Carolabrücke: Versäumnisse bei der Sanierung und politische Streitigkeiten verschärfen Krise

Der Einsturz der Dresdener Carolabrücke in der Nacht zum 11. September 2024 wirft nicht nur Fragen zum Zustand der deutschen Infrastruktur auf, sondern auch zur Rolle der zuständigen Stadtverwaltung. Was war eigentlich in den Jahren zuvor passiert?
Der Oberbürgermeister berief auch angesichts des am Wochenende drohenden Elbe-Hochwassers den Stab für außergewöhnliche Ereignisse ein.
An der Carolabrücke in Dresden laufen die Abrissarbeiten des eingestürzten Brückenzugs C. Neu gebaut wurde die wichtige Verkehrsader der sächsischen Landeshauptstadt in den Jahren 1967 bis 1971.Foto: Sebastian Willnow/dpa
Von 13. September 2024

Nach der mutwilligen Zerstörung der ersten Dresdener Carolabrücke gegen Ende des Zweiten Weltkrieges durch die Waffen-SS war 1967 mit den Bauarbeiten für eine gut 30 Meter breite und rund 400 Meter lange neue Brücke an gleicher Stelle begonnen worden. Schon damals könnten Chloride in die Substanz des in Spannbetonbauweise errichteten, nun erstmals dreizügigen Vorzeige-Bauwerks eingedrungen sein.

Zu Ehren des sächsischen Ministerpräsidenten und Dresdner Oberbürgermeisters Rudolf Friedrichs war die Brücke auf seinen Namen umgetauft und am 4. Juli 1971 für die Nutzung freigegeben worden. Erst nach dem Ende der DDR erhielt sie 1991 wieder ihren ursprünglichen Namen zurück.

Erste Rundumsanierung nach 23 Jahren

Nach Angaben der „Sächsischen Zeitung“ fanden 1994 schon einmal Sanierungsarbeiten statt. Wegen einer schadhaften Entwässerungsanlage seien Wassereinlagerungen der wahrscheinliche Grund dafür gewesen. Womöglich war schon damals ein „Chloridentzug“ durchgeführt worden, wie es Holger Kalbe, der heutige Abteilungsleiter Brücken- und Ingenieurbauwerke bei der Stadt Dresden, kurz nach dem Einsturz des südlichen Brückenzugs C vermutete. An der aktuellen Abbruchstelle stehe aber ein Mast der Verkehrsbetriebe, sodass es auch in den Jahrzehnten danach noch zu einem massiven Chlorideintritt gekommen sein könnte.

Schon ein Vierteljahrhundert später war es dann wieder Zeit für eine Grundsanierung. Dieses Mal mithilfe von Carbonbeton und Basaltbewehrungen, bei der zugleich eine Verbreiterung und ein neues Verkehrsnutzungskonzept für die drei Brückenzüge ermöglicht werden sollte – dem Zeitgeist entsprechend mit mehr Platz für Fußgänger und Radfahrer.

Im November 2019 begannen also die nächsten aufwendigen Sanierungsarbeiten, zunächst für den östlichen Brückenzug A. Sie wurden im Juni 2021 beendet. Der mittlere Brückenzug B wurde im November 2023 fertig. Für den Verkehr freigegeben wurden beide Züge allerdings erst im März 2024. Seitdem läuft eine Versuchsphase, an deren Ende die Brücke primär für Fahrradfahrer und Fußgänger sicherer sein soll als vor der Brückensanierung.

Die Arbeiten am westlichen Brückenzug C, der für Fußgänger und die Straßenbahn ausgebaut war, sollte auf Beschluss der Stadt erst zwischen 2024 und April 2026 zu Kosten von 5,8 Millionen Euro erledigt werden – soweit die Planungen anno 2019.

Grüne, SPD und Linke setzten Kühn als Baubürgermeister durch

Mitte Juli 2020 hatte dann eine Personalie im Dresdener Stadtrat für Ärger gesorgt: Nach Informationen der „Sächsischen“ sollte der grüne Ex-Bundestagsabgeordnete Stephan Kühn auf Wunsch der grünen Stadträte zum neuen Baubürgermeister gemacht werden. Die Grünen hätten ihren Parteikollegen Kühn vorgeschlagen, ohne dass es eine Ausschreibung gegeben habe.

Obwohl Kühn als Soziologe nicht die erforderliche Qualifikation besaß, hätten sich die Stadträte von FDP, AfD und Freien Wählern mit ihren Bedenken nicht gegen CDU, Linke und SPD durchsetzen können: Der Soziologe wurde Baubürgermeister, weil die Grünen das Vorschlagsrecht besaßen. Finanzbürgermeister Peter Lames (SPD) habe zu dessen Verteidigung die „politische Kompetenz“ Kühns in die Waagschale geworfen.

Juli 2023: Tragwerk noch im „guten Zustand“

Im Jahr 2022 wurde die Carolabrücke unter Denkmalschutz gestellt. Damit verbunden war nach Angaben der „Sächsischen“ eine weitere Teilsanierung, bei der unter anderem die Ränder des mittleren Brückenzugs überarbeitet werden mussten. Auch die Geländer und Beleuchtungsmasten des mittleren Zuges wurden erneuert. Simone Prüfer, Leiterin des Dresdener Straßen- und Tiefbauamtes, habe dem „Tragwerk der Brücke“ noch Mitte Juli 2023 einen „guten Zustand“ attestiert. Zum Jahresende 2023 sollten die Denkmalschutzauflagen erfüllt sein.

In den Wochen danach muss es erneut zum Streit im Stadtrat gekommen sein. Denn am 25. August 2023 erklärte der inzwischen zum Baubürgermeister avancierte Stephan Kühn auf seinem X-Kanal, dass die Kritik des FDP-Fraktionschefs Holger Zastrow, man würde „die Brücken vergammeln lassen, jeder sachlichen Grundlage entbehre“. Im Gegenteil seien die Brücken „Investitionsschwerpunkte“.

Zu diesem Zeitpunkt gingen die Bauarbeiten am mittleren Brückenzug B allmählich in die Endphase, mit der Sanierung von Zug C sollte es ja erst im Jahr 2o24 losgehen. Der Eintrag Kühns ist inzwischen gelöscht.

Antrag der „Freien“ Stadträte auf Brücken-Zustandsbericht abgelehnt

Doch Kühns Replik war der Fraktion der Freien Wähler/Freien Bürger (FW/FB) im Stadtrat offensichtlich zu wenig. Am 21. September 2023 stellten sie einen Antrag, nachdem der Oberbürgermeister Dirk Hilbert (Unabhängige Bürger für Dresden) einen Zustandsbericht sämtlicher Brücken im Stadtgebiet vorlegen sollte. Als Frist setzten sie dem zuletzt von FDP und CDU ins Amt gebrachten Hilbert den 30. Juni 2024.

Ende Februar 2024 beschloss die Stadt Dresden auf Betreiben von Umweltbürgermeisterin Eva Jähnigen (Grüne), eingedenk des Bürgerbegehrens „Dresden Zero“ die städtische Infrastruktur „nachhaltig“ umzugestalten. Die „Treibhausgasneutralität“ möglichst bis 2035 schien nun das Maß aller Dinge zu sein.

Frühjahr 2024: „Brücken-TÜV“ erklärt Brückenzug C als „nicht ausreichend“ sicher

Im April 2024 stellten Gutachter während der alle sechs Jahre obligatorisch durchzuführenden „Hauptprüfung nach DIN 1076“ („Brücken-TÜV“) fest, dass der noch nicht sanierte Brückenzug C „nicht ausreichend“ sicher sei. Die übrigen, gerade erst überarbeiteten Züge A und B erhielten die Noten „befriedigend“ und „ausreichend“. Als Grund hatten die Gutachter freiliegende korrodierende Bewehrungen genannt.

Kurz vor Ende des von FW/FB-Stadträten gesetzten Frist, am 14. Juni 2024, lehnte der Stadtrat deren Antrag auf einen umfassenden Zustandsbericht der städtischen Brücken mit den Stimmen der Grünen, der Linken, der SPD, der Piraten und den Stadträten von „Die Partei“ ab. OB Hilbert persönlich unterschrieb als Vorsitzender die Beschlussausfertigung. Zu einer Bestandsaufnahme nach dem Willen der FW/FB kam es damit nicht.

Am 23. Juli 2024 wurde nach Informationen der „Dresdner Neuesten Nachrichten“ (Bezahlschranke) per Gerichtsurteil entschieden, dass Stephan Kühn 2020 zu Recht zum Baubürgermeister gemacht worden war. Es folgte damit der Argumentation von Finanzbürgermeister Peter Lames (SPD), nachdem „die politische Kompetenz“ Vorrang vor der fachlichen Qualifikation habe. Geklagt hatte ein fachlich besser qualifizierter Mitbewerber.

Solcherart bestärkt, widmete sich Kühn nach Recherchen von „NiUS“ der grünen Verschönerung der Dresdener City und ließ für die Sommermonate Pflanzkübel aus Holzpaletten aufstellen. Kostenpunkt laut „NiUS“: 334.000 Euro, davon 234.000 aus Bundesmitteln.

Eine Woche vor dem Schock: Feierstunde für Radfahrer

Anfang September 2024 feierte der Allgemeine Deutsche Fahrradclub (ADFC) den Beginn eines Verkehrsversuches auf der Carolabrücke: Eine der beiden Autofahrbahnen auf der mittleren Trasse war für 200.000 Euro zum Radweg umgestaltet worden. „Mit dem Verkehrsversuch erfüllt die Stadtverwaltung den letzten offenen Punkt aus der 14 Jahre alten Petition des ADFC Dresden: ‚Auch Albert, Carola und Peter wollen Radfahren‘“, heißt es im ADFC-Pressetext.

Eine Woche später. Am Mittwoch, 11. September 2024, fährt kurz vor 3:00 Uhr am Morgen eine Straßenbahn über den noch immer unsanierten Brückenzug C der Carolabrücke. Wenige Minuten später bricht eine Teilstrecke des Brückenabschnitts unter der eigenen Last zusammen. Verletzt wird zu dieser nächtlichen Stunde niemand.

Im Verlauf des Morgens werden der Auto-, Straßenbahn- und Schiffsverkehr rund um den Ort der Katastrophe weiträumig abgesperrt, ebenso der nahe Elbradweg und das Terrassenufer. Der städtische Brückenspezialist Holger Kalbe äußerte seine Vermutung, dass Korrosion durch Chlorid der Grund für den Einsturz gewesen sein könnte. Feuerwehrsprecher Michael Klahre erklärte, dass mit Einstürzen weiterer Brückenteile gerechnet werden müsse.

Folgekosten unabsehbar

Der Sach- und Folgeschaden für die Dresdener Wirtschaft ist nicht seriös abzusehen. Die Stadtratsfraktion der Grünen befürchtet massive Auswirkungen auf den Dresdner Stadtverkehr „über viele Monate, wenn nicht Jahre“. Die Grünen-Fraktionsvorsitzende Agnes Scharnetzky will nun Gespräche mit Bund und Land über die Finanzierungskosten in Gang bringen.

Am Tag nach dem Unglück erklärte die Feuerwehr, dass der beschädigte Teil der Brücke komplett abgerissen werden sollte.

Am Freitag, 13. September, brach ein weiterer Abschnitt des bereits zerstörten Brückenzugs C ein. Für den kommenden Sonntag wird ein Hochwasser in der Elbe vorhergesagt, was die Gefahr laut Dresdner Feuerwehr noch einmal erheblich verschärfen würde.

Vorkriegsbrücke erst durch Waffen-SS zerstört

Die Carolabrücke hat ihren Namen von der Ehefrau des sächsischen Königs Albert, Carola von Wasa-Holstein-Gottorp. Der erste Spatenstich zur damals vierten Elbbrücke der Stadt hatte 1892 stattgefunden. Durch die Mitte der damals nur knapp zehn Meter breiten Brücke führten seinerzeit zwei Straßenbahngleise, flankiert von zwei Bürgersteigen für Fußgänger. Über ein halbes Jahrhundert im Dienst wurde die Brücke am 7. Mai 1945 von der Waffen-SS zerstört, um den Vorstoß der Roten Armee zu verhindern.

(Mit Informationen aus Agenturen)



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