“

Nach Kubickis Ansicht müsse der Strafrechtsparagraf 188 „nach der Wahl schnellstens“ wieder abgeschafft werden. Der sogenannte Majestätsbeleidigungsparagraf sieht spezielle Strafen für Menschen vor, die „Personen des politischen Lebens“ beleidigen, verleumden oder sich der üblen Nachrede schuldig machen.

SPD-General Miersch auf Seite der Staatsanwaltschaften

Ganz anderer Ansicht ist nach „Bild“-Angaben der SPD-Generalsekretär Matthias Miersch: Deutschland lasse sich nicht vom US-Vizepräsidenten vorschreiben, wie man gegen Hasskriminalität vorgehe. Immerhin seien „Hass und Hetze im Netz […] keine Lappalie“, so Miersch. Und weiter: „Die Staatsanwaltschaften setzen geltendes Recht durch – und das zu Recht.“ All das habe „nichts mit ‚Kriminalisierung von Sprache‘ zu tun, sondern mit dem Schutz von Demokratie und Rechtsstaat“.

Die scheidende Bundestagsabgeordnete Renate Künast (Grüne) betonte im Gespräch mit CBS ebenfalls, für wie wichtig sie die strafrechtliche Verfolgung von Menschen halte, die Politiker beleidigen oder bedrohen würden.

Der Bundesgerichtshof verhandelt gerade im Rechtsstreit zwischen Künast und dem Facebook-Mutterkonzern Meta über die Löschung eines Memes, das ein Falschzitat von ihr wiedergibt. Künast zitierte die Gerichtsentscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt vom vorherigen Jahr, die ihr recht gab. Es liege im öffentlichen Interesse, „dass die Persönlichkeitsrechte von denen, die öffentliche Ämter innehaben, geschützt werden“. Andernfalls drohe die Gefahr, dass sich niemand mehr „um diese Jobs“ bewerbe, so Künast zu CBS: „Das würde der Demokratie schaden.“

Zwei grüne Bundesminister Vorreiter bei Strafanzeigen

Im August 2024 hat das Justizministerium das Anzeigeverhalten der deutschen Bundesminister bekannt gemacht. Demnach stellte allein der grüne Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck in den knapp drei Jahren nach seinem Amtsantritt 805 Strafanzeigen wegen Beleidigungen oder Bedrohungen. Auf Platz zwei rangiert seine Parteikollegin, Außenministerin Annalena Baerbock, mit 513 Strafanzeigen.

Staatsanwaltschaften in Deutschland weisungsgebunden

Die Staatsanwaltschaft Göttingen muss sich gemäß Paragraf 146 des Gerichtsverfassungsgesetzes (GVG) wie jede andere Staatsanwaltschaft in Deutschland auch den dienstlichen Anweisungen ihres Vorgesetzten beugen, also letztlich dem Justizminister des jeweiligen Landes.

Nach Informationen des Onlineportals „Legal Tribune Online“ hatte der Europäische Gerichtshof im Mai 2019 entschieden, dass die deutschen Staatsanwaltschaften deshalb keinen Europäischen Haftbefehl ausstellen dürfen. Das Risiko einer politischen Beeinflussung durch die Regierung sei zu groß.



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