Bundestag soll noch vor Neuwahl über AfD-Verbotsverfahren entscheiden
Steht die „Alternative für Deutschland“ (AfD) auf dem Boden des Grundgesetzes? Diese Frage wird seit Jahren kontrovers debattiert. Rund einen Monat vor der Bundestagswahl soll nun der Bundestag darüber entscheiden, ob das Parlament das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe (BVerfG) beauftragen soll, ein für Klarheit zu sorgen.
Wie der „Spiegel“ unter Berufung auf die Nachrichtenagentur AFP berichtet, hat die fraktionsübergreifende Gruppe jener Abgeordneten, die sich ein Verbot der AfD wünschen, einen Antrag gestellt, das Thema schon in der kommenden Woche auf die Tagesordnung des Plenums zu setzen.
Genauer Zeitpunkt unklar
Ein genauer Termin steht nach Auskunft der AfD-Fraktion im Bundestag bisher nicht fest. „Die endgültige Tagesordnung für die nächste Sitzungswoche des Bundestages wird erst in den kommenden Tagen erstellt“, antwortete ein Fraktionssprecher auf Anfrage der Epoch Times. Wer dann für die AfD ans Rednerpult treten werde, solle erst nächste Woche entschieden werden. An der Haltung der Fraktion habe sich seit Bekanntwerden des Antrags nichts geändert:
Ein mögliches Verbotsverfahren entbehrt jeder Grundlage. Dem nun im Bundestag eingereichten Antrag sehen wir daher gelassen entgegen.“
Bis zur Bundestagswahl stehen laut „Bundestag.de“ nur noch zwei Sitzungswochen mit insgesamt sieben Tagen an. Plenarsitzungen finden vom 27. bis zum 31. Januar (PDF) und am 10. und 11. Februar statt.
Die Pressestelle des Bundestages ließ eine Anfrage nach dem genauen Termin bis zum Nachmittag des 21. Januar unbeantwortet. So bald aktuelle Stellungnahmen der Fraktionen zu ihrem Abstimmungsverhalten vorliegen, werden wir darüber berichten.
Mittlerweile 124 Unterstützer
Den Originalantrag „auf Entscheidung des Deutschen Bundestages über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der ‚Alternative für Deutschland‘ gemäß Artikel 21 Absatz 2, 3 und 4 des Grundgesetzes i. V. m. § 13 Nummer 2 und 2a, den §§ 43 ff. des Bundesverfassungsgerichtsgesetzes“ hatte eine Gruppe von 113 Abgeordneten bereits am 13. November 2024 gestellt (BT-Drucksache 20/13750, PDF). Nach Angaben des „Spiegel“ schlossen sich seitdem elf weitere der insgesamt 733 Parlamentarier an.
Sollte der Bundestag mehrheitlich dafür stimmen, aus der Beschlussvorlage einen tatsächlichen Beschluss zu machen, wäre es nach Darstellung des „Verfassungsblogs“ noch „ein weiter Weg“, bis die Karlsruher Richter eine offizielle Antragsschrift des Deutschen Bundestag in Händen halten könnten.
„Verfassungsblog“: Zweite Option Bundesrat?
Die aktuelle Beschlussvorlage sieht nämlich vor, die Regierungen in Bund und Land aufzufordern, zunächst spätestens innerhalb von zwei Monaten ihre Nachrichtendienste von der AfD abzuziehen, um „strikte Staatsfreiheit“ in einem Verfahren garantieren zu können – als Grundvoraussetzung für ein späteres, „unbehebbares“ BVerfG-Urteil.
Deshalb soll die Bundestagspräsidentin laut Beschlussvorlage erst nach Sicherstellung der Staatsfreiheit damit beauftragt werden, Verfahrensbevollmächtigte zu bestimmen, die die finale Antragsschrift für das BVerfG auszuarbeiten und einzureichen hätten. Damit wird es bis zur Bundestagswahl aber wohl kaum noch klappen. Wegen des „Grundsatzes der sachlichen Diskontinuität“ (PDF) wären die unvollendeten Vorhaben eines alten Bundestages für den neuen Bundestag aber nicht mehr bindend.
Der „Verfassungsblog“ vertritt deshalb die Rechtsauffassung, dass mit der Neuwahl „auch das Parteiverbotsverfahren vorerst enden“ werde: „In der neuen Wahlperiode könnte es nur dann wieder begonnen bzw. fortgeführt werden, wenn der neue Bundestag eine entsprechende Beschlussvorlage mit einfacher Mehrheit beschließt“.
Ein alternatives Schlupfloch würde sich nach Ansicht des „Verfassungsblogs“ nur dann auftun, wenn die aktuelle Minderheitsregierung oder insbesondere der Bundesrat ein eigenes Parteiverbotsverfahren anstreben würden. Denn speziell der Bundesrat unterliege als „ewiges“ Organ nicht dem Diskontinuitätsprinzip.
Doch selbst gesetzt den Fall, Bundesrat, Regierung oder Bundestag würden es tatsächlich irgendwann schaffen, einen Antrag auf Prüfung eines AfD-Verbots beim BVerfG einzureichen, würden die Karlsruher Richter womöglich Jahre brauchen, um nach allem Für und Wider zu einem abschließenden Urteil zu gelangen.
Stimmen für Verbotsprüfungsantrag
Treibende Kraft für den Vorstoß war im Herbst unter anderem der sächsische CDU-Politiker Marco Wanderwitz. Er wird dem neu zu wählenden Bundestag auf eigenen Wunsch nicht mehr angehören.
Wanderwitz bezeichnete es laut „Spiegel“ als „inzwischen tatsächlich alternativlos“, einen Verbotsantrag zulasten der AfD auf den Weg zu bringen – wegen der aus seiner Sicht „ständigen weiteren Radikalisierung“ der blauen Partei. Ähnliche Worte hätten auch Martina Renner, die innenpolitische Sprecherin der Linken-Gruppe im Bundestag, die Rechtspolitikerin Carmen Wegge (SPD) sowie ihr grüner Kollege Till Steffen benutzt. Sie alle hofften auf eine Mehrheit im Plenum für ihren Verbotsprüfungsantrag.
Der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler, der Interessenvertreter des Südschleswigschen Wählerverbands im Bundestag, verwies laut „Spiegel“ auf die historische Bedeutung des Minderheitenschutzes. Es besorge ihn, wenn eine Partei versuche, „die Menschen in diesem Land über Begrifflichkeiten wie ‚Mehrheitsbevölkerung‘ zu definieren“.
Viele Staatsrechtler würden AfD-Verbot unterstützen
Erst vor wenigen Tagen hatten 200 Mitglieder des Republikanischen Anwältinnen- und Anwältevereins (RAV) in einem offenen Brief die Einleitung der Prüfung zur Verfassungswidrigkeit der AfD beim BVerfG gefordert. Sie stützten sich dabei auf ein 72-seitiges Gutachten (PDF) des Deutschen Instituts für Menschenrechte (DIMR) vom Juni 2023. Der Brief trägt die Überschrift:
Ein Verbotsverfahren gegen die AfD hat Aussicht auf Erfolg“
Die Partei offenbare „ein ethnisch-kulturelles Volksverständnis, das der elementaren Rechtsgleichheit“ zuwiderlaufe. Zudem sei die Haltung „eingebettet in ein politisches Konzept, das strategisch darauf ausgerichtet ist, das bestehende demokratische System mit einem menschenwürdewidrigen und undemokratischen System zu ersetzen“.
Zu einer ähnlichen Einschätzung war vor knapp zwei Monaten eine Gruppe von 17 Juraprofessoren gekommen. Der Rechtsanwalt Dr. Christian Conrad, den die AfD mit einer Analyse ihrer Argumente beauftragt hatte, sah jedoch diverse Mängel: Die Stellungnahme der Rechtsgelehrten sei „bewusst desinformierend, auf ein vorher schon feststehendes Ergebnis orientiert und […] nicht wissenschaftlichen Ansprüchen genügend“, wie die AfD damals per Pressemitteilung bekannt gab.
Der staats- und verfassungsrechtliche Sprecher der AfD-Bundestagsfraktion, Christian Wirth, schloss sich dem an: Es handele sich um „nichts weiter als eine Wiederholung von bekannten Allgemeinplätzen auf mageren 13 Seiten, die mit einem rechtlichen Gutachten nichts zu tun“ hätten. Wirth nannte die „Rechtswissenschaftliche Stellungnahme“ der 17 Staatsrechtler eine „Auftragsarbeit der Altparteien und des Bundesamtes für Verfassungsschutz“.
Prof. Boehme-Neßler: Voraussetzungen für Parteiverbot liegen nicht vor
Der Staatsrechtler Prof. Dr. Volker Boehme-Neßler hatte Anfang November 2024 im Gespräch mit der „Neuen Osnabrücker Zeitung“ von einem Verbotsverfahren gegen die AfD abgeraten. „Würde ein Verbot abgelehnt werden, wovon ich aktuell ausgehe, hätte die Partei eine offizielle staatliche Bescheinigung ihrer Verfassungstreue“, gab Boehme-Neßler zu bedenken.
Er selbst könne ohnehin nicht erkennen, „dass die AfD als Gesamtpartei eine rechtsextremistische Partei“ sei. „Erst recht sehe ich nicht, dass sie die Verfassung aggressiv bekämpft. Die Voraussetzungen für ein Parteiverbot liegen aus meiner Sicht deshalb nicht vor.“
Hohe Hürden
Der Bundestag ist – neben Bundesregierung und Bundesrat – eines von drei Verfassungsorganen, das ein Verbotsverfahren vor dem höchsten deutschen Gericht anstoßen kann. Die rechtlichen Hürden dafür sind allerdings so hoch, dass in der Geschichte der Bundesrepublik erst zwei Parteien verboten wurden: 1952 traf es die der NSDAP nahestehende „Sozialistische Reichspartei“ (SRP), 1956 die dem Stalinismus anhängende „Kommunistische Partei Deutschlands“ (KPD).
Im Januar 2017 war ein zweiter Verbotsversuch gegen die rechtsnational ausgerichtete NPD vor dem Zweiten Senat des BVerfG (2 BvB 1/13) gescheitert. Die Richter betrachteten die NPD und ihre Teilorganisationen nach Angaben der Bundeszentrale für politische Bildung zwar als verfassungswidrig, sahen von einem Verbot allerdings ab, weil sie in ihr nicht das Potenzial erkannten, ihre Ziele in Deutschland durchzusetzen. Seit Juni 2023 firmiert die NPD als „Die Heimat“.
„Rechtsextremistischer Verdachtsfall“
Das Oberverwaltungsgericht Münster hatte im Mai 2024 in mehreren Berufungsverfahren geurteilt, dass die Einstufung des AfD-Bundesverbandes als „rechtsextremistischer Verdachtsfall“ und die darauf beruhende bisherige Beobachtung rechtens seien.
Außerdem darf das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) den offiziell bereits aufgelösten „Flügel“ und die Jugendorganisation „Junge Alternative“ als „gesichert rechtsextremistisch“ einordnen. Auf Landesebene wird die AfD in den Bundesländern Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt ebenfalls in dieser Weise eingestuft. Die Partei wehrt sich auch auf juristischem Wege weiter gegen die Zuschreibungen.
Eine Neubewertung der AfD war von dem früheren BfV-Präsidenten Thomas Haldenwang (CDU) zwar im Oktober noch für das Jahr 2024 angekündigt worden. Nachdem die Ampelregierung platzte und Haldenwang sein Interesse an einem Bundestagsmandat bekundete, wurde das Vorhaben aber auf die Zeit nach der Bundestagswahl verschoben.
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