Bundesbeauftragter für Migrationsabkommen will Sozialleistungen für Ausreisepflichtige streichen
Nach dem Vorpreschen von Oppositionschef Friedrich Merz (CDU) für eine restriktivere Migrationspolitik und nach den Landtagswahlen von Sachsen und Thüringen sind auch aus den Reihen der FDP immer mehr Stimmen zu hören, die sich für einen Kurswechsel starkmachen.
Nach FDP-Parteichef und Bundesfinanzminister Christian Lindner meldete sich nun sein Parteikollege Joachim Stamp zu Wort. Der Sonderbevollmächtigte der Bundesregierung für Migrationsabkommen und frühere Integrationsminister Nordrhein-Westfalens schlug vor, ausreisepflichtigen Ausländern nur noch zwei Dinge zu gewähren – nämlich ein Rückflugticket in die Heimat und „eine kleine Starthilfe von wenigen hundert Euro“, auszuhändigen erst am Ziel.
Stamp: „Notfalls Grundgesetz ergänzen“
Sozialleistungen in Deutschland solle es für Ausreisepflichtige überhaupt nicht mehr geben, so Stamp im Gespräch mit dem „RedaktionsNetzwerk Deutschland“ (RND). Ein solcher Schritt könne ein „wichtiges Signal für die Eindämmung der Migration nach Deutschland“ sein. Bedenken wie etwa jene der Grünen-Abgeordneten Britta Haßelmann, nach denen das Bundesverfassungsgericht die Gewährung eines menschenwürdigen Existenzminimums bei Bedürftigkeit als Grundrecht definiert hatte, begegnete Stamp mit dem Hinweis auf die Gesetzgebungsmacht des Bundestags:
Notfalls muss dann an dieser Stelle auch über eine Ergänzung im Grundgesetz nachgedacht werden.“
Friedrich Merz hatte erst vor wenigen Tagen davon Abstand genommen, das Asylrecht gemäß Artikel 16a des Grundgesetzes antasten zu wollen. Für Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) steht das Individualrecht auf Asyl ohnehin nicht zur Debatte.
Stamp forderte außerdem flächendeckende Kontrollen der deutschen Grenzen bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Gemeinsame Europäische Asylsystem (GEAS) reibungslos umgesetzt sei. All seine Vorschläge habe er unabhängig von seinem Amt als Sonderbevollmächtigter der Bundesregierung für Migrationsabkommen gemacht, stellte Stamp klar.
FDP: Absturz bei Landtagswahlen
Die FDP war am vergangenen Wahlsonntag in Sachsen und Thüringen mit Werten von 0,9 beziehungsweise 1,1 Prozent aus beiden Landtagen geflogen, während die AfD jeweils über 30 Prozent geholt hatte. FDP-Chef Lindner forderte daraufhin „eine grundlegende Neuordnung der Einwanderungs- und Asylpolitik“, notfalls per Änderung des deutschen, europäischen und internationalen Rechts. Für die FDP existierten „keine Denkverbote“, so Lindner.
Der CDU-Innenpolitiker Alexander Throm (CDU) hatte sich schon kurz vor dem Migrationsgipfel gegenüber der „Welt“ ähnlich wie Stamp zum Thema Leistungskürzungen geäußert: Staatliche Leistungen müssten nicht nur bei Dublin-Fällen, sondern auch für geduldete Asylbewerber stark gekürzt werden. „Ziel muss es sein, ihnen nur noch ein Überbrückungsgeld zu geben, damit sie die Ausreise vollziehen können“, so Throm.
Unter dem Eindruck des dreifach tödlichen Messerattentats von Solingen hatte die Bundesregierung in der vergangenen Woche in aller Eile ein „Sicherheitspaket“ (PDF) geschnürt. Danach sollen erweiterte Leistungskürzungen für jene Bewerber kommen, die gemäß der Dublin III-Verordnung der EU bereits in einem anderen EU-Land registriert wurden:
Für Schutzsuchende, die ihr Asylverfahren in anderen Mitgliedsstaaten betreiben müssen (Dublin-Fälle) und für den Fall ihrer Rückkehr dort Leistungsansprüche haben, weil der betreffende Mitgliedstaat dem Übernahmeersuchen zugestimmt hat, soll der weitere Bezug von Leistungen in Deutschland ausgeschlossen werden.“
Andererseits will die Bundesregierung laut Maßnahmenpaket Migrationsabkommen mit Kenia, mit der Republik Moldau, mit Kirgisistan, Usbekistan und den Philippinen „weiter mit Nachdruck vorantreiben“. Der Migrationsbeauftragte Stamp hatte im Juni 2024 bekannt gegeben, dass ein Abkommen mit Kenia „nach letzter rechtlicher Prüfung im September unterzeichnet werden soll.“
Vertrauliche Gespräche beim Migrationsgipfel ohne Durchbruch
Bei dem kurzfristig einberufenen Migrationsgipfel vom 3. September 2024 mit Vertreten von Bund, Ländern und der Union war zur Bekämpfung der Migrationskrise allerdings noch nichts Konkretes herausgekommen. Nach Angaben des „Spiegel“ soll in der kommenden Woche weiter verhandelt werden.
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) wolle bis dahin „mehrere rechtliche Schritte“ prüfen lassen, um Asylsuchende leichter an den Außengrenzen zurückweisen zu können, wie es insbesondere die Union gefordert hatte. Beim Gipfel habe es „konzentrierte, offene und konstruktive Beratungen“ gegeben, so Faeser. Über die Inhalte habe man Stillschweigen vereinbart.
Nach Auffassung Faesers tragen die Regierungsmaßnahmen zur Begrenzung irregulärer Migration bereits Früchte: „Es gibt ein Fünftel weniger Asylanträge als im Vorjahr, ein Fünftel mehr Rückführungen, mehr als 30.000 Zurückweisungen an den deutschen Grenzen durch unsere Binnengrenzkontrollen seit Oktober 2023“, so Faeser.
Union beharrt auf Zurückweisungen an der Grenze
Friedrich Merz machte die Teilnahme von Unionsvertretern an einem weiteren Gipfel davon abhängig, dass weitere Zurückweisungen an den deutschen Grenzen durchgeführt würden. Das sei innerhalb der Union der „zentrale Vorschlag Nummer eins“, so Merz auf einer Wahlkampfveranstaltung in Kremmen, Brandenburg.
Thorsten Frei (CDU), der Erste Parlamentarische Geschäftsführer der Unionsfraktion und Unterhändler beim Migrationsgipfel, habe es als „entscheidend“ bezeichnet, „dass es tatsächlich am Ende eine Verringerung des Zustroms gibt, dass Migration bewältigbar und integrierbar bleibt“. Insgesamt habe er den Eindruck gewonnen, „dass man sich ernsthaft auch mit den Punkten, die für uns wichtig sind, auseinandergesetzt hat“, so Frei. Die Union sei auch bereit, schon in der kommenden Woche im Bundestag darüber zu beraten.
Habeck wünscht sich CDU der Merkel-Zeit zurück
Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, der als Vertreter der Grünen am Migrationsgipfel teilgenommen hatte, kritisierte die Union auf einer Wahlkampfveranstaltung in Potsdam für ihre Forderungen: „Die Union, sie weiß nicht mehr, wo sie hin will“, meinte Habeck nach Informationen des „Spiegel“.
Unter Kanzlerin Angela Merkel habe die Partei noch gewusst, „was sich gehört“. Heute aber versuche die CDU, dem „Populismus“ hinterherzulaufen. Vorschläge, wie zuletzt von Merz oder vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU) geäußert, seien „gefährlich“, zeugten von Ahnungslosigkeit und drohten, Europa zu beschädigen.
Der „Spiegel“ hatte „aus Teilnehmerkreisen“ erfahren, dass auf dem Migrationsgipfel auch Skepsis wegen der juristischen Rahmenbedingungen laut geworden war. Schließlich gebe es „hohe rechtliche Risiken“ bei Zurückweisungen an der Grenze. Die „mühsam errungene europäische Asylreform“ könne durch die Unionsforderungen riskiert werden.
Zudem bestehe die Gefahr, dass andere Staaten Asylbewerber „zur Weiterreise nach Deutschland ermutigen“ könnten, falls Deutschland die Einhaltung der Dublin-Regeln infrage stellen sollte.
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